Ein neu­er Quar­tier­bau­stein für Thun

Im Thuner Bohnstaudenquartier sollen drei Wohnbauten aus den 1980er-Jahren einem verdichteten Neubau mit viel städtebaulicher Präsenz weichen. Der Erhalt des Bestands war nach dem Gutachterverfahren vom Tisch. Im Wettbewerb wagten dennoch zwei Teams den Vorschlag.

Publikationsdatum
19-04-2024

Thun ist die Kernstadt einer Agglomeration, die 15 Gemeinden umfasst und heute bereits 44 000 Einwohnerinnen und Einwohner zählt. Gemäss den Statistiken des Bundes soll Thun in den kommenden 15 Jahren um nochmals rund 5000 Personen anwachsen. Um diese Entwicklung zu katalysieren, erarbeitete die Stadt eine Ortsplanungsrevision, deren Grundlage das Stadtentwicklungskonzept Thun (STEK 2035) bildet. Das STEK 2035 dient nicht nur der Freiraum- und Verkehrsplanung sowie der Quartier- und Arealplanung als Basis, sondern auch den Anpassungen von Baureglement und Zonenplan. Die ebenfalls darauf basierende Ortsplanungsrevision liegt zur Genehmigung beim Kanton. Im STEK 2035 sind Quartiere für die Aufnahme des erwarteten Wachstums ausgewiesen.

Dazu gehört auch das Vier­tel Neufeld nordwestlich der Innenstadt, das mit Scherzligen und Dürrenast zu den jüngeren Wohnvierteln zählt. Nach der Eingemeindung 1920 nahmen die neuen Stadtteile ab den 1950er-Jahren und insbesondere in den 1970er-Jahren das grös­ste Bevölkerungswachstum auf – auch, weil hier genügend Bauland zur ­Verfügung stand. Ein Grossteil des geplanten Wachstums wird hier stattfinden, die entsprechende In­fra­struk­tur mit Kindergärten und Schulen und eine gute Anbindung an den ÖV sind vorhanden. 

Das angrenzende Quartier Schoren tritt heute vor allem als Gewerbestandort in Erscheinung, das Nebeneinander von Gewerbepark und alten Bauernhäusern steht sinnbildlich für die Entwicklung. Bereits in der Vergangenheit hat das Bevölkerungswachstum in den Aussenquartieren von Thun zur Überformung von bestehenden Strukturen geführt – mit dem Gebot der Innenentwicklung wird dies noch gesteigert.

Das Bohnstaudenquartier wächst

Die zu ersetzenden Liegenschaften Bubenbergstrasse 20–30 und Von May-Strasse 2–6 mit insgesamt 72 Wohnungen der Berner Pensionskasse Previs Vorsorge liegen an der Schnittstelle der Quartiere Neufeld und Schoren im sogenannten Bohnstaudenquartier. Auf der konisch zulaufenden, vergleichsweise kleinen Parzelle stehen drei Wohnbauten aus den 1980er-Jahren. Die drei gestaffelten viergeschossigen Baukörper mit an den Strassen liegenden Hauszugängen sowie wenig definierten Aussenräumen sind sichtbar gealtert. Das Wohnangebot besteht ausschliesslich aus 3- und 4-Zimmer-Woh­nun­gen. Es soll durch zeitgemässe Grundrisse ersetzt werden, die eine grössere soziale und demografische Durchmischung sowie eine höhere Dichte ermöglichen.

Für die notwendige Zonenplanänderung wurde das Areal aus der laufenden Gesamtrevision he­rausgenommen und im Rahmen eines Gutachterverfahrens mit anschliessendem Projektwettbewerb spezifisch betrachtet. Eingefordert hat das Wettbewerbsverfahren die Stadt Thun, aber auch die Bauherrschaft war daran interessiert: «Ein zweistufiges Verfahren wählten wir für unsere sanierungsbedürftigen Liegenschaften aus der Aufgabenstellung heraus. In einem ersten Schritt wollten wir ergebnis­offen verschiedene Szenarien prüfen, um in einem zweiten Schritt unsere Bestellung zu konkreti­sie­ren», erklärt Christoph Stäger, Leiter Portfoliomanagement Immo­bilien bei Previs. 

Nach Abschluss des Gutachterverfahrens entschied man sich gegen den Erhalt. Der Abbruch von Bausubstanz aus den 1980er-Jahren sei aus der Klimaschutzperspektive kritisch betrachtet worden. Es habe sich jedoch gezeigt, dass die Neubauten in der Gesamtbetrachtung, also in ihrem gesamten Lebenszyklus, sowie in Relation zur Nutzfläche klimaschonender seien und einen grösseren Beitrag zur Siedlungsentwicklung leisten könnten.

Strategien der Innenverdichtung 

Das Wettbewerbsprogramm wurde entsprechend formuliert und der Erhalt der Bausubstanz ausgeschlos­sen. Trotzdem haben zwei Teams vorgeschlagen, die Siedlung zu bewahren. Die Jury hat sie nicht vom Verfahren ausgeschlossen, um die Frage «Erhalt oder Erneuerung» nochmals kritisch zu validieren. Die beiden Arbeiten wurden ausführlich gewürdigt, jedoch nicht rangiert.

Der Beitrag «BMV bleibt!» von Akkurat Bauatelier mit Duo Architectes paysagistes erhält alle ­Bauten und verlegt die strassenseitige Erschlies­sung auf die Hofseite. Den entstehenden Aufwand kritisierte die Jury ebenso wie den vollständigen Rückbau der Wohnungsgrundrisse, die Eingriffe in die Sta­tik und die Erneuerung der ­Fassade. Die bestehenden indifferenten Aussenräume der Siedlung könnten mit dem Erhalt nicht signifikant verbessert werden.

Das Projekt «Von-May-Hof» von Oxid Architektur mit Vetschpartner Landschaftsarchitekten wählt eine schlüssige Kombination aus Erhalt und Neubau: Die beiden Wohnzeilen zur Bubenberg- und Von May-Strasse bleiben stehen und werden aufgestockt, während die zum Quartierweg und Kindergarten gelegene dritte Zeile durch ein L-förmiges, an den Grenzabstand geschobenes Volumen in Holzbauweise ersetzt wird. Dadurch entsteht ein grosszügiger Hofraum im Zentrum der Siedlung. Das riesige, zeittypische Untergeschoss wird erhalten und weitergenutzt. Der neue, nach Südwesten orientierte Riegel ist zur angrenzenden Bebauung fünf-, zum Kindergarten hin sechsgeschossig. 

Die Wohnhäuser werden wie bei «BMV bleibt!» über den gemeinsamen Hof erschlossen, bei den Bestandsbauten wird die Erschlies­sung ebenfalls verlegt. An den Kopfenden docken Zimmertürme an, um die Wohnungen räumlich zu ergänzen. Die bestehende Raumhöhe von 2.36 m wird im Erdgeschoss und bis zum zweiten Obergeschoss durch raumhohe Fenster kompensiert, mit der Aufstockung wird die lichte Höhe angepasst. Die Weiterentwicklung der Grundrisse überzeugt, die wenigen Eingriffe im Bestand ermöglichen ein zeitgemässes Wohnangebot. 

Die neuen Fenster, die Aufstockung und die mit dem neuen Verputz einhergehende Farbigkeit ändern das Erscheinungsbild des Bestands grundlegend: Die mit Glasbausteinen verkleideten, halb­rund in den Hofraum ragenden Treppenhäuser betonen die Staffelung der Baukörper, bringen einen gewissen Rhythmus in den Aussenraum und verleihen den Bauten eine neue Leichtigkeit. Der Neubau übernimmt dieses Formenrepertoire, sodass eine harmonische Gesamtanlage entsteht. Der «Von-May-Hof» sei weniger öffentlich angelegt als die mit dem ersten Preis ausgezeichnete Arbeit, so die Kritik der Jury. Doch die Arbeit «Von-May-Hof» zeigt, dass ein Teilerhalt der Siedlung möglich wäre und dabei qualitätvolle Wohn- und Aussenräume entstehen könnten.

Städtebau und Grünraum siegen

Der siegreiche Beitrag «Divertimento» von Brügger Architekten mit bbz Landschaftsarchitekten setzt als Auftakt zum Areal an die Kreuzung von Bubenberg- und Von May-Stras­se einen kompakten siebengeschossigen Kopfbau, dem ein kleiner Platz vorgelagert ist. Auf den Kopfbau folgt an der Bubenbergstrasse ein sechsgeschossiger Riegel, während zur Von May-Strasse vier- und fünfgeschossige Einzelkörper stehen, die zur nordwestlich anschliessenden Wohnbebauung, dem Kindergarten und der Schule Durchlässigkeit schaffen. Vor dem Hintergrund der geplanten Quartierentwicklung ist dieser Ansatz richtig. Die Aufteilung in fünf Baukörper bricht die Grös­se der Gebäude, die den Auftakt für einen neuen Massstab im Quartier bilden. 

Die Ausbildung eines Platzes ist daher gut vorstellbar: Die zentrale Wiesenfläche, die allen Bewohnenden offensteht, ist umschlossen von einem Wegenetz, an das die Zugänge zu den Wohnhäusern angebunden sind. Der Riegel zur Bubenbergstrasse wird in Holzbauweise erstellt, die Punkthäuser in Holz-­Hybridbauweise und die neu zu erstellenden Untergeschosse in Massivbauweise. Diese halten den Innenhof von Unterbauungen frei, um ausreichend Wurzelfläche für die Bepflanzung zu schaffen.

Der Abbruch der Untergeschosse ist gleichzeitig der kritische Punkt bei «Divertimento»: Der Rück- und Neubau einer neuen unterirdischen In­frastruktur mit gleichem Angebot ist auch dann gewichtig, wenn dieses neue Untergeschoss kleiner ausfällt und damit Raum für Baum­pflanzungen frei lässt. 

Die Auslobung zeigt die Herausforderungen beim Umbau und der Nachverdichtung bestehender Quartiere. War das Bohnstaudenquartier in den 1970er-Jahren als Wohnquartier angelegt, so wird es neu zu einem eigenen Stadtteil mit dem entsprechenden Bedarf an Infrastruktur. Die Ausbildung von öffentlichen Platzräumen und das Angebot an Gewerbeflächen sowie öffentlichen Aufenthaltsbereichen muss neu entwickelt werden. «Divertimento» erfüllt diese Anforderungen und schafft einen qualitätvollen Quartierbaustein.

Jedoch muss dafür junge Bau­substanz rückgebaut werden und es bleibt die Frage, ob ein ebenso zufriedenstellendes Ergebnis nicht auch mit einem Teilerhalt des Bestands hätte erreicht werden können.

Entwicklung Bubenberg- und Von May-Strasse (BVM), Thun
Projektwettbewerb im Einladungsverfahren

 

Rangierte Projekte

 

1. Rang, 1. Preis: «Divertimento»
Brügger Architekten, Thun; bbz Landschaftsarchitekten, Bern; Indermühle Bauingenieure, Thun

 

2. Rang, 2. Preis: «Zweimaleins­undeins»
ARGE Ernst Gerber Architekten + 
Planer, Liebefeld / Rykart Architekten, Liebefeld; Klötzli Friedli Landschafts­architekten, Bern; Pirmin Jung Holzbauingenieure, Thun

 

3. Rang, 3. Preis: «Andantino»
Dällenbach/Ewald Architekten, Steffis­burg; w+s Landschaftsarchi­tekten, Solo­thurn; Indermühle Bau­ingenieure, Thun

 

4. Rang, 4. Preis: «Chlorophyll»
Bauart Architekten und Planer, Bern; Chaves Biedermann, Frauenfeld; Makiol Wiederkehr, Beinwil am See

Fachjury

 

Katrin Jaggi, Architektin, Zürich; Sabrina Contratto, Architektin, Zürich; Tina Kneubühler, Landschaftsarchitek­tin, Bern; Christophe Sigrist, Professor Fachbereich Holz, Fachhochschule Biel; Orfeo Otis, Architekt, Liebefeld

 

Sachjury

 

Christoph Stäger, Leiter Portfolio Management Immobilien, Previs Vorsorge; Angela Guerriero, Leiterin Immobilien­bewirtschaftung und -vermarktung, Previs Vorsorge; Florian Kühne, Stadt­architekt, Stadt Thun; Stefan Wagner, Fachleiter Entwicklung und Projekt­leitung, Previs Vorsorge (Ersatz); Tobias Borer, Projektleiter Stadtplanung, Stadt Thun (Ersatz)

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