Wie steht es um die nachhaltige Beschaffung?
Der Vergabemonitor vom Dachverband Bauenschweiz, dem SIA und weiteren Verbänden untersucht den Kulturwandel im öffentlichen Beschaffungswesen. Die dritte Ausgabe vom Herbst 2023 zeigt: Die Richtung stimmt, das Tempo nicht.
Seit drei Jahren hat die Schweiz mit dem Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) ein neues Submissionsgesetz. Das Gesetz fordert einen nachhaltigen Einsatz der Mittel. Den Zuschlag erhält nicht mehr das günstigste, sondern das vorteilhafteste Angebot. Dabei werden ökologische, ökonomische und soziale Aspekte beachtet. Für die Kantone ist die Interkantonale Vereinbarung über das öffentliche Beschaffungswesen (IVöB) massgebend. Dieser sind unterdessen fast alle Kantone beigetreten oder befinden sich in Beitrittsverfahren.
Der durch das neue Gesetz geschaffene Paradigmenwechsel bildet einerseits den gesellschaftlichen Willen nach einem nachhaltig gestalteten Lebensraum ab. Andererseits ist er für die Bau- und Planungsbranche ein notwendiger und ersehnter Wendepunkt: Endlich können sich die Planungsbüros und Bauunternehmen mit der Qualität ihrer Arbeit um Aufträge bewerben, statt sich wie bis anhin in der Dumpingspirale zu drehen.
Vom Papier in die Praxis
Ein neues Gesetz macht schon einen Frühling, aber noch keinen Sommer. Denn ausschlaggebend ist der Kulturwandel in der Praxis bei den grossen Beschaffungsstellen des Bundes wie dem Bundesamt für Strassen ASTRA, dem Bundesamt für Rüstung (Armasuisse) oder dem Bundesamt für Bauten und Logistik BBL sowie den unzähligen Beschaffungsstellen der Kantone, Städte und Gemeinden. Sie alle zusammen bestellen jährlich Bau- und Planungsleistungen in zweistelliger Milliardenhöhe und sind in der Koordinationskonferenz der öffentlichen Bauherren der Schweiz der KBOB, zusammengeschlossen. Im Auftrag des Bundesrates hat die KBOB in den letzten Jahren unter Mitwirkung von Bauenschweiz, dem SIA und weiteren Verbänden ihre Beschaffungsleitfäden der neuen Gesetzgebung und den neuen Zielen angepasst.
Die Praxis ist also auf dem Papier definiert. Doch die Umsetzung in den einzelnen Beschaffungsstellen wird im föderalen System der Schweiz nicht zentral gesteuert, nicht einmal überprüft. So kommt es, dass die einzelnen Organe ihre eigenen Richtlinien erstellen und eigene Praktiken entwickeln.
Kantone sprechen keine gemeinsame Sprache
Um sichtbar zu machen, wie sich die Beschaffungspraxis verändert – also ob die Beschaffungsstellen der neuen gesetzlichen Grundlage gerecht werden – haben sich Bauenschweiz, der SIA und weitere Verbände mit der Firma Politaris zusammengetan und den Vergabemonitor entwickelt. Die am 11. Januar 2024 publizierte dritte Ausgabe umfasst über 90`000 Publikationen der Ausschreibungsplattform simap von Januar 2018 bis Ende September 2023. Nach einer schwächeren Phase im Jahr 2022 haben ab 2023 wichtige Indikatoren des Kulturwandels bei öffentlichen Vergaben wieder verhalten an Fahrt aufgenommen: Bei vielen Indikatoren zeigen sich leicht positive Trends.
Der Anteil qualitativer Zuschlagskriterien betrug Ende September schweizweit 51.6% im gleitenden Jahresmittel und lag damit um 0.6% höher als im ersten Quartal. Bei Bauleistungen beträgt die Qualitätsgewichtung im Mittel 42.9%, bei Ingenieurleistungen 65.2% und bei Architekturleistungen 67.4%.
Für leistungsorientierte Beschaffungen von Planungsleistungen sieht die SIA 144 Ordnung für Planerwahlverfahren in der Regel eine Qualitätsgewichtung von 75 bis 80% vor, die KBOB mit dem Leitfaden zur Beschaffung von Planungsleistungen bei «durchschnittlich schwierigen Projekten oder Bauleitungen» 60 bis 80%. Diese Zielgrössen sind also noch in weiter Ferne. Zusätzlich zeigt ein Blick auf die Karte: Im Qualitätsbewusstsein sprechen die Kantone (noch) keine gemeinsame Sprache.
Zunahme der Nachhaltigkeitskriterien
Deutlich stärker zugenommen hat der Anteil der Nachhaltigkeitskriterien, um +17.8% seit dem ersten Quartal 2023 auf 7%. Die Zunahme ist jedoch geringer als im Vorjahresquartal (+30.6%). Seit dem letzten Frühling am stärksten zugenommen haben die Kriterien bei Planungsleistungen, um 35.3% bei Ingenieur- sowie um 58,5% bei Architekturaufträgen. Weiter zugenommen haben die Zuschlagskriterien Innovation (+63.5%) und die Plausibilität des Angebotes (+25.1%). Deren Anteile sind im gleitenden Mittel mit 0.3% bzw. 0.7% vergleichsweise gering. Das Kriterium «Verlässlichkeit des Preises» wurde in den letzten zwei Quartalen nur dreimal beobachtet.
Mehr Wettbewerbe und Studienaufträge
Der Einsatz von Studienaufträgen und ähnlichen Dialogverfahren hat um 22.6% zugenommen, besonders stark ist die Zunahme bei Architekturaufträgen zu beobachten. Insgesamt wurden Wettbewerbsverfahren im dritten Quartal seltener eingesetzt als im ersten Quartal 2023. Reine Planungswettbewerbe nahmen jedoch zu: Das zeigt, dass Gesamtleistungswettbewerbe insgesamt seltener durchgeführt werden. An Bedeutung gewonnen haben Ideenwettbewerbe: Bei Architekturleistungen machen sie 7.7% aller Ausschreibungen aus und Projektwettbewerbe 15.9%.
Wegweiser Planungsbeschaffung
Zur Unterstützung von Bauherrschaften bei der Definition der angemessenen Beschaffungsform und der hochwertigen Durchführung von Vergabeverfahren hat der SIA den «Wegweiser Planungsbeschaffung» initiiert und mit Bauenschweiz, dem Bund Schweizer Architektinnen und Architekten BSA, der Schweizerischen Vereinigung Beratender Ingenieurunternehmungen suisse.ing und dem Bund Schweizer LandschaftsarchitektInnen BSLA entwickelt. Ab Mitte Januar gibt es neben dem «Beschaffungsformfinder» auch eine Auswahl an Beispielen.
Das von Bauenschweiz initiierte und von Mitgliedverbänden unterstützte Vergabemonitoring soll die Umsetzung des Kulturwandels im Beschaffungswesen messen.
Der Vergabemonitor Herbst 2023 ist auf der Webseite von Bauenschweiz abrufbar: bauenschweiz.ch/
Diskussion an der Swissbau
Am 16. Januar 2024 diskutieren Cristina Schaffner, Bauenschweiz, und Laurindo Lietha, SIA, mit Mario Marti, suisse.ing, sowie Guido Biaggio, ASTRA, und dem Berner Kantonsbaumeister Lorenz Held die Umsetzung des neuen Beschaffungsrecht an der Swissbau in Basel.
Dabei sollen die Fragen, die die Resultate des Vergabemonitors aufwerfen, beantwortet werden:
- Welche Schritte sind noch notwendig, damit wir wirklich von einer nachhaltigen öffentlichen Beschaffung sprechen können?
- Welche Instrumente gibt es, welche braucht es noch?
Weitere Informationen und Anmeldung:
swissbau.ch