Er­hal­ten und ver­wal­ten

Während Material durch Recycling transformiert wird, bleibt es beim Wiederverwenden von Bauteilen und -stoffen erhalten. Was für eine Rolle dabei das Inventarisieren der Bauten spielt, loten Hochschulen und ­öffentliche Bauherren in Pilotprojekten aus.

Publikationsdatum
26-03-2020

Neben dem Recycling wollen Bund und Kantone in Zukunft vermehrt andere kreis­laufwirtschaftliche Prozesse vorantreiben. Naheliegenderweise lässt sich der Ressourcenverbrauch durch öfters wiederverwendete Güter oder reduzierten Konsum senken – Suffizienz ist das Stichwort, bei dem die Meinungen zwischen Ökonomen und Ökologen auseinandergehen. Was die einen für eine zirkuläre Bauwirtschaft als abso­lut notwendig erachten, wollen die anderen verhindern.

In der Schweizer Praxis ist ein umfassender und umsichtiger kreislaufwirtschaftlicher Umgang mit dem Bestand noch selten oder oft nur ansatzweise vorhanden. So wagt die Immobilien Basel-Stadt beim Lysbüchel-Areal, dem ehemaligen Verteilzentrum der Coop, ein praktisches Experiment mit gebrauchten Bauteilen (vgl. «Zirkulär-Hybride»). Derweilen überlegt sich das Basler Amt für Umwelt und Energie immerhin, seinen nachhaltig konzipierten Neubau in der Innenstadt im Jahr 2021 mit teils gebrauchten Möbeln zu beziehen.

Hochschulen und ihre Projekte

Auch an Hochschulen ist Re-use ein Thema – Studierende befassen sich mit dessen Fragestellungen und sammeln Erfahrungen im Entwurf, aber auch praktisch am Altbau. Nachdem das IKE-Masterstudio der ZHAW mit der Halle 118 in Winterthur erste Resultate erarbeitet hatte (vgl. «Re-use am Bau»), startete die Hochschule im Herbst 2019 einen zweiten Semesterkurs zum Thema Bauteilrecyc­ling.

Für einen Bau in der Stadt Zürich erstellt das Studio, nachdem es sich mit den verschiedenen Systematiken befasst hat, einen Bauteilkatalog. Mit dieser Grundlage entwerfen die Studierenden im Anschluss ein Primarschulhaus. Sie sollen dabei auch Ideen entwickeln, wie sich Bauteile trotz ungenügenden bauphysikalischen Werten verwenden lassen: Aus zwei Fenstern ein Kastenfenster zu machen oder alte Stücke nur partiell in unbeheizte Erschliessungszonen einzu­bauen, während beheizte Schul- oder Wohnräume mit neuen Fenstern ausgestattet werden, sind mögliche Strategien.

Für die je nach Projektarbeit individuell verwendeten Neubauteile wurden die Zusammenhänge zum Design for Disassembly untersucht, bei dem im Entwurf der Rückbau und das Auseinandernehmen miteingeplant sind (vgl. «Es ist die Realitätsnähe, die die Studenten interessiert»).

Erfassen, katalogisieren, inventarisieren

Eine Möglichkeit, diese zeitliche und logistische Ko­ordination zwischen Rück- und Neubau zu verbessern, ist das zukünftige Inventarisieren neuer und bestehender Bauten. Seit Anfang des Jahres arbeitet die ETH Zürich an Vorabklärungen für Materialpässe ihrer rund 200 Gebäude. Zurzeit wird eruiert, welche Bauten einen solchen erhalten sollen.

Die Hochschule hofft, damit ein besseres Verständnis für Gebäude als Materiallager zu erlangen und Kreisläufe zu optimieren. Ausserdem will sie mit ihrer Bautätigkeit Vorbild für Mitarbeitende und die Gesellschaft sein. Ziel ist es, die zirkuläre Organisation von Planung, Bau, Management, Verkauf und Abbruch von Gebäuden zu fördern. 

Darüber hinaus gibt ein Materialpass Auskunft über den Grad der Wiederverwendbarkeit eines Ge­bäudes insgesamt und visualisiert den Wert der Materialien zum Zeitpunkt des Baus und des Abrisses. Der Pass kann auch als Grundlage für die Kommunikation mit Versicherungen, Bau- und Wartungsfachleuten, ­Behörden und Mietern dienen.

Doch auch wenn keine BIM-Daten vorhanden sind – wie bei der Mehrzahl der Bestandsbauten –, kann sich die Aufnahme lohnen, sagt Matthias Wasem. Bei einem geplanten Rückbau zum Beispiel hilft das bei der Offertstellung, und bei geplanten Umbauten sind bereits alle Daten vorhanden und lassen sich laufend ergänzen und anpassen.

Noch werden Gebrauchtteile mit Vorbehalt verwendet – vielleicht befürchten öffentliche Bauherren, den Steuerzahlern eine «Bricolage» zu präsentieren, und scheuen unklare rechtliche und bautechnische Vor­aussetzungen. Viele Aktivitäten bewegen sich darum auf Pilotebene oder im Modell und werden in der bauwirtschaftlichen Praxis noch nicht umgesetzt.

Doch langsam geht es voran. Nachdem das Parlament letzten Sommer dem Gesetz über das revidierten Beschaffungswesen zugestimmt hat und Kreislaufwirtschaft bei Ausschreibungen eine Rolle spielt, darf man gespannt sein, wie lang es dauert, bis die Thematik explizit und umfassend im Wettbewerbswesen Fuss fasst.

Eine ausführlichere Version dieses Artikels finden Sie in TEC21  8/2020 «Kreislaufwirtschaft: Bauten als Ressource».

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