Prag­ma­ti­sche Lö­sun­gen für die Gen­fer Bucht

La Rade – Ideenwettbewerb zur Neugestaltung des Genfer Seebeckens

Der im November 2016 ausgelobte Ideenwettbewerb zur Neugestaltung des Genfer Seebeckens ist entschieden. Die Ergebnisse sind eine strategische Rangliste und ein schlüssiges Siegerprojekt.

Publikationsdatum
31-08-2017
Revision
31-08-2017
Yony Santos
Head of education espazium.ch | Architekt | Redaktor

Das Genfer Seebecken soll attraktiver werden. Auf Ini­tiative des Genfer Oberbürgermeisters Guillaume Barrazzone (vgl. Gespräch auf espazium.ch) wurde ein Konkurrenzverfahren lanciert. Der Ideenwettbewerb «La Rade» zur Umgestaltung der Genfer Seebucht stellte die Teilnehmer vor die Aufgabe, neue Ideen für die Gestaltung vom Pont du Mont-Blanc bis zum geplanten öffentlichen Strandbad Les Eaux-Vives am linken Ufer und zum Park La Perle du Lac am rechten Ufer zu entwickeln. Alternative, innovative und differenzierte Visionen waren gefragt. Diskussionen sollten angeregt und Denkanstösse gegeben werden, aus denen schliesslich ein Leitbild als Grundlage für eine öffentliche Konsultation erarbeitet wird.

Eingereicht wurden 70 Arbeiten von Architekten, Landschafts­architekten und Masterstudierenden. Angesichts der grossen Heterogenität der Projekte beschloss die Jury, vier Projekte mit unterschiedlichen Strategien und Eingriffstiefen auszuzeichnen.

Evidenz als Projekt

Der erst- und der zweitplatzierte Entwurf orientieren sich am Bestand. Das Kernstück der Entwürfe bildet die Kaimauer entlang der Bucht. Das Siegerprojekt versucht, den Raum und die Stadtbrache zwischen Mauer und See neu zu erfinden, während das zweitplatzierte Projekt zwischen Stadt und See verbindende Strategien entwickelt.

«Au ras de l’eau», das Werk des Genfer Architekturbüros Pierre-Alain Dupraz, besticht durch seine Einfachheit und Schlüssigkeit. Die unmittelbar am Wasser verlaufende Uferpromenade ist in verschiedene Sequenzen unterteilt. Am rechten Ufer zwischen La Perle du Lac und Les Bains des Pâquis weichen die Steinschüttungen des Quai Wilson stufenförmig ausgebildeten Ufer­abschnitten und Kiesstränden. Der Quai du Mont-Blanc wird durch eine Erholungs- und Freizeitplattform mit Schwimmbad ergänzt, das dem Seebad Enge in Zürich nachempfunden ist; zudem wird er durch eine neue Anlegestelle für die Schiffe der Compagnie Générale de Navigation (CGN) aufgewertet. Am linken Seeufer − erreichbar über die künftige Fussgängerbrücke, für die sich das Büro von Pierre-Alain Dupraz 2012 ebenfalls als Gewinner posi­tionierte − führt die Promenade weiter. Dort erstreckt sich der Quai in Form einer grosszügigen Esplanade, in die diverse Raumprogramme (Gastronomie, Toi­letten, Tretbootverleih usw.) eingelassen sind.

Das Projekt wertet die Stärken der Architektur von Pierre-Alain Dupraz auf: präzise Schlichtheit, «topografische Architektur» (vgl.  «Une topographie ludique», TRACÉS 18/2016), betont durch die sorgfältig durchdachten Übergänge zwischen Strasse und Quai sowie zwischen Quai und Wasser. Dieses Projekt ermöglicht es der öffentlichen Hand, konkrete Folgemassnahmen zu diesem Ideenwettbewerb anzugehen.

Kohäsion als Projekt

«Convergences», ein Projekt von Maxime Lecuyer und Ljirim Seljimi, beide Studierende der Genfer Haute école du paysage, d’ingénierie et d’architecture (hepia), reicht über die Grenzen der Seepromenade hinaus in den Stadtraum hinein. Die Projektverfasser haben sich mit Blick auf die grafische Ausgestaltung des öffentlichen Raums bemüht, insbesondere die Verbindung zwischen Stadt und Wasser neu zu denken. Diese auf das Ineinanderfliessen der Räume ausgerichtete Arbeit basiert auf einer Vernetzungsstrategie mit gestalterischer Kraft. Neun Strassen, die durch ihre besondere Lage Bezug zur Seebucht nehmen, werden mittels diverser Eingriffe neu organisiert. Zum Beispiel durch die Stilllegung des motorisierten Verkehrs und Parkverbote oder durch einheitliche Beläge der Bodenflächen. Diese zur Bucht führenden Strassen werden so zu «Veranstaltungsorten, zu Schauplätzen für Austausch und Dialog».

