Thema verfehlt
Podiumsdiskussion Architekturkritik im S AM
«Brauchen wir noch Architekturkritik » fragte der Direktor des Schweizerischen Architekturmuseums S AM Hubertus Adam am 22. Januar anlässlich einer Podiumsdiskussion drei Architekturkritikerinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die Essenz des durchzogenen Abends: ein deutliches «Ja, aber »
Seit Anfang November widmet sich die Ausstellung «Textbau» im Schweizerischen Architekturmuseum der hiesigen Architekturkritik. Qualität und Inszenierung der Schau liessen auf einen gehaltvollen Abend hoffen. Eingeladen waren Gerhard Mack, Redaktor für Kunst und Architektur bei der NZZ am Sonntag; Otto Karpfinger, Architekt und ehemaliger Architekturkritiker der österreichischen Tageszeitung Die Presse; und Amber Sayah, Redaktorin für Kunst und Architektur bei der Stuttgarter Zeitung. Die Moderation übernahm Hubertus Adam vom S AM.
Die Vorankündigung versprach eine Diskussion über die Legitimation der Architekturkritik sowie einen Blick in die Zukunft. Dass sich bei diesem Anspruch die Auswahl der Gäste auf arrivierte Exponenten der Tages- und Sonntagspresse beschränkte, erstaunte. Umso mehr, als die Veranstaltung in der Ausstellung selbst stattfand direkt neben dem Eingangsraum, der einen Überblick über die hiesige Fachpresse bietet. Und so fehlten neben dieser auch jene, die sich ausserhalb der Printmedien der Architekturkritik widmen, in Online-Publikationen, Filmen oder Radiosendungen.
Diese Einseitigkeit wiederspiegelte sich im Gespräch eine Diskussion fand nicht statt , das konturlos und mäandrierend knapp zwei Stunden daher floss. Zwar stellte Hubertus Adam interessante Fragen, etwa diejenige nach den Gründen für die nichtstattfindende Debatte bei kontroversen Projekten wie dem Roche-Turm in Basel oder der Europaallee in Zürich. Auch thematisierte er die veränderten Lesegewohnheiten, die dem Bild eine stärkere Bedeutung gegenüber dem Text beimessen.
Die Gäste beantworteten die Fragen jedoch nur bedingt, äusserten sich in Gemeinplätzen («Qualitätvolle Kritik hängt am Engagement einzelner.» AS; «Unsere Lesegewohnheiten orientieren sich an 20 Minuten.» GM), verloren sich im Anekdotischen oder klagten über die Verteilkämpfe im Feuilleton und die Ignoranz von Lokaljournalisten und Chefredaktion. Positiv fiel hier die Leidenschaft von Otto Karpfinger auf, der in seinen Statements zwar nie auf den Punkt kam, aber immerhin nicht in das Lamentieren der anderen Teilnehmer verfiel.
Konstruktives zum Schluss
Ausgerechnet drei Kritiker über die Relevanz von Kritik sprechen zu lassen, erscheint gewagt. Leider bestätigte der Anlass die Bedenken. Für eine echte Diskussion braucht es Reibung: Wo waren die Vertreter der Fachpresse, die Blogger, die Architekten, die interessierten Leserinnen und Leser? Und zu guter Letzt: die Kritiker der Kritik
Zum Schluss wurde die Eingangsfrage dann doch noch beantwortet, wenn auch indirekt und mit vereinten Kräften. Hubertus Adam wollte von den Podiumsteilnehmern wissen, warum es so schwer sei, über Architektur zu schreiben. Gerhard Mack antwortete, Architektur sei Alltag, man bewege sich darin und denke nicht darüber nach, weil das Alltägliche selbstverständlich sei. Otto Karpfinger konstatierte, das Referenzsystem der Baukultur sei am Zerfallen. Und Architektur die komplexeste und am schwierigsten zu fassende Kunst.
Brauchen wir also heute noch Architekturkritik? Ja, zum Beispiel als Navigationssystem im Umgang mit unserem komplexen baulichen Alltag.