«Der ge­for­der­te De­tail­lie­rungs­grad ist un­ver­hält­nis­mäs­sig hoch»

Sechster Teil unserer Serie «u40 und der Wettbewerb»: Estrada Reichen Architekten aus Zürich über die Bevorzugung zurückhaltender Projektvorschläge und experimentelle Ansätze, die das Architekturgeschehen nachhaltig beeinflussen.

Publikationsdatum
29-06-2021

espazium: Wie steht es in der Deutschschweiz um den Wettbewerb?

Christoph Reichen: Wir sind vom Wettbewerb als Beschaffungsinstrument überzeugt, da er die Chance bietet, konsequente Entwürfe zu konzipieren. Indem die Rahmenbedingungen grösstenteils vorgegeben sind, können architektonische Qualitäten während der Ausführung beibehalten oder sogar geschärft werden. Der Architekturwettbewerb soll Ursprung von ganzheitlichen Projekten sein und nicht von undifferenzierten Vorgaben (Erweiterbarkeit, Materialwahl, Labels etc.) gehemmt werden. Wir beobachten zudem – gerade im Zusammenhang mit Projektwettbewerben im selektiven Verfahren –, dass zurückhaltende, gemässigte Vorschläge bevorzugt werden.

Ist man beim Wettbewerb im Vorteil, wenn man experimentell vorgeht?

In den gegenwärtigen Wettbewerbsverfahren in der Schweiz, bezogen auf einen 1. Rang, eher nein. Wobei das nicht heissen soll, dass ein experimentelles Vorgehen nicht auch erfolgreich sein kann. Meist sind es eben diese Beiträge, die über eine Rangierung hinaus kontrovers diskutiert werden und das Architekturgeschehen nachhaltig beeinflussen.

Am Beispiel der aussen liegenden Fluchtbalkone vom Schulhaus Leutschenbach in Zürich oder des Verzichts auf eine konventionelle, innere Erschliessung beim Schulhaus Wallrüti in Winterthur ist ersichtlich, wie sich (damals) neuartige oder ungewöhnliche Typologien etabliert haben und stetig, wenn auch in abgewandelter Form, in den Wettbewerbsbeiträgen anzutreffen sind. Letztlich bedingt die Wertschätzung einer experimentelleren Vorgehensweise ein mutiges und primär offenes Fach- und Sachgremium.

Müsste man die Wettbewerbsverfahren weiterentwickeln?

Da jedes Verfahren etwas unterschiedlich durchgeführt wird, ist das schwierig zu pauschalisieren. Grundsätzlich gibt es aber gewisse Tendenzen, die wir nicht für vorteilhaft halten. So ist zum Beispiel der geforderte Detaillierungsgrad in vielen Fällen unverhältnismässig hoch. Das resultiert oft in einem grossen zeitlichen sowie personellen Aufwand, der von kleineren und/oder jungen Büros nur bedingt getragen werden kann. Zwar kann er ein Gefühl für die Materialisierung oder konstruktive Ansätze vermitteln, jedoch trägt er meistens kaum zur Entscheidung des Preisgerichts bei – die übergeordnete Idee und strategische Überlegungen sind ausschlaggebend. Und genau deren Variantenreichtum kann dadurch vermindert werden.

Estrada Reichen Architekten wurde anfangs 2019 gegründet. Dahinter stehen Nicole Maria Wallimann (*1990) und Christoph E. Reichen (*1984), die bereits seit mehreren Jahren zusammenleben und -arbeiten.

Wettbewerbsteilnahmen:


Neubau Dreifachkindergarten Gartenstrasse, Würenlingen AG
Projektwettbewerb im selektiven Verfahren 2014
1. Rang, 1. Preis

 

Neubau Doppelkindergarten Siegwaldweg, Riehen BS
Projektwettbewerb im selektiven Verfahren 2018
2. Rang, 2. Preis

 

Neubau Schulhaus HPS, Schulanlage Rümelbach, Rümlang ZH
Einstufiger Projektwettbewerb im selektiven Verfahren 2019
2. Rang, 2. Preis

 

Erweiterung Schulanlage Kappeli, Stadt Buchs SG
Projektwettbewerb im selektiven Verfahren 2020/2021
1. Rang, 1. Preis

Serie «u40 und der Wettbewerb»


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