Transparentes Lernen
Studierendenhaus TU Braunschweig
Mit der modularen Verwendung von Standardmaterialien und der damit einhergehenden Rückbaubarkeit hat das 2023 fertiggestellte Studierendenhaus der TU Braunschweig von Max Hacke und Gustav Düsing überregional für Furore gesorgt. Die Verwendung von Stahl und Glas mit Holzdecken in Hybridbauweise stellt ein Weiterdenken im Sinne der «Braunschweiger Schule» dar und eröffnet auch inhaltlich neue Freiräume.
Der Paragraf 4 in der Hausordnung der TU Braunschweig lässt keinen Platz für Zweifel: «Übernachten oder das Abhalten von Partys sind nicht gestattet.» Obwohl das durchaus denkbar wäre. Das neue Studierendenhaus steht so luftig in der Umgebung, dass ein bestimmter Zweck nicht ablesbar ist. Zwischen dem baumbestandenen Ufer des Flusses Oker und dem Campus gliedert es sich ins Unigelände ein. Analogien zum hochaufragenden Okerhochhaus (Architektur: Dieter Oesterle, 1956), das sich wie ein beschützender Bruder dahinter erhebt, sind erkennbar. Als Paradebeispiel des «sachlichen Reduktionismus» der Braunschweiger Schule, die sich in der Nachkriegszeit einen Namen machte, spielen hier wie dort Modulbauweise und sorgsamer Umgang mit einfachen Materialien eine Rolle.
Anders als das 58 m hohe Hochhaus ist das zweigeschossige Studierendenhaus maximal transparent. Und das ist programmatisch zu verstehen: Die zurückgenommene Präsenz, reduziert auf eine logische räumliche Struktur, kann als Symbol für ein Format gelesen werden, das neue Lernformen unterstützt.
Orte zum Lernen
Als Wettbewerb zwischen den wissenschaftlichen Mitarbeitenden der Architekturfakultät ausgeschrieben, sollte zunächst ein Bau entstehen, der die Braunschweiger Zeichensaalkultur fortführt, eine Geschichte der Aneignung leerstehender Räume als soziale Orte. Mit der Auflösung gewohnter Lernstrukturen und zusätzlich befördert von der Pandemie, öffnet sich der Neubau jetzt allen Fakultäten und auch Interessierten ausserhalb der Uni. Rund 200 Arbeitsplätze stehen täglich von 8 bis 22 Uhr zur Verfügung.
Die belebte Nutzung projiziert sich in die Umgebung und integriert das Gebäude in den öffentlichen Raum. Arbeitsgruppen finden sich vor und hinter der Glasfassade zusammen, vereinzelt belegen Studierende einen Bereich für sich. Stühle und Tische sind so kompakt und leicht, dass die Nutzenden sie platzieren können, wie sie es brauchen.
Architektur ohne Hierarchie
Auf einem Stützenraster von 3 m × 3 m × 3 m baut sich der Innenraum mit je acht Modulen auf zwei Etagen auf. Das Dach überspannt eine weitere umlaufende Modulreihe im Aussenraum und beschirmt den gesamten Baukörper. Im Obergeschoss docken fünf einläufige Treppen an, die Fluchtweg und Kommunikationsbereich zugleich sind. Im Innenraum verbinden vier weitere solcher Treppen die Etagen. Das Gebäude kann auf beiden Etagen von allen Seiten erschlossen werden und hat dementsprechend keine Schaufassade.
Die Präsenz der vertikalen Verbindungen stärkt die dreidimensionale Entwurfsidee: Treppen, Zugänge, Lufträume und Brücken, die sich zu Sitzbereichen aufweiten, wechseln sich ab, sodass innerhalb des Rasters unterschiedliche Situationen und Durchblicke entstehen. Ein aussteifender Kern beherbergt im Erdgeschoss Nebenräume und einen Kiosk, im Obergeschoss kann man sich hier zu Besprechungen oder Präsentationen zurückziehen.
Demokratische Räume, kaum sichtbare Hülle
Gelbe Vorhänge, die mit leichtem Abstand von der Decke abgehängt sind, verleihen dem hellgrau gehaltenen Innenraum eine Ordnung. Sie bieten aber nicht nur einen optischen Anker, sondern sind auch akustisch wirksam. Gemeinsam mit stoffbespannten Wandpaneelen, dem Teppichboden und schallschluckenden Deckenelementen sorgen sie für eine überraschend gedämpfte Geräuschkulisse.
Die restliche Möblierung bleibt flach: die Blickachsen gleiten über Stühle und Tische hinweg. Einzig Lockermöbel und mobile Stellwände deuten Begrenzungen an. Ein fugenloser Bodenbelag verbindet Wege und Aufenthaltsbereiche zu einer durchgehenden Fläche und unterstreicht ihre Gleichwertigkeit. Den Nutzenden steht offen, still oder in Gruppen zu lernen, sich nach aussen oder innen zu wenden. Es gibt keine bevorzugten Plätze und jeder Ort ist für sich gestaltbar. An einem gewöhnlichen Nachmittag in den Semesterferien ist das Haus belebt und trägt auf unspektakuläre Weise zur Wahrnehmung des studentischen Lebens im Stadtraum bei.
Die maximale Öffnung des Hauses fordert zu freien Lernformen auf Treppenstufen, Brücken, Inseln, Balkons, unter einem Baum oder in Gruppen heraus und ist dabei nicht mehr als eine fast unsichtbare Hülle. Und als solche kann sie selbst jederzeit weitergedacht, umgebaut, aufgestockt, versetzt oder in ihre Einzelteile zurückverwandelt werden.
Studierendenhaus TU Braunschweig
Architektur
Gustav Düsing & Max Hacke, Berlin
Tragkonstruktion
Knippershelbig, Berlin
Bauleitung
iwb Ingenieure Generalplanung, Braunschweig
Gebäudetechnik
energydesign braunschweig, Braunschweig
Bauweise: Holzhybridbau
Tragwerkskonstruktion: Stahl
Anzahl Vollgeschosse: 2
Bruttorauminhalt: 4032 m³
Bruttogrundfläche: 900 m²
Nutzfläche: 1000 m²
Gesamtkosten (ohne Grundstück) : 5'200'000 Euro
Fertigstellung: Januar 2023
Auszeichnungen
Mies van der Rohe Award 2024
Heinze ArchitekturAWARD 2023: Bestes Projekt Cradle to Cradle
BDA-Preis Niedersachsen 2023
Preis des Deutschen Achitekturmuseums DAM 2024