Hohe In­ves­ti­tio­nen in die Nord­zu­fahrt

Neue Bahninfrastruktur

Auf den nördlichen Zufahrtsstrecken zum Gotthard-Basistunnel wird viel Geld in die Abwehr von Naturgefahren investiert. Während an der Rigi der Schutzwald gepflegt werden muss, erstellen SBB und der Kanton Schwyz an der Axenstrecke neue Schutzbauten.

Date de publication
08-09-2016
Revision
08-09-2016

In knapp drei Monaten ist es so weit: Die ersten Züge werden fahrplanmässig durch den neuen Gotthard-Basistunnel rollen. Das Bauwerk hat viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen (vgl. TEC21 18–19/2016) und wird das auch in Zukunft tun. Dabei geht etwas vergessen, dass SBB, Bund und Kantone auch auf den Zufahrtstrecken viel Geld für die Sicherheit der Bahninfrastruktur und in den Schutz vor Naturgefahren investieren.

Ein erster Brennpunkt auf der Alpennordseite ist der Abschnitt an der Rigi-Nordflanke zwischen Immensee und Arth-Goldau, wo täglich 180 Züge vorbeifahren. Wenn voraussichtlich ab 2018 die Bahnstrecke zwischen Zug und Arth-Goldau auf der anderen Seite des Zugersees ausgebaut wird, werden vorübergehend auch die Züge von und nach Zürich über diesen Ast der Gotthardstrecke umgeleitet.

Oberhalb des Bahntrassees befindet sich mit fast 500 Hektaren der mit Abstand grösste Schutzwald, den die SBB selber besitzen. Er schützt die Bahnlinie – aber auch die Autobahn, die Kantonsstrasse, Starkstromleitungen und diverse Streusiedlungen – vor Stein- und Blockschlag, Rutschungen und Murgängen. 

Das Konzept des integralen Risikomanagements zum Schutz der Bahnlinien vor Naturgefahren besteht aus drei Elementen. «Der flächig wirkende Schutzwald ist die Basis», sagt Albert Müller, Leiter Natur und Naturrisiken bei den SBB. Wo dieser die Sicherheit nicht gewährleistet, würden Schutzbauten erstellt. Das dritte Element ist die Überwachung – einerseits durch regelmässige Inspektionen vor Ort, andererseits mit dem laufend ausgebauten elektronischen Alarmsystem. Dank dem kann beispielsweise sofort reagiert werden, wenn ein Stein in ein Schutznetz fällt.

Registriert eine am Netz montierte Naturgefahrenalarmanlage eine schwere Erschütterung, werden die Züge im entsprechenden Abschnitt gestoppt. Bei geringeren Einwirkungen erhalten die Lokführer die Anweisung, das Tempo zu reduzieren, um den Zug notfalls stoppen zu können.

Grosse Investitionen in die Waldpflege

Seit 1980 sind am Nordhang der Rigi laut Müller insgesamt knapp 35 Mio. Fr. investiert worden. In diesem Betrag sind die Kosten für die Erschliessung, die Pflege des Schutzwalds, die Behebung von Sturmschäden und die Erstellung von Schutzbauten enthalten. Da der Schutz vor Naturgefahren eine Verbundaufgabe ist, teilen sich Bund, Kanton und SBB sowie weitere Waldeigentümer die Kosten. In die Schutzwaldpflege und den Erhalt der forstlichen Infrastrukturanlagen werden jährlich etwa 300 000 Franken investiert. Die Bemühungen zahlen sich aus.

«Der Schutzwald befindet sich in einem guten Zustand und erfüllt seine Funktion», sagt Josef Gabriel vom Amt für Wald und Naturgefahren des ­Kantons Schwyz. Im unteren Teil wächst ein gut strukturierter Mischwald mit einem hohen Anteil an Laubhölzern. Dieser wird ab etwa 1000 m ü. M. durch einen Tannen-Buchen-Wald abgelöst. Einige Sorgen bereitet allerdings die künftige Entwicklung des Walds. Derzeit ist unklar, wie gut er sich an den Klimawandel anpassen kann. Ein eingeschleppter Pilz bringt die meisten Eschen zum Absterben.

Und in höheren Lagen haben junge Weisstannen, Bergahorne und Eschen kaum eine Chance aufzuwachsen: Rehe, Gämsen und Rothirsche beissen die Knospen ab, was zu Lücken bei der natürlichen Baumartenverjüngung führt. Da sich das Problem verschärft, erarbeiten die Kantone Schwyz und Luzern ein umfassendes Wald-Wild-Konzept für die gesamte Rigi. 

