Wie­der­ge­won­ne­ne Gran­dez­za

Erneuerung Westflügel, Bahnhof Basel SBB

Im Juni 2021 wurde der umgebaute und instand gesetzte Westflügel am Bahnhof Basel SBB eröffnet. In 14 Jahren Bau- und Planungszeit gelang es der ARGE Roost / Menzi Bürgler, vergessene Qualitäten des Baus ans Licht zu bringen und ihn für zeitgenössische Anforderungen fit zu machen.

Publikationsdatum
23-01-2022

In Basel lag einst das Tor zur Welt. Oder immerhin nach Frankreich. Denn Basel war 1844 die erste Schweizer Stadt mit einem Eisenbahnanschluss. Und der führte nicht, wie die Spanisch-Brötli-Bahn der zwinglianischen Zürcher drei Jahre später, in einen Kur­ort voll Gebäck und Badevergnügen, sondern über die Landesgrenze bis nach Strassburg. Dafür brach man im Quartier St. Johann eigens die Stadtmauer auf – eben für jenes eingangs erwähnte Tor. Ganz geheuer war den Baslern diese Verbindung indes nicht – abends wurde das Tor verriegelt, die dazugehörige Brücke über den Rhein bestand aus Holz, um sie im Kriegsfall abfackeln zu können.

Dennoch war das Konzept offenbar erfolgreich, denn schon 15 Jahre später liessen Stadt und die 1853 gegründete Schweizerische Centralbahngesellschaft den Centralbahnhof am heutigen Standort erstellen.Er verband die Stadt schienentechnisch auch mit dem Rest der Schweiz. Noch heute ist Basel der grösste Grenzbahnhof Europas, was sich auch baulich zeigt: Der Westflügel wird von der französischen Bahn SNCF genutzt, inklusive eigener Gleisanlagen und der für den Zoll notwendigen Einrichtungen.

Mehr reisen, mehr kaufen

Das Gebäude geht zurück auf einen Entwurf der örtlichen Architekten Emil Faesch und Emanuel La Roche. Sie bauten zwischen 1905 und 1907 ein repräsentatives Gebäude mit neobarocker Fassade und ausser­gewöhnlichen Dimensionen: Rund 220 m lang ist der denkmalgeschützte Bau – geschuldet der Tatsache, dass der «Elsässerbahnhof» der SNCF im Westflügel an den eigentlichen Hauptbahnhof angehängt ist.

Mit durchschnittlich rund 135 000 Reisenden pro Werktag liegt der Bahnhof Basel SBB heute in den Top Ten der meistfrequentierten Schweizer Bahnhöfe. Das macht den Bau auch als Retailfläche interessant, seit der Realisierung des ShopVille im Zürcher HB ein wichtiges finanzielles Standbein von SBB Immobilien.

In der Vergangenheit führten die Erhöhung des Passagiervolumens sowie die Verlagerung weg vom reinen Reisen hin zu mehr Konsum zu einer Maximierung an vermietbarer Fläche. So wurde ­bereits 1944 ein Zwischengeschoss in den Quergang zwischen Haupthalle und Elsässerhalle im Westflügel gezogen, das neben dem grosszügigen Raumeindruck auch das durch die Oberlichter einströmende Tageslicht abklemmte – nur ein Beispiel für zahlreiche Um- und Anbauten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Aufgeräumt und tiefergelegt

Der Ansatz, den die mit dem Umbau und der Restaurierung des Westflügels betreute Arbeitsgemeinschaft von Patrick Roost und Oliver Menzi wählte, war also nur folgerichtig: erst einmal aufräumen, dann vorhandene Qualitäten stärken. 2007 hatten die SBB einen Wettbewerb für einen Masterplan für die Durchwegung des gesamten Bahnhofs ausgeschrieben, aus dem sich für die damaligen Nachwuchsarchitekten Menzi und Roost letztlich das Projekt für die Instand­setzung des Westflügels ergab. Das Personenfreizügigkeitsabkommen 2002 sowie der Beitritt der Schweiz zum Schengener Abkommen 2008 hatten die Einrichtungen des französischen Zolls in der Elsässerhalle zudem weitgehend überflüssig gemacht.

Aufräumen und gleichzeitig neue Fläche schaffen ist eine Gleichung, die nicht aufgehen kann. Die Architekten bedienten sich daher eines Kniffs: Sie räumten den verbauten Quergang frei und verlegten die gewünschten Verkaufsflächen in das neu geschaffene Untergeschoss unter dem Westflügel. Mit aufwendigen Verfahren musste man die bestehenden Bahnhofsmauern mit ca. 380 Mikropfählen unterfangen und auch die knapp an der Baugrube vorbeiführenden Gleise sichern.

Erschwert wurden diese ohnehin aufwendigen Arbeiten unter laufendem Betrieb durch die erst beim Bau entdeckte Tatsache, dass die über hundertjährigen Mauern keineswegs aus homogenem Material bestehen. Im Gegenteil, es existiert auch auf kleinstem Raum eine Vielzahl an Baustoffen, sodass auch Sondierungen nicht unbedingt konstruktive Klarheit brachten. Die Planenden mussten so jeweils situativ auf die indivi­duellen Befunde eingehen, eine Multiplikation von Details war nur bedingt möglich.

Mehr Licht, mehr Sicht

Für diesen Kraftakt brauchte es sechs Jahre Planungs- und vier Jahre Bauzeit sowie eine Bausumme von rund 100 Mio. Franken. Neben den technisch notwendigen Arbeiten wie dem Einbau einer zeitgemässen Gebäudetechnik, den nötigen Massnahmen für Erdbebensicherheit und Brandschutz sowie einer Schadstoffsanierung gelang es den Architekten, Räume von nahezu südländischer Heiterkeit zu schaffen. Biegt man heute aus der eher düsteren Haupthalle in den Verbindungsgang zum Westflügel, wähnt man sich schon fast jenseits der Alpen. Vorbild für die Ladengeschäfte im Quergang seien die Mailänder Galerien gewesen, meint denn auch Architekt Patrick Roost. Ein dezentes Material- und Farbkonzept mit einem Kalkputz in Grau-Beige, ein Terrazzoboden, der instand gesetzte Naturstein und Metallrahmen in Messingtönen tragen zur Eleganz bei, ebenso die ­einheitliche Beschriftung.

Ein Gewinn ist auch das Tageslicht, das über die restaurierten und wieder freigelegten Oberlichter ins Innere strömt. Zusammen mit dem Kunstlicht, einer Mischung aus dezenter Hintergrundbeleuchtung und markanten Pendelleuchten, ergibt sich eine freundliche Atmosphäre, die nicht mehr an den verstellten, etwas heruntergekommenen Bahnhof vor dem Umbau erinnert. Die heute so selbstverständlich wirkenden Pendelleuchten sind übrigens eine echte Trouvaille: Sie stammen aus den 1960er-Jahren und hingen lange Zeit unbeachtet im zuletzt ungenutzten Wartesaal, bevor sie zur Inspiration für die neue Beleuchtung avancierten. Ein weiterer Pluspunkt des Umbaus sind die wiederhergestellten Sicht­achsen zum Gleis. Auf der Südostseite des Bahnhofs öffneten die Architekten die teilweise zugebaute oder verstellte Fassade. So fällt die Orientierung im Gebäude leichter, der Bahnhof in seiner eigentlichen Funktion wird spürbar.

Verborgene Schätze

Die Umbauarbeiten folgten grundsätzlich einem restaurativen Ansatz: erhalten, wo möglich, nach historischem Vorbild ergänzen, wo nötig. Die Holztäfelungen der Decke in der Elsässerhalle und die Wandtäfer der Buffets wurden sorgfältig aufgefrischt und restauriert, ebenso wie die kostbaren Wandbilder. Alle neuen Einbauten – etwa der Zollpavillon auf den französischen Perrons oder die zusätzliche Fläche auf Gleisseite im Erdgeschoss vor den ehemaligen Buffets – heben sich in zeitgenössischer Formensprache vom Bestand ab.

Den Passagieren weitgehend verborgen bleiben die ebenfalls renovierten Obergeschosse des Bahnhofs. Sie ergänzen das Angebot an Mietflächen und punkten mit eigenwilligen Grundrissen rund um die tiefen Oberlichter und einer teilweise sichtbaren Dachkonstruktion. Einziger Spielverderber der neuen Grandezza ist wieder einmal das Virus: Wegen Corona zogen sich einige Mieter zurück, die Lokalitäten an der Elsässerhalle sind daher ­bisher nur zu einem Teil besetzt. Es ist den Beteiligten zu wünschen, dass der südlichen Atmosphäre schon bald die mediterrane Lebendigkeit folgt.

Informationen

 

Verfahren
Selektiver Projektwettbewerb 2007, 1. Rang


Planung
2007 – 2020


Inbetriebnahme
2021


Investitionsvolumen
100 Mio. Fr.


Geschossfläche
16 680 m2

Am Bau Beteiligte

 

Bauherrschaft
SBB Immobilien Development Bahnhöfe, Zürich


Projektsteuerung
Aegerter & Bosshardt, Basel


Architektur, Generalplanung
ARGE Roost / Menzi Bürgler: Patrick Roost Planung Architektur, Bern; Menzi Bürgler Architekten, Zürich; Itten + Brechbühl, Zürich


Kostenplanung und Ausschreibung
DGA Baumanagement, Rotkreuz; CSG Baumanagement, Basel


Tragkonstruktion
WAM Planer und Ingenieure, Bern


HLKK-Planung /Fachkoordination
Waldhauser + Hermann, Basel

Sanitärplanung
Gruner Gruneko, Basel


Elektroplanung / Strahlenschutz
Actemium Schweiz, Basel


Bauphysik
Bakus Bauphysik & Akustik, Zürich


Brandschutz
AFC Air Flow Consulting, Basel


Lichtplanung
Reflexion, Zürich


Fassadenplanung
Sutter + Weidner, Biel


Baulogistik / Verkehrsplanung
Basler & Hofmann, Esslingen


Begleitung Restaurierung
Stöckli, Stans


Altlastensanierung
Jehle Umweltdienste, Mumpf

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