Schwei­zer Bau­fo­rum: Nicht nur Par­ty

Luzern, 13. Juni 2019

Die Skepsis taucht in der Energiedebatte immer häufiger auf: Hilft smarte Technik wirklich, den Gebäudepark klimafreundlicher zu gestalten? Am Schweizer Bauforum war dazu zu vernehmen, es brauche den Menschen ebenso wie technologische Verbesserungen.

Publikationsdatum
20-06-2019

In Nordeuropa sind die städtebaulichen Vorbilder für einheimische Architekten zu finden. Wer erleben will, wie auf- und anregend eine dichte, nachhaltige oder smarte Stadt wirkt, schaut sich zum Beispiel in Rotterdam oder Kopenhagen um. Möchte man sich noch weiter vertiefen, holt man sich Rat von einem dort tätigen Urbanisten. Jan Gehl ist dänischer Stadtplaner und weiss, was eine gute Stadt ausmacht: «Sie ist eine Party, an der die Leute länger bleiben als geplant, weil es ihnen dort gefällt.»

Hierzulande noch bekannter ist Kees Christiaanse, letztes Jahr emeritierter ETH-Professor für Architektur und Städtebau. Seine Expertise ist in Ausschreibungen und Vorträgen nach wie vor gefragt. Am Schweizer Bauforum, einem Anlass der Hochschule Luzern und des Netzwerks Nachhaltiges Bauen Schweiz, hielt er ein Plädoyer für die vielfältige und lebendige Stadt. «Monotone Neubauareale lassen sich mit gestalterischen und baulichen Mitteln einfach verhindern.»

Möglich sei etwa das Aufteilen von Parzellen auf Baugruppen oder das Durchmischen von Nutzungsformen. Und zusätzlich zu kleinteiliger Struktur und Organisation sei Wert darauf zu legen, dass sich die Anwohner ihre neuen Lebensräume verbindlich aneignen können. «Denn erst so werden Stadtquartiere smart und lebendig.» 

Auch die Energiezukunft, die wesentlich von der Entwicklung der Städte geprägt sein wird, soll sich stärker auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse abstützen. «Um die globalen Umweltprobleme zu beheben, muss das Verhalten der Menschen angesprochen werden. Technologien bieten meistens nur kurzlebige Lösungen», warnte Christiaanse die Bauforum-Teilnehmenden.

Verdichtung mit Vielfalt anreichern 

Dass man die städtebauliche Botschaft, die Nutzungskomprimierung mit Vielfalt anzureichern, offensichtlich verstanden hat, bestätigen aktuelle Arealentwicklungen. Eines der derzeit grössten Vorhaben der Schweiz wird ab diesem Sommer in Bülach ZH angepackt. Auf dem Gelände der ehemaligen Glashütte soll bis in drei Jahren ein dichtes Stadtquartier mit Hotel, Gewerbe, Wohnbauten und einem 60 m hohen Hochhaus entstehen. Das «Glasi»-Quartier umfasst eine für die Stadt Bülach relevante Dimension: Das Entwicklungsgebiet liegt unmittelbar beim Zentrum, wird über 3000 Neuzuzüger anlocken und eine Fläche von rund 4 ha umfassen. 

Das Totalunternehmen Steiner hat bereits im Entwicklungsprozess auf Diversität gesetzt und zwei gemeinnützige Bauträgerschaften ins Boot geholt. Gemäss Urs Lengwiler, Projektleiter und Investorenvertreter, holt man sich dabei ideelle Inspiration: «Wie viel Raum die Baugenossenschaften für eine Gemeinschaftsinfrastruktur einräumen, erstaunt mich immer wieder.» Bei der Zusammenarbeit zwischen privaten und kollektiven Trägerschaften ging es jedoch auch darum, die Projektrisiken breiter abzustützen.

Nicht ganz so überzeugend wirkt der Nachhaltigkeitseffort: Ein Arealkonzept, das sich an den SIA-Effizienzpfad Energie anlehnt, wird nicht angestrebt, und nur die genossenschaftlichen Bauträger suchen möglichst autolose Mieter. Für die Energieversorgung wird dennoch eine koordinierte, CO2-neutrale Infrastruktur erstellt: ein Nahwärmeverbund mit Energieholz.

Trotz der Zunahme innovativer Projekte: Für Fragen, wie und woher Gebäude mit klimafreundlicher Energie versorgt werden sollen, interessiert sich die Forschung weiterhin. Kristina Orehounig von der Empa Dübendorf stellte am Bauforum eine differenzierte Sichtweise für Siedlungsräume und -strukturen vor. «In ländlichen Gegenden lohnt sich, mehr in die Energieeffizienz einzelner Gebäude zu investieren.» Demgegenüber seien in städtischen Regionen vermehrt dezentrale Energiesysteme aufzubauen. Umsetzungsbeispiele gebe es jedoch erst wenige. Darum gilt: Im Gegensatz zur vielfältigen Stadt werden die Vorbilder für ein Quartier mit fossilfreier Energieversorgung immer noch gesucht.

 

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