Weil der Schutzwald oberhalb der Bahnstrecke höchste Priorität geniesst, stehen für die Pflege weiterhin finanzielle Mittel zur Verfügung. Laut ­Gabriel ist das Ziel, den guten Zustand zu erhalten und den Schutzwald standortgerecht zu verjüngen. Parallel dazu arbeitet man mit den SBB an einem umfassenden Naturgefahrenprojekt. Dieses ist bei den Bundesbehörden eingereicht, beläuft sich auf 2.8 Mio. Franken und umfasst sämtliche Steinschlagquellen sowie 29 Bäche und temporär wasserführende Gräben (Runsen) an der Nordlehne der Rigi.

Geschiebesammler am Dornibach

Sicherheitsdefizite weist die Gotthard-Nordzufahrt auch im Abschnitt Axen zwischen Brunnen und Sisikon auf. Oberhalb des Urnersees ist der Dornibach ein Brennpunkt, der nun aber entschärft worden ist. Bei den schweren Unwettern im August 2005 verschüttete ein Murgang die Axenstrasse und die Gotthardlinie und lagerte etwa 5000 m3 Material ab. Nach vier Tagen war ein Gleis wieder befahrbar. Der Durchlass unter den beiden Brücken konnte bisher lediglich kleinere Murgänge schadlos in den See durchleiten.

Nach dem Ereignis bauten die SBB ein Überwachungs- und Warnsystem auf, das auch Messeinrichtungen zu Niederschlag und Abfluss sowie eine Videokamera umfasste. In kritischen Situationen konnten SBB-Mitarbeitende «Fahrt auf Sicht» anordnen oder den Zugverkehr stoppen. Diese Massnahmen taugten lediglich als Übergangs­lösung. Im Einzugsgebiet des Dornibachs hat das Gefahrenpotenzial für Murgänge aufgrund natürlicher Erosion in den letzten Jahren zudem zugenommen und wird sich weiter erhöhen. Ein Ereignis wie jenes 2005 kann sich jederzeit wiederholen.

Die SBB arbeiteten deshalb ein Projekt aus, um die Sicherheit an dieser exponierten Stelle unmittelbar bei einem Tunnelportal zu verbessern. Seit diesem Jahr reduziert nun oberhalb der beiden Brücken ein Geschiebesammler mit einem Fassungsvermögen von 10 000 m3 das Risiko deutlich. «Speziell ist, dass der Geschiebesammler aus topografischen Gründen asymmetrisch angeordnet ist», sagt Albert Müller. Normalerweise würden Geschiebesammler zentral zum Gerinne angelegt.

Eine mächtige Murgangbremse sorgt dafür, dass grosse Blöcke abgebremst und das Geschiebe in den Sammler umgelenkt wird. Um eine optimale Wirkung zu ermitteln, erstellte das Institut für Bau und Umwelt an der Hochschule für Technik in Rapperswil ein Modell im Massstab 1 : 50. Der Bau des Geschiebesammlers kostete rund 3.4 Mio. Franken. Mehr als zwei Drittel bezahlte die öffentliche Hand (Bund, Kanton und Bezirk Schwyz); den Rest, etwas weniger als eine Million Franken, übernahmen die SBB.

Das Bundesamt für Strassen (Astra) beteiligte sich an diesem Projekt ebenfalls, aber nur geringfügig. Denn bald beginnt der Bau des neuen Tunnels, der Sisikon vom Nationalstrassenverkehr entlasten wird. Doch just an dieser Stelle wird dafür ein Installationsplatz inklusive Stollenzufahrt benötigt. 

Heimtückische Dornirunse

Nur wenig südlich des Dornibachs befindet sich die Dornirunse. Ihr Einzugsgebiet bilden verzweigte Runsen in der steilen, felsigen Flanke des Fronalpstocks. Anders als der Dornibach führt die Dornirunse nur sporadisch Wasser, etwa bei starken Gewittern. Nachdem durch einen Felssturz im November 2008 rund 5000 m3 Gestein ins Runsensystem gelangten, wurde dieses im August des darauffolgenden Jahres durch ein heftiges Gewitter mobilisiert.

Der Murgang zerstörte einen im mittleren Teil der Runse gelegenen Geschiebe­sammler und verschüttete die Strasse nach Riemen­stalden meterhoch. Im unteren Teil drang das Geröll ins Siedlungsgebiet vor und erreichte die Axenstrasse. 

Der Kanton Schwyz, auf dessen Gebiet die Dornirunse liegt, erarbeitete daraufhin ein Projekt zum Schutz der Liegenschaften, der Strasse von Sisikon nach Riemen­stalden sowie der Nationalstrasse und SBB-Gotthardlinie. «Den bisherigen Geschiebesammler mit einem Fassungsvermögen von wenigen hundert Kubikmetern ersetzen wir durch einen solchen mit 4000 m3», erklärt Daniel Bollinger, Leiter des Fachbereichs Naturgefahren beim Amt für Wald und Naturgefahren des Kantons Schwyz.

Das Fassungsvermögen des bis zu 11 m hohen Bauwerks mit einer Mauerkronenlänge von rund 70 m könne mindestens das Material für Ereignisse, die statistisch alle 30 Jahre auftreten würden, auffangen. Bei selteneren Ereignissen wird der Geschiebesammler überströmt. Damit das Bauwerk diesen Belastungen standhält, werden dessen Mauern mit 10 bis 15 m langen Ortsbetonbohrpfählen mit einem Durchmesser von 110 cm im Fels fundiert und mit bis zu 25 m langen vorgespannten Ankern zusätzlich gesichert.

Wenn das Fassungsvermögen des neuen Geschiebesammlers bei 100-jährlichen oder noch sel­teneren Ereignissen nicht ausreicht, leiten künftig ­Ablenkdämme das überschüssige Material in den Geschiebesammler des benachbarten Dornibachs. Bisher beobachtete man noch nie gleichzeitig ein Ereignis in der Dornirunse und im Dornibach, und ein Zusammenfallen ist, obwohl die beiden Einzugsgebiete praktisch am gleichen Ort liegen, laut Fachleuten unwahrscheinlich.

«Während in der Dornirunse sich das Material allmählich ansammelt und durch intensive Gewitter mobilisiert wird, lösen beim Dornibach eher lang anhaltende Niederschläge und Rutschungen ins Bachbett Murgänge aus», erläutert Bollinger. 

Die Gesamtkosten betragen gut 7 Mio. Franken. Laut Bollinger hat die gewählte Lösung bezüglich des Nutzen-Kosten-Verhältnisses am besten abgeschnitten. Dieses betrage rund 1.7, wobei der Nutzen der gesteigerten Verfügbarkeit der Verkehrsinfrastrukturen nicht eingerechnet sei. Bisher sind die Riemenstalderstrasse als Baustellenzufahrt verstärkt sowie der untere Teil des Ablenkdamms gebaut worden. Nun beginnen die Arbeiten für den neuen Geschiebesammler. Der Aushub wird für den oberen Teil des Ablenkdamms verwendet.


Zusatzmittel für Bergstrecke

Die gesamten Investitionen in den Schutz der Zufahrtsstrecken vor Naturgefahren zum Gotthard-Basistunnel beeindrucken. Offen ist derzeit hingegen der langfristige Betrieb und Unterhalt der alten Gotthard-Berg­strecke.

Diese wird mit der Eröffnung des Basistunnels von einer internationalen Topstrecke zu einer Regionalstrecke deklassiert, die täglich maximal noch 1200
Personen benutzen werden. Diese geringen Passagier­zahlen reduzieren das Risiko von Personenschäden erheblich.

Dennoch stellt sich die Frage, wie sich die umfangreichen Aufwendungen für den Schutz vor Naturgefahren finanzieren lassen. Angesichts der neuen Ausgangslage ist die Politik gefordert, Wege zu finden, wie die für die Schweiz einst zentrale Bergstrecke erhalten werden kann.

Die SBB sind nach eigenen An­gaben bereit, sich langfristig für den Betrieb und Unterhalt der Bergstrecke zu engagieren. Gemeinsam mit dem Kanton Uri werden für die Strecke zwischen Gurtnellen und Göschenen bis 2018 zusätzliche 2.38 Mio. Franken in Steinschlagschutznetze und Alarmanlagen investiert.


Wie die SBB zum Schutzwald kamen

Bereits die Gotthardbahn erwarb nach dem Bau der Bahnlinie erste Waldparzellen am Nordhang der Rigi. Ende des 19. Jahrhunderts wollte die Bahngesellschaft weitere Flächen übernehmen, scheiterte vorerst aber am Widerstand der Unterallmeind-Korporation Arth, die sich erfolgreich gegen eine Enteignung wehrte.

Die neu entstandenen SBB, die 1909 die Gotthardbahn übernommen hatten, liessen nicht locker. Das Bundes­gericht entschied 1920 schliesslich zugunsten der SBB; die Korporation musste 190 Hektaren Wald an die nationale Bahngesellschaft abtreten.

Die Wälder an der Rigi wurden früher stark genutzt. Waldarbeiter reisteten das Holz mit­hilfe der Schwerkraft in den Talboden bei Arth oder zum Zugersee hinab. Mit der Übernahme der Waldungen durch die SBB ergaben sich manche Verein­fachungen.

Die Bewirtschaftung des Schutzwalds erfolgte fortan primär im Hinblick auf einen optimalen Schutz der Bahnlinie vor Naturgefahren. Holz wurde ab 1930 über fest installierte Seilbahnen, sogenannte Seilriesen, transportiert. Überreste der bis 1980 betriebenen Anlagen zeugen noch davon.

Heute erfolgen die Pflege des Walds und der Abtransport der Stämme vorwiegend über mobile Seilkrananlagen. Seit 1980 wurden dafür 9 km zusätzliche Forststrassen gebaut.

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