Platz-Park statt Parkplatz
Hafenpromenade Enge, Projektwettbewerb im offenen Verfahren
Die Autos sollen weg vom Hafen Enge in Zürich. Darüber hinaus unterscheidet sich der Siegerentwurf für dessen landschaftliche und architektonische Neugestaltung kaum von der heutigen Situation: Aus dem Parkplatz wird ein Platz-Park. Geschuldet ist das nicht zuletzt dem Wunsch, die gute Sicht auf dessen Sponsoren nicht zu beeinträchtigen.
In eigener Feder fertigte Louis XIV, bis heute menschgewordener Inbegriff des Absolutismus, eine Besichtigungsanleitung für die Gärten von Versailles an. Ebenso minutiös wie trocken legte der Monarch darin dar, wie man die streng gestaltete Landschaft um das Schloss zu betrachten habe, und immer wieder finden sich in der «Manière de montrer les jardins de Versailles» Hinweise auf die «nappes» und die «jets d’eau», die Wasserflächen und Springbrunnen, und den Blick zurück aufs Schloss, der die Besuchenden der steten Präsenz des Herrschers versicherte.
2019, als der Springbrunnen beim Hafen Enge in die Jahre gekommen schien, schenkte die Zurich Versicherung der Stadt, deren Namen sie ü-pünktchenlos in die ganze Welt trägt, eine neue Fontäne. Nun macht die Versicherung, gemeinsam mit ihrer wirtschaftlichen Schwester und stadträumlichen Nachbarin Swiss Re, der Stadt ein weiteres Geschenk: einen neuen Park. Der Grünraum am Jachthafen Enge – derzeit überwiegend ein Parkplatz zwischen dem Seeufer und dem vielbefahrenen Mythenquai – wird neu gestaltet. In einem Projektwettbewerb im offenen Verfahren setzte sich der Entwurf der ARGE Schmid Kuhn Landschaftsarchitekten mit Loeliger Strub Architektur durch. Entscheidend waren die «Sichtbezüge zum See und zu den repräsentativen Versicherungsbauten», betonte Richard Wolff, Chef des Zürcher Tiefbaudepartements. Mit anderen Worten: ein Park ohne im Weg stehendes Grün. Die Konzerne bekommen eine gute Sicht auf den See und die «jets d’eau» über das von ihnen gesponserte neue Parterre im französischen Stil hinweg. Umgekehrt kann eine jede Pedalofahrerin sich auch in Zukunft der Präsenz der Versicherungskonzerne versichern.
Unbefangener Abriss
Der umfangreiche Ausbau der Firmenstandorte steht in direktem Zusammenhang mit der Neugestaltung der Fläche am See. 2017 ersetzte die Swiss Re einen Altbau durch einen massiven Kubus mit gewellter Glasfassade (Diener & Diener Architekten, Basel; TEC21 6–7/2018 «Swiss Re Next – Bauen am See»); soeben ist der von Adolf Krischanitz gestaltete Neubau der Zurich Versicherung eröffnet worden, und dazwischen baut die Swiss Re ein weiteres Bürogebäude (Meili & Peter, Zürich). Dass dafür das auf die 1920er-Jahre zurückgehende «Mythenschloss» weichen musste, offenbart eine gewisse Unbefangenheit gegenüber architektonischer Semantik, brachten dessen Ehrenhof und strenge Axialität die Herrschaftsgeste doch weit besser zum Ausdruck als das, was nun dort entsteht. Die Neubauten übertreffen das hier eigentlich erlaubte Bauvolumen deutlich, und das inspirierte auch das Geschenk: Die Stadt Zürich erlaubte die höhere Flächenausnutzung im Gegenzug für eine grosszügige Mitfinanzierung des neuen Gartens. Dieser kann auch nur entstehen, da die hier derzeit zur Verfügung stehenden 127 Parkplätze zukünftig in der Tiefgarage der Swiss Re Platz finden. Eine Geschenkkultur wie einst zwischen Fürsten und Kardinälen – heute heisst das Public-Private Partnership.
Der aus dem Tauschgeschäft hervorgegangene Siegerentwurf präsentiert sich ebenso korrekt wie uninspiriert. Die braven Parallelen von Veloweg, Abstandsgrün, grossem Platz und Promenade bieten etwas Schallschutz und wenden den Fokus zum See. Eine zeitgenössische Gartengestaltung bieten sie nicht, eine Vision schon gar nicht. Eine chaussierte Fläche mit Pappeln verspricht geringe Unterhaltskosten, ansonsten ebenso wenig Schatten wie Neues. Warum die Gestalter nicht wenigstens Bäume mit breiteren Kronen vorgesehen haben, bleibt ein Rätsel. Allein der von Loeliger Strub geplante, knallrote Holzkiosk verspricht Aufenthaltsqualität und verankert den Entwurf mit seiner Schaufassade und der grossen Aufschrift «Porto» im neopostmodernen Heute.
Mehr Grün
Andere Entwürfe wagten da mehr, auch mehr Grün. Der zweitplatzierte Beitrag «Voilà», von Mettler Landschaftsarchitektur, entschied sich für einen dichten Baumbestand zur Strasse, der sich zum See hin auflöst, durchzogen von langen gewundenen Bänken – eine Einladung zu informellem Lümmeln.
Visionslos
Doch das ebenso laut präsente wie planerisch totgeschwiegene Thema, der Elefant im Grünraum, ist die benachbarte Strasse. Deren klangvoller Name Mythenquai konterkariert ihre triste Existenz als dreispurige Verkehrsader, die das Quartier – und damit auch die Versicherungsbauten – vom Seