Wie nach­hal­tig ist das, was wir hier trei­ben?

Umwelt - Journalismus

Über die Gemeinsamkeiten von Journalismus und Nachhaltigkeit – unter besonderer Würdigung der Rolle des kurfürstlichen Walds in Sachsen.

Publikationsdatum
18-09-2014
Revision
18-10-2015

Welche Nachrichten die Medien überhaupt oder mit gebührendem Respekt aufgreifen, erscheint oft schleierhaft. Selbst wichtige Meldungen sind Zeitungen oft nur ein paar kümmerliche Zeilen wert. Diesen Sommer ist beispielsweise aufgefallen, dass schlechte Konsumgewohnheiten offensichtlich keine spannende Geschichte mehr ergeben, sondern nur spärlich Beachtung finden.

Ungeniert nutze ich als Umweltjournalist den mir zur freien Verfügung gestellten Platz zur Korrektur: Das Bundesamt für Umwelt hat nämlich herausgefunden, dass die Schweiz ihr vielbeschworenes vorbildliches Umweltverhalten ablegt und ökologische Trittbrettfahrerin ist. Doppelt so viele Ressourcen werden verschleudert, wie es die artenreiche Natur, die schützende Umwelt und das wärmende Klima eigentlich ertragen.

Finden Sie nicht auch, dass die Zukunft unseres Planeten ein aktuelles, relevantes (und kein abgedroschenes) Thema ist? Um Ihr Interesse noch stärker zu wecken, zähle ich nun aber nicht die üblichen Verdächtigen auf – den protzigen SUV des Nachbarn, die gedankenlose Wegwerfgesellschaft oder die profitgierige Ökonomie –, sondern streiche dazu die eigene Verantwortung heraus. Der Zustand der Umwelt betrifft auch die schreibende Zunft! Wie nachhaltig verhält sich der Journalismus selbst  

Die Anfangsrecherche erzielt einen ermutigenden Befund: Nachhaltigkeit und Journalismus besitzen fast dieselben Wurzeln; sie gründen – das sei hier behauptet – beide im sächsischen Wald. Die vielzitierte Formel, so viel Holz zu schlagen, wie im gleichen Forstrevier nachwachsen kann, wird Oberberghauptmann Hans Carl von Carlowitz zugeschrieben, der im 18. Jahrhundert in Freiberg bei Dresden lebte. Gut 100 Jahre später und nur 70 Kilometer weiter östlich stellte der sächsische Webermeister Friedrich Gottlob Keller erstmals Papier aus Holzfasern her. Und die erste Tageszeitung der Welt ist wo erschienen? Vor fast 400 Jahren in Leipzig, mitten im ostdeutschen Freistaat Sachsen!

Zugegeben: Die geografische Nähe besitzt wohl eher zufälligen als substanziellen Charakter; für die Nachhaltigkeitsbilanz der modernen Druck- und Medienbranche spricht jedoch, dass der Wald als Rohstoffbasis fast keine Rolle mehr spielt. Zeitungen und Fachmagazine werden in der Schweiz zu über 90 % auf Altpapier gedruckt. Unzufriedene Leser dürfen die Lektüre sogar getrost beiseite legen, der vorbildliche Wertstoffkreislauf bleibt unberührt. Journalisten können die Effizienz der Altpapierverwertung hingegen verbessern, wenn nicht andauernd das Gleiche geschrieben, sondern thematische Vielfalt produziert und wirklich Neues aufgedeckt wird. 

Der effektive Beweis, wie nachhaltig die journalistische Schreibarbeit ist, ist damit zwar nicht erbracht. Fortgesetzt wird diese Recherche aber nun mit einer Analyse, die auf der Kraft der jeweiligen Worte beruht. Tatsächlich bestätigt die Suche in Internet und Duden, dass sich der Umgang mit den Begriffen und die Wahrnehmung von Nachhaltigkeit und Journalismus verblüffend ähnlich sind: Beide Wirkungsfelder sind keine exakte Wissenschaften; ihr Ruf ist bisweilen nicht der beste, und die Qualität wird subjektiv und individuell verstanden.

«Nachhaltigkeit» hat seine Karriere als Fremdwort begonnen und schwirrt inzwischen als beliebiger Mode- und Reklamebegriff umher. Eine zweifelsfreie Deutung scheitert auch daran, dass es den klar bestimmbaren Sinn laut Deutscher Bibliothek nicht gibt. «Nachhaltig» besitzt stolze 150 Synonyme, weshalb man nicht nur zwischen «a» wie anhaltend, «b» wie beeindruckend, «d» wie durchschlagend und «w» wie wirksam auswählen kann.

Ähnlich deutungsoffen ist die journalistische Arbeit; immerhin fallen mir nur vier Lesarten ein: Selbst versuche ich jeweils aktuelle, wesentliche (positive wie unangenehme) Inhalte aufzugreifen. Die neugierige Leserschaft soll dadurch verständlich informiert, fundiert aufgeklärt und auch unterhalten werden, nehme ich an. Doch spätestens die angemessene Tiefe und optimale Textlänge allgemeingültig zu beurteilen wird unlösbar.

Der Verleger wiederum übt sich im Spagat: Er braucht packende, verkaufsträchtige Geschichten und ebenfalls wohlgesonnene Inserenten. Sensible Reaktionen lassen hier manchmal Interessenkonflikte vermuten. Und Informanten, die oft nicht ganz selbstlos Zugang zur Öffentlichkeit suchen, halten Medienschaffende zusätzlich auf Trab. 

Geschriebene oder telefonische Ein- und Widersprüche sind Redaktionsalltag; die Grenzen des Anstands gegenseitig achtend, ist jedes Echo willkommen und beweist, dass Journalismus nachhaltig funktioniert. Nachhaltig über nachhaltige Themen zu schreiben ist daher die Königsdisziplin. Einzig davor hüten werde ich mich, ein derart mehrdeutiges und missverständliches Wort wie «nachhaltig» zu oft zu verwenden. Wussten Sie übrigens, dass lästig, herb und rigoros ebenfalls Synonyme sind  

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