Symbolik als Projekt

Der dritte Preis, das Projekt «Jean-Jacques» der Lausanner Agentur Tribu Architecture, regt eine neue Attraktion, ein Highlight auf dem See, als neues Symbol für die Genfer Bucht an: Ein überdimensionaler, direkt an die zukünftige Fussgängerbrücke Pont du Mont-Blanc angebundener Ring ergänzt die hinter der Brücke liegende Inselkette als zeitgenössische und integrative Interpretation der Ile Rousseau. Über den «spektakulären und doch rücksichtsvollen Wurf» hinaus, um es mit den Worten des Jurypräsidenten Patrick Devanthéry zu sagen, entwirft «Jean-Jacques» eine neue Aneignung der Bucht und einen innovativen Bezug zum Wasser.

Ein Manifest als Projekt

Mit der wortgetreuen Umsetzung einer der Programmvorgaben – des Platzbedarfs der Schiffe am Standort – reagiert die Zürcher Agentur Dürig. Das radikale Projekt an der Grenze zu Sarkasmus und Ironie stellt einen riesigen, im Zentrum der Genfer Bucht liegenden Hafen dar. Mit einem komplexen Schleusen­system entzieht er die Schiffe dem Blick. Wie der Jurybericht hervorhebt, erinnert die utopische Dimension des Projekts «an die kritische Haltung in den 1970er-Jahren». Die systematische Räumung der Kais und des Sees, unterstützt durch die Anordnung begrünter öffentlicher Räume, verleiht dem Hafenbecken von Genf eine Identität, die sich dem heutigen Chaos aus Freizeit und Gewerbe diametral entgegen­gesetzt.

Eine pragmatische Vision

Durch die Auszeichnung eines konkret machbaren Projekts und keiner utopischen Idee bleibt die Jury dem Pragmatismus treu, der die Architektur und den Städtebau der vergangenen Jahre in Genf prägte. Mit der Prämierung stark komplementärer und nicht konkurrierender Projekte, vor allem der beiden ersten Preise, gab das Preisgericht der Machbarkeit und dem Konsens statt der Kontroverse den Vorzug. Isabelle Charollais, Direktorin des Raumplanungs- und Bau­departements der Stadt Genf, hat dies anlässlich der Pressekonferenz betont: «Der Ideenwettbewerb hat den Vorteil, dass auf mehreren Projekten aufgebaut werden kann.» «Au ras de l’eau» und «Convergences», deren gemeinsame Realisierung durchaus denkbar ist, entwerfen unaufgeregte und wirklichkeitsnahe Ideen. Diese Entscheidung bejaht eine Stadtpolitik, die sich − auch wenn sie zuweilen recht nüchtern daherkommt − vor allem als pragmatisch, kontinuierlich und formal sehr anspruchsvoll versteht und die durch die Architektur von Pierre-Alain Dupraz, dem Preisträger der beiden Genfer Leuchtturmprojekte − des Quartiers Etoile als Teil des städtebaulichen Grossprojekts «Praille Acacias Vernets» und die Neugestaltung der Genfer Bucht − offensichtlich angemessen verkörpert wird.

Dieser Wettbewerb wurde zuerst in TRACÉS veröffentlicht. Lesen Sie die französische Original­version auf www.espazium.ch/pradematique-genevoise

Auszeichnungen
 

1. Rang / 1. Preis: «Au ras de l’eau»
Pierre-Alain Dupraz Architecte, Genf

2. Rang / 2. Preis: «Convergence»
Maxime Lecuyer und Ljirim Seljimi, Petit-Lancy

3. Rang / 3. Preis: «Jean-Jacques»
Tribu Architecture, Lausanne


4. Rang / 4. Preis: «La Rade Publique»
Dürig, Zürich

 

FachJury
 

Adrian Streich, Architekt; Patrick Devanthéry, Architekt, Genf (Präsident); Isabelle Charollais, Stadt Genf; Christelle Pally, Stadt Genf; Francesco Della Casa, Kanton Genf; Alexandre Wisard, Kanton Genf; François de Marignac, Architekt, Genf; François Chaslin, Architekturkritiker, Paris; Suzannah Drake, Architektin, New York; Jan Ammundsen, Architekt, Kopenhagen; David Zahle, Architekt, Kopenhagen; Elmar Ledergerber, Historiker und Wirtschaftswissenschaftler, ehemaliger Stadtpräsident von Zürich; Pia Durisch, Architektin, Lugano; Marie-Claude Bétrix, Architektin, Zürich; Jean-Pierre Stefani, Architekt, Genf; Thomas Lebedinsky, Stadt Genf (Stellvertreter); Bénédicte Montant, Architektin, Genf (Stellvertreterin); Pierre Bonnet, Architekt, Genf (Stellvertreter)

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