Klimapositives Bauen – ein Beitrag zum Pariser Absenkpfad
Bis 2030 soll der Ausstoss der grauen Treibhausgase auf die Hälfte der Menge von 1990 gesenkt werden. Die Dringlichkeit der Klimakrise verlangt auch Reduktionsmassnahmen bei grauen Treibhausgasen der Bauwirtschaft. Der Grundlagenbericht «Klimapositives Bauen» untersucht Handlungsmöglichkeiten für Bauherrschaften, Planer und Architektinnen.
Von 1990 bis 2020 haben die Betriebsemissionen aller Gebäude der Schweiz um 28 % abgenommen. In weiteren 30 Jahren müssen sie gemäss dem auch von der Schweiz ratifizierten Pariser Klimaabkommen bei Netto-Null liegen. Als Zwischenziel bis 2030 wird eine Reduktion der Treibhausgase um 50 % gegenüber dem Jahr 1990 angestrebt. Je später mit der Reduktion begonnen wird, desto weniger Zeit bleibt.
Ein durchschnittlicher Neubau emittiert während der Bauphase mehr Treibhausgase THG als während seiner durchschnittlichen Betriebsphase von 60 Jahren. Dennoch werden sie nicht reguliert. Geht man davon aus, dass in den kommenden Jahrzehnten immer mehr erneuerbare Energie zum Einsatz gelangt, rückt die Dekarbonisierung der Bausubstanz in den Vordergrund.
Dieser Artikel ist eine Zusammenfassung der im November 2021 erschienenen Studie «Klimapositives Bauen. Ein Beitrag zum Pariser Absenkpfad».
Die Studie von Nova Energie, Basel, und Carbotech, Basel, entstand mit Unterstützung von EnergieSchweiz (BFE), dem Bundesamt für Umwelt BAFU sowie verschiedener Kantone und einer Stiftung.
Die gesamte Studie gibt es hier zum Download.
Handlungsmöglichkeiten beim Bau
Die Potenziale zur CO2-Reduktion beim Bauen wurden in der vorliegenden Studie auf der Basis eines MFH-Referenzgebäudes berechnet. Dieses Gebäudemodell beruht auf neun MFH, wobei sieben davon dem Minergie-Standard entsprechen. Pro Massnahme bewegt sich das Potenzial für Neu- und Umbauten zwischen 0 und 16 %. Flächensparende Grundrisse bzw. Suffizienz sind die wirksamsten Massnahmen bei Neubauten. Sofern der im Gebäude zwischengespeicherte Kohlenstoff eine Reduktionswirkung erzielt und berücksichtigt wird, können mit einzelnen Massnahmen bis zu 30 % erreicht werden.
Durch geschicktes Kombinieren von einzelnen Massnahmen zu aggregierten Strategien ergibt sich ein Reduktionspotenzial von rund 50 %. Diese hohen Reduktionspotenziale sind jedoch nur mit Einsatz der höchsten Bereitschaft der Baubranche zur Umsetzung sowie der anspruchsvollsten kommerziellen Verfügbarkeit möglich. Ein solches Gebäude bezeichnen die AutorInnen als «klimapositiv».
Strategie: biogene Kohlenstoffspeicherung
Die Anrechnung der temporären biogenen Speicherleistung ist umstritten, weil sie nur eine vorübergehende THG-Reduktion darstellt. Wird z. B. Bauholz am Lebensende verbrannt oder verrottet auf der Deponie, wird der im Holz gespeicherte Kohlenstoff wieder freigesetzt. Die gleichberechtigte Berücksichtigung des temporär gespeicherten Kohlenstoffs mit effektiv reduzierten THG wäre daher unseriös. Die vorübergehende Speicherung öffnet jedoch ein Zeitfenster zur Entwicklung von effektiveren Reduktionsmassnahmen (z. B. im Umgang mit Altholz). Die Autorinnen und Autoren machen deshalb einen Vorschlag, wie ein gewichteter und über vier Bilanzierungsschritte berechneter Speicherbonus angerechnet werden könnte.
Strategie: Wiederverwendung
Die Wiederverwendung birgt mit dem Wegfall der Neuproduktion ein sehr hohes Sparpotenzial in sich. Hierzu zählt die längere Nutzungsdauer von Bauteilen und ganzen Gebäuden sowie deren Umnutzung. Auf dem Weg in die Netto-Null-Zukunft kann diese Massnahme sofort umgesetzt werden. Aus anderen Arbeiten lassen sich folgende Grundsätze zur Bilanzierung ableiten:
- Wiederverwendete Bauteile tragen keine Umweltbelastung aus der ursprünglichen Herstellungsphase.
- Der Erstnutzende trägt die gesamte Entsorgung des Baustoffs.
- Transporte, Auffrischungsarbeiten etc. werden dem wiederverwendeten Bauteil angerechnet.
- Dem Erstnutzenden werden für ein allfällig zukünftiges Wiederverwenden keine Gutschriften zugeschrieben (weil die Emissionen schon erfolgt sind).
- Rezyklierten Baustoffen werden aus demselben Grund keine Gutschriften angerechnet.
Empfehlungen
Die quantitative Prüfung von rund 20 Reduktionsmassnahmen im Rahmen der Studie erlaubt folgende qualifizierte Empfehlungen (Reihenfolge gemäss Potenzial):
- Vorurteile hinter sich lassen, jetzt konkrete Ziele setzen: Es braucht den Mut aller Beteiligten, jetzt konkrete Ziele festzulegen, aktiv zu werden und Verantwortung gegenüber der Umwelt und zukünftigen Generationen zu übernehmen.
- Früh entscheiden und einfordern: Bereits während der strategischen Planungsphase müssen die Entscheidungsträger (Entwickler, Baurechtgeber, Bauherrschaften) klimapositives Bauen einfordern. Je früher im Planungsverlauf die Entscheide zur Reduktion gefällt werden, desto weniger Kosten entstehen nachrangig.
- Suffizienz und effiziente Gestaltung: Weglassen ist die naheliegendste und günstigste Möglichkeit, THG einzusparen. Kompakte, funktionelle Grundrisse mit wenig Fläche sollen weitläufigen Grundrissen vorgezogen werden.
- Leichtbauweise: Geringes Gewicht und sparsame Materialisierung gehen mit Ausnahme bei Dämmstoffen meistens mit THG-Einsparungen einher. Dies gilt grundsätzlich auch für Massivbau.
- Bauteile wiederverwenden: Verwendet man Bauteile über die übliche Lebensdauer hinaus, können gegenüber dem Ersatz mit neuen Bauteilen grosse Mengen an THG-Emissionen eingespart werden.
- Biogene oder wenig verarbeitete Baustoffe verwenden: Die Menge an zwischengespeichertem biogenem Kohlenstoff in Gebäuden soll zunehmen. Natürliche Materialien weisen zudem oft einen geringeren CO2-Fussabdruck auf, weil sie weniger stark verarbeitet sind.
- Materialien recyclingfähig verbauen: Um Materialkreisläufe zu schliessen, sollen die Materialien sortenrein trennbar und recyclingfähig verbaut werden, während nicht recyclingfähige Bauprodukte und -stoffe vermieden werden sollen.
- THG-Intensität der Baustoffe und Bauteile reduzieren: THG-arme Baustoffe sollen immer gegenüber THG-intensiven Baustoffen bevorzugt werden (KBOB-Liste1 beachten).
Anmerkung
1 KBOB (Koordinationskonferenz der Bau- und Liegenschaftsorgane der öffentlichen Bauherren), Ökobilanzdaten im Baubereich 2009/1:2016, Ökobilanzdaten im Baubereich 2009/1:2016