«Die DNA ei­nes fai­ren Ver­fah­rens»

Wettbewerb und Studienauftrag sind feste Bestandteile der Schweizer Vergabekultur. Die beiden Beschaffungsformen sind in den Ordnungen SIA 142 und SIA 143 geregelt. Zum Start der Vernehmlassung berichten Monika Jauch-Stolz, Präsidentin der Kommission SIA 142/143, und Kommissionsmitglied Daniel Furrer über die Revision.

Publikationsdatum
30-11-2022


Bereits 1877 hat der SIA erstmals die Spielregeln für den fairen Wettbewerb festgehalten. Jetzt revidiert die Kommission SIA 142/143 die Ordnungen für Wettbewerb und Studienauftrag zum ersten Mal seit zehn Jahren. Der Entwurf ist in der Vernehmlassung. Welche Art von Revision ist zu erwarten?

Monika Jauch-Stolz: Wir streben eine sanfte Revision an, die beiden Ordnungen sollen erkennbar bleiben. Die Kommission hat die Begriffe in den beiden Ordnungen harmonisiert und, wo nötig, mit den Begriffen des revidierten Bundesgesetzes über das öffentliche Beschaffungswesen abgeglichen. Es war uns wichtig, die Grundsätze – die DNA – eines fairen Verfahrens mit der Revision übersichtlich zusammenzufassen. Diese sind neu für die Leserschaft gut sichtbar in den ersten beiden Artikeln der Ordnungen aufgeführt.


Was sind die Grundsätze eines fairen Verfahrens?

Jauch-Stolz: Das sind die Gleichbehandlung der Teilnehmenden, ein transparentes Verfahren, eine unabhängige und fachkompetente Jury sowie eine angemessene Entschädigung beziehungsweise Preissumme. Auch der Umgang mit dem Folgeauftrag gehört dazu: Projektstudie und -wettbewerb müssen weiterhin einen Folgeauftrag haben. Zusätzlich hat die Kommission in diesem Punkt für Klarheit gesorgt und neu Ideenstudie und -wettbewerb ohne Folgeauftrag definiert, denn das sind schliesslich die Urheberrechte, die gewahrt werden müssen.

Daniel Furrer: Ein wichtiger Grundsatz ist die Angemessenheit der Beschaffungsform. Die Aufgabe soll die Art der Beschaffung und des Verfahrens bestimmen. Der revidierte Ordnungstext enthält am Anfang eine überarbeitete Tabelle mit einer Übersicht zu den Beschaffungsformen: Für die lösungsorientierte Beschaffung sind es der Wettbewerb und der Studienauftrag – für die leistungsorientierte Beschaffung ist es das Planerwahlverfahren. Anhand dieser Tabelle kann geprüft werden, welche Beschaffungsform für die jeweilige Aufgabe geeignet ist.


Das revidierte Bundesgesetz über das öffentliche Beschaffungswesen (BöB) hat bei der Revision eine wichtige Rolle gespielt. Wieso?

Jauch-Stolz: Das revidierte BöB hat die Revision angetrieben. Die Definition des «vorteilhaftesten Angebots» hat die Kommission darin bestätigt, Qualität an die erste Stelle zu setzen. Dabei ist klar: Eine gute Lösung ist immer auch wirtschaftlich. Dieses Verständnis geht Hand in Hand mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit.


Spätestens seit der Corona-Pan­demie prägen die digitalen Technologien unseren Arbeitsalltag. Inwiefern werden sie in der Revision thematisiert?

Furrer: Der Einsatz von digitalen Informationstechnologien darf nie dem Selbstzweck dienen. Er muss immer einen Nutzen bringen. Nach diesem Grundsatz erarbeitete die Kommission die Rahmenbedingungen für den Umgang mit der Digitalisierung. Die Ordnung erläutert neu diese Rahmenbedingungen in der Präambel. Die Details werden in den Wegleitungen festgehalten, denn diese haben einen kürzeren Re­visionszyklus als die Ordnungen. Mit ihnen steht der Kommission ein Instrument zur Verfügung, um auf die Geschwindigkeit im digitalen Bereich zu reagieren.


Die Kommission spricht sich für offene und schlanke Verfahren aus. Weshalb?

Jauch-Stolz: Die Bauherrschaft sollte bei der Durchführung eines Wettbewerbs daran interessiert sein, möglichst viele Lösungen für die Bauaufgabe zu bekommen. Mit einem offenen Verfahren kann die Bauherrschaft aus einer Vielfalt die beste Lösung für ihr Vorhaben wählen. Das ist auch eine nachhaltige Art der Nachwuchsförderung. Eine Präqualifikation kann dies nicht bieten und schränkt das Teilnehmerfeld ein. Wenn für eine Aufgabe ein Präqualifikationsverfahren notwendig ist, soll neu mindestens ein Nachwuchsbüro selektioniert werden.

Furrer: Die Kommission will schlanke Wettbewerbe fördern. Früher hat ein Planerteam für die Teilnahme an einem Wettbewerb zwischen 300 und 500 Stunden gebraucht. Heute sind es bis zu 1500 Stunden. Dieses Problem haben Planende und Bauherrschaften in die Kommission getragen. Die bestehende Ordnung ermöglicht bereits die Durchführung solch schlanker Verfahren. Mit der Revision hat die Kommission die Rahmenbedingungen stärker herausgearbeitet.


Was sind weitere wichtige Inhalte der revidierten Ordnungen?

Jauch-Stolz: Der Umgang mit dem Gesamtleistungswettbewerb ist ebenfalls Thema. Er ist eine Mischung zwischen leistungs- und lösungsorientierter Beschaffung. In den Ordnungen SIA 142 und SIA 143 sollen nur noch lösungsorientierte Verfahren definiert werden. Für leistungsorientierte Verfahren steht die SIA 144. Die Durchführung eines Gesamtleistungsverfahrens ist zudem anspruchsvoll, aufwendig und in der Regel nicht phasengerecht. Es muss gezielt angewendet werden und ist neu immer zweistufig durchzu­führen. Die Kommission hat die Gesamtleistungsverfahren deshalb in den Anhang verschoben. Ausserdem flossen die Erfahrungen aus den Programmbegutachtungen und den Anpassungen der Wegleitungen der letzten zehn Jahre in die Revision ein: Gewisse Passagen wie die Zusammensetzung der Jury, Ex-aequo-Preise oder die optionale Bereinigungsstufe hatten immer wieder zu Rückfragen geführt. Das formulierte die Kommission um.


Die Revision thematisiert ebenfalls die Vorbereitung für die Durchführung eines Wettbewerbs.

Jauch-Stolz: Für ein gutes Verfahren ist eine fundierte Vorbereitung essenziell. Sie entscheidet über den Projekterfolg. Die Kommission hält im revidierten Ordnungstext fest, dass Auftraggeberinnen und Auftraggeber vor dem Wettbewerb die Mach­barkeit und Finanzierbarkeit der Aufgabe abklären. Die Machbarkeitsstudie ist Teil dieser Vorbereitung. Ihre Durchführung verantwortet die Bauherrschaft. Die Jury unterstützt sie dabei.

Furrer: Damit die Jury diese wichtige Rolle übernehmen kann, muss sie früh eingebunden werden. Das haben wir in den Ordnungen festgehalten.


Wie stellt die Kommission den Bezug zur Praxis sicher?

Furrer: Die Kommission besteht aus 22 Mitgliedern. Sie setzt sich zusammen aus privaten und öffentlichen Bauherrschaften und Vertreterinnen verschiedener Planungsdisziplinen und Regionen. Die SIA-Sektionen bringen ihre Anliegen über die Kommissionsmitglieder aus ihrer Region ein. Einmal im Jahr sind wir mit der Kommission on tour. Wir waren bereits in Basel, Biel, Lausanne und Lugano. Dort tauschten wir uns mit Vertreterinnen der öffentlichen Bauherrschaften, der Sektionen und der Marktbeobachtungsstellen aus.

Jauch-Stolz: Zu Beginn der Revision fragten wir in einer Umfrage nach dem Status quo im Vergabewesen. Die Erkenntnisse dienten als Leitfaden für die Revision. Ein wiederkehrendes Thema waren beispielsweise die zunehmenden Anforderungen an die Teams und die Zusammensetzung der Jury. In die Revision haben wir die ausgewogene Zusammensetzung der Jury aufgenommen: Zu berücksichtigen sind dabei neben der Kompetenz Geschlecht, Alter und Regionalität. Nun stehen zwei breit abgestützte Entwürfe bereit, welche die Kommission Anfang November zur Vernehmlassungsfreigabe in die Zentralkommission für Ordnungen (ZO) gab. Diese genehmigte Mitte November die Freigabe und den Start der Vernehmlassung.


Was sind die nächsten Schritte im Revisionsprozess?

Jauch-Stolz: Der Austausch ist uns wichtig, wir wünschen uns deshalb eine rege Beteiligung an der Vernehmlassung. Nach deren Durchführung prüft die Kommission die Eingaben und überarbeitet die Ordnungstexte. Freigegeben werden die Ordnungstexte durch die Zentralkommission für Ordnungen (ZO), definitiv entscheidet die SIA-Delegiertenversammlung voraussichtlich 2024 über die Publikationsfreigabe.

Stellungnahmen zu den Vernehmlassungsentwürfen SIA 142 Ordnung für Architektur- und Ingenieurwettbewerbe und SIA 143 Ordnung für Architektur- und Ingenieurstudienaufträge werden bis zum 28. Februar 2023 entgegengenommen.

 

Die Dokumente zur Vernehmlassung sowie zusätzliche Hintergrund­informationen sind ab dem 5. Dezember 2022 hier zu finden:
www.sia.ch/vernehmlassungen

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