Um­den­ken auf al­len Ebe­nen

Als Teil eines gross angelegten Programms ist in der Akademie der Künste am Hanseatenweg in Berlin die Ausstellung «The Great Repair» zu sehen. Am Beispiel von künstlerischen Arbeiten, Bauformen im Bestand oder dem neuen Umgang mit altbekannten Ressourcen gelingt es, die Allgegenwart der sozio-ökologischen Krise und möglicher Ansätze zu ihrer Überwindung abzubilden

Publikationsdatum
26-12-2023

Die zentrale Botschaft der Ausstellung und ihrer Begleitprogramme ist die Notwendigkeit eines wertschätzenden Umgangs mit den Dingen als Voraussetzung für den grossen Paradigmenwechsel – weg vom wachstumsbasierten Wirtschaftsmodell und den sozialen Folgeschäden. Dabei dient die Architektur als ein Ausgangspunkt, von dem aus der Krise, die so viele Aspekte unseres Lebens und der Umwelt beeinträchtigt, zu begegnen ist.

So befasst sich gleich das erste Thema mit dem Naheliegendsten: der Substanz und der Pflege des Akademiegebäudes, in dem die Ausstellung stattfindet.

Das Haus von Werner Düttmann, das die Besuchenden mit seiner schönen Gestaltung einnimmt, wird hinterfragt: Das Treppenhaus, ein Zusammenspiel aus flachen Betonstufen, massiven Holzgeländern, welligem Schieferboden und petrolfarbenen Wänden ist diesmal versperrt. Der Zugang erfolgt über eine unscheinbare Nebentreppe, und hier geht es sofort zur Sache: Ein Schild weist auf die Spannungsrisse in der Aussenwand hin, auf die Staubspuren über dem Heizkörper, die die Wand einfärben.

Wünschenswerte Erhaltungsmassnahmen und die dabei zu beteiligenden Gewerke sind ebenfalls aufgeführt. Es geht um eine sachliche Auseinandersetzung mit dem Gebäude als Materiallager. Im Ausstellungsraum ist der Putzwagen zu sehen, mit allen Mitteln und Geräten, die die Equipe täglich verwendet.

Auch in den folgenden rund 40 Positionen steht nicht die «fertige Architektur», sondern fortlaufende Prozesse der Instandhaltung, Aneignung und Umnutzung im Mittelpunkt. In hochgestapelten Plastikboxen haben Brenne Architekten, die auch die Sanierung des Akademiegebäudes in den 2000er-Jahren verantworteten, Krümel und Splitter von denkmalgeschützten oder zu schützenden Gebäuden gesammelt und beschriftet. Mit der Übergabe der profanen Sammlung an das Archiv der Akademie bedürfen die Kisten nun einer angemessenen Aufbewahrung. Was als Praxishilfe begann, wird kuratiertes Dokument und Exponat – auch das eine Frage der Bewertung.

Ein fiktives Landschaftsmodell führt vor Augen, wie massiv sich die Topografie der Erdoberfläche durch den Abbau unterschiedlicher Energieträger wandelt. Ebenso schmerzhaft sind die grossformatigen Fotos der Bruchstücke von Fresken aus der Basilika San Francesco in Assisi. Nach dem Erdbeben von 1997 konnten rund 300'000 Einzelteile geborgen werden. Diejenigen, die dem Fresko von Giotto und Cimabue nicht mehr zugeordnet werden konnten, erhalten nun als abstraktes Motiv der künstlerischen Fotoserie eine neue Bedeutung.

Einige Beispiele erstrecken sich auch auf die Schweiz. So wird die Neubetrachtung der drei Personalhochhäuser aus den 1960er-Jahren auf dem Spitalareal Triemli in Zürich als exemplarisch vorgeführt. Nachdem sie 2007 schon zum Abriss freigegeben waren, hat sich nun, befeuert durch einen spekulativen Wettbewerb, das Blatt in Richtung Erhalt zu speziellen Wohnzwecken gewendet – der Prozess dauert an.

Im künstlerischen Zusammenhang wird der Brunnen von Meret Oppenheim in Bern als Beispiel für den kosmetischen und erhaltenden Umgang mit Beton ins Feld geführt. An der 8 m hohen Betonstele fliesst seit 1983 bei Wind und Wetter Wasser herab, sodass sich Kalkablagerungen und Moose, zuweilen Eiszapfen bilden. Sie werden nur entfernt, wenn sie herabzustürzen drohen. Der ungesteuerte Alterungsprozess ist als Thema zur Schau gestellt und erhält in den heutigen Zusammenhängen neue Symbolkraft. Mit dem Aufzeigen der Narben, der Leerstellen, aber auch den Geschichten der Pflege und der Wiederherstellung überwindet das Kuratorenteam die Begrenzung einzelner Themenfelder und verführt die Besuchenden zu einer Annäherung an einen eigenen Handlungsraum.
 

Die Ausstellung «The Great Repair» in der Akademie der Künste am Hanseatenweg, Berlin, läuft noch bis 14. Januar 2024

Zu der Ausstellung erscheinen zwei Ausgaben der ARCH+. Der erste Band (ARCH+ 250 The Great Repair – Politiken der Reparaturgesellschaft, Dezember 2022) dient der theoretischen Einführung, der zweite stellt Praktiken der Reparatur vor und erscheint zur Eröffnung der Ausstellung als Katalog.

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