Mor­gen in Blau

IWL Werkstätte für Menschen mit Behinderung

Nach zwei Jahren Betrieb tritt eine Schreinerwerkstätte den Beweis an: Biologisch wirksame Beleuchtung ist schon heute umsetzbar, ohne den räumlichen Entwurf oder die monatlichen Fixkosten massgeblich zu ­beeinflussen. Die Bedeutung der richtigen Materialwahl aber erstaunt.

Date de publication
25-08-2016
Revision
26-08-2016

Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben teilhaben zu lassen ist das Leitbild einer Firma im bayerischen Landsberg am Lech. Weil jedoch die gewachsene Betriebsstruktur den Anforderungen an eine moderne Produktion nicht mehr genügte, fiel im Jahr 2012 die Entscheidung für einen Neubau. Der Auftrag für die neue Produktionsstätte beinhaltete, die positive Wirkung von Licht auf das Wohlbefinden zu berücksichtigen und gezielt mit einzuplanen. Für den 2500 m2  grossen Neubau wurden daher die Erkenntnisse über die nichtvi­suelle Wirkung1 von Licht (vgl. «Licht spüren») Grundlage für die Entwicklung des Tages- und Kunstlichtkonzepts. 

Da diese Thematik für die Baupraxis hochrelevant ist, förderte die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) die integrale Planungsphase ebenso wie die anschliessende Evaluation. Unterstützt wurde unter anderem die Entwicklung eines erweiterbaren Holzbaus, eines zukunftsorientierten Energiekonzepts und eines Tages- und Kunstlichtkonzepts, das sich an den Erkennt­nissen über biologisch wirksames Licht orientierte. 

Im Februar 2014 nahm die Schreinerei den Betrieb wieder auf. Seitdem evaluieren die Hochschule München und die Lichtplaner von 3lpi die Kunstlichtan­lage und die erwarteten positiven Effekte. Erste Erkennt­nisse aus dem vom Planungsbüro im Juni 2016 abgeschlossenen technischen Monitoring liegen nun vor. 

Schritt 1: maximales Tageslicht 

Für die Planung von melanopischen Lichtwirkungen gab es keine dezidierten Hilfsmittel. Stattdessen mussten die bestehenden Lichtsimulationsprogramme mit Parametern aus der Radiometrie (Spektraldaten) angepasst werden. Die dafür notwendigen Daten wiederum wurden im Projekt mithilfe von spektral aufgelösten Reflexionsmessungen erhoben. Anhand der verfügbaren Vorgaben2 untersuchten die Lichtplaner, ob eine melano­pisch wirksame Lichtanlage in der Werkstätte mit den bestehenden ­Planungswerkzeugen und den erhobenen Daten konzipiert werden kann und ob die anschliessende Umsetzung mit den Zielwerten übereinstimmt. 

Bei der Planung des Tageslichts ermittelten die Lichtplaner das Potenzial des Architekturkonzepts. Die Studie beschränkte sich dabei nicht nur auf die Raumgeometrie sowie auf die Grösse, Anordnung und Beschaffenheit der Tageslichtöffnungen. Auch die Oberflächengestaltung des Innen- und unmittelbaren Aussenraums und die Qualität der transparenten Bauteile beeinflussen das Tageslichtangebot.

Die Oberflächenreflexion der Innen­konstruktion wurde iterativ optimiert, im sheddachnahen Bereich wurden flächige Wärmestrahlplatten angebracht, und die Transparenz der Sheddachverglasungen wurde er­höht – dafür wurde, um den sommerlichen Wärmeschutz einzuhalten, die Transparenz der grossflächig verglasten Südfassade verringert. So liess sich die mittlere Tageslichtmenge im Neubau gegenüber dem ursprünglichen Entwurf um fast 40 % steigern, ohne das räumliche Konzept sig­ni­fikant zu beeinflussen.

Die Verglasung wurde insbesondere im Hinblick auf ihre Lichtdurchlässigkeit im biologisch wirksamen Bereich ausgewählt. Bei einer der zur Auswahl stehenden Verglasungen lag die Lichtdurchlässigkeit im melanopisch wirksamen Bereich des Spektrums bei 490 nm um 14 % höher, wobei die bauphysikalischen Daten ansonsten vergleichbar waren. 

Schritt 2: Kunstlicht, mehr als normgerecht 

Unabhängig vom Tageslicht musste die Kunstlicht­anlage die Anforderungen an die melanopische Wirksamkeit erfüllen. Hierfür wurde ein Mehrkomponentenkonzept entwickelt. Am Tag wird zur biodynamischen Wirksamkeit mehr Licht benötigt, als die Norm fordert. Eine LED-Direktkomponente an einem Schienensystem mit einer Farbtemperatur von 4000 K stellt die normgerechte Beleuchtung energieeffizient sicher. Diese ­Komponente allein erfüllt die Anforderungen an eine biologisch wirksame Beleuchtung jedoch nicht.

Eine Indirektkomponente auf Grundlage einer T16-Leuchtstoffröhre ergänzt daher die LED-Beleuchtung. Sie ist auf den Decken- und Sheddachbereich ausgerichtet, um einen möglichst grossen Raumwinkel für den Nutzer auszuleuchten. Das Leuchtmittel hat eine Farbtem­peratur von 17 000 K. Die Farbtemperatur bestimmt die nicht­visuelle Wirkung pro eingestrahlter Leistung. Erst zusammen mit der Intensität («Helligkeit») und einer Bestrahldauer ergibt sich eine melanopisch wirksame Dosis.

Vereinfacht ausgedrückt: Je höher die Farb­temperatur, umso weniger Energie muss eine Anlage aufwenden, um eine melanopische Wirkschwelle zu erreichen. Durch den sehr hohen Blauanteil ist die eingesetzte Leuchte in hohem Mass melanopisch wirksam. Die Steuerung des Kunstlichts folgt sowohl ergonomischen (Erfüllung der Sehaufgabe, nichtvisuelle Lichtwirkungen, visuelle Komfortkriterien) als auch energetischen Zielvorgaben.

Zu festgelegten Tageszeiten wird das Lichtangebot gezielt verändert, um eine biologische Wirkung sicherzustellen und damit den circadianen Rhythmus der Nutzer zu unterstützen. Im Rahmen der Inbetriebnahme wurde der aktivierende und synchronisierende Zeitraum zwischen 8 und 11 Uhr gelegt. Reicht in dieser Phase das Tageslicht­angebot ganz oder in Teilen aus, um das Niveau der Sehaufgabe und die gewünschte melanopische ­Wirkung sicherzustellen, werden die Kunstlichtkomponenten zur Energieein­sparung gezielt gedimmt bzw. ausgeschaltet. Konkret bedeutet das: Neben einer tages­lichtabhängigen Steuerkomponente ist eine parallele, tageszeitabhängige Komponente implementiert.

Schritt 3: Überprüfen 

Im Rahmen einer wissenschaftlichen Evaluation überprüft die Hochschule München aktuell mit Fragebögen und Interviews, inwieweit sich die erwarteten positiven Effekte derartiger Lichtlösungen auf das Wohl­befinden der Mitarbeiter auswirken. Im ergänzenden technischen Monitoring erfassten die Planer thermische und elektrische Energieverbräuche und untersuchten den Betrieb der Kunstlichtanlage über ein Jahr hinweg intensiv. Dieses Monitoring wurde im Juni 2016 abgeschlossen. 

Die Hauptaufgabe des Monitorings war es, den prognos­tizierten mit dem eingetretenen Kunstlicht­strombedarf zu vergleichen und mögliche Abweichungen zu analysieren. In der Jahressimulation wurde für die realisierte Anlage 7.7 kWh/m2a berechnet. Der tatsächliche Verbrauch stellte sich um ca. 9 % niedriger ein. Bei der umfangreichen Nachmessung im ­Frühjahr 2016 bemerkten die Lichtplaner jedoch, dass der durch Alterung und Verschmutzung erwartete Lichtstromrückgang von der Steuerung nicht ausreichend kompensiert wurde.

Die Vor-Ort-Messungen umfassten auch die Oberflächenreflexion und die Auswirkung von Leuchtenreinigung. Die Reflexionsmessung der Holzoberflächen an den Innenwänden machte deutlich, wie stark diese über bereits kurze Zeiträume nachdunkeln. Die OSB-Wandbeplankung hatte seit dem Einbau 19 % an Reflexion im sichtbaren und sogar 28 % im melanopisch relevanten Spektralbereich verloren. Das zeigt die grosse Bedeutung, die der Materialwahl zukommt – denn diese Reduktion muss die Kunstlichtanlage kompensieren, um die nichtvisuellen Wirkungen sicherzustellen.

Auch der Einfluss der Verschmutzung der Leuchten war Bestandteil der Untersuchung. Mit nur 5% Lichtstromreduktion über zwei Betriebsjahre ist die Verunreinigung für einen Holzverarbeitungsbetrieb jedoch als gering einzustufen. 

Schritt 4: Dazulernen 

Im Rahmen des Projekts sowie des anschliessenden Monitorings konnte gezeigt werden, dass die Planung und Überwachung einer melanopisch wirksamen Beleuchtung grundsätzlich möglich ist. Der zusätzlich notwendige Energieverbrauch einer solchen Anlage ist nicht unerheblich, aber – entsprechende Planung vorausgesetzt – akzeptabel.

Die zusätzlichen Energiekosten stehen in keinem Verhältnis zu Mitarbeiterkosten oder den zu erwartenden Vorteilen einer wirksamen Lichtlösung. Die Mitarbeiterkosten liegen sogar bei einer solchen Arbeitsstätte um ein Hundertfaches (hier: Faktor 800) höher als die zusätzlichen Kosten für Kunstlicht­strom, wenn man beides auf den Quadratmeter herunterrechnet. Die Evaluation zur Nutzerzufriedenheit ist noch im Gang. Die Befragung der Mitarbeiter erwies sich als aufwendiger als ursprünglich gedacht. Bislang zeigt sich die Tendenz, dass die zusätzliche Beleuchtung am Tag im Winter zu signifikanter Ver­besserung beim Einschlafen sowie für die Zeit nach dem Aufstehen führt.

Bauherrschaften, Architekten und Planer sollten im Vorfeld unbedingt prüfen, ob bzw. inwieweit Tageslicht bereits die melanopische Wirksamkeit erfüllen kann, und erst im zweiten Schritt – auf Basis dieser Erkenntnisse – eine Kunstlichtanlage projektieren. Die Einhaltung der «nichtvisuell» wahrnehmbaren ­Parameter über die Anlagenlebensdauer ist eine der wichtigsten Fragen, denen sich Anlagenerrichter und -betreiber nicht nur in diesem Projekt, sondern künftig allgemein stellen müssen.

Anmerkungen

1 Melanopische Lichtwirkungen sind nichtvisuelle Lichtwirkungen, die über das Auge vermittelt werden. Sie umfassen u. a. die Melatoninsuppression bei Nacht, die Vigilanz/Aufmerksamkeit sowie die Synchronisa­tion an den Tag-Nacht-Rhythmus.

2 DIN SPEC 5031-100:2015-08 und 67600:2013-04. Derzeit gibt es sehr wenige offizielle Richtlinien, die Planungsempfehlungen für melanopische Lichtwirkungen geben. Die DIN SPEC (mögliche Basis für eine zukünftige Norm) sind erste Ausläufer. In der Schweiz und international wird viel dazu geforscht, doch im breiten Normenmarkt wird sich dieses Thema erst in den kommenden Jahren festigen.

Am Bau Beteiligte


Bauherrschaft
Isar-Würm-Lech IWL

Architektur
Architekten Hermann Kaufmann ZT GmbH

Lichtplanung und technisches Monitoring
3lpi lichtplaner & beratende ingenieure

Begleitforschung
Prof. Dr. Herbert Plischke


Glossar

Die Chronobiologie ist die Lehre von zeitlichen Zusammenhängen biologischer Prozesse.

Eine dynamische Beleuchtung verändert sich im Zeitablauf, zum Beispiel bei der Beleuchtungsstärke, der Lichtfarbe oder in der Lichtrichtung.

Eine circadiane Beleuchtung verändert ihre spektrale Zusammensetzung im Tagesverlauf analog zum Tageslicht.

Die Beleuchtungsstärke gibt den Lichtstrom an, der von einer Lichtquelle auf eine bestimmte Fläche trifft. Sie wird in Lux gemessen.

Die Farbtemperatur beschreibt die Lichtfarbe einer Lampe in Kelvin: <3300 K (warmweiss), 3300–5300 K (neutralweiss), >5300 K (tageslichtweiss)

Die Lichtstärke ist der Teil des Lichtstroms, der in einer bestimmte Richtung strahlt (Masseinheit: Candela)

Mit Lichtstrom bezeichnet man die Lichtleistung einer Lichtquelle, gemessen in Lumen. Sie beschreibt die Strahlung, die Lichtquellen in Form von sichtbarem Licht abgeben.

Melanopisch wirksame Beleuchtung regt die Produktion  von Melanopsin an; der Fotorezeptor im Auge, der die innere Uhr beeinflusst, wird aktiv.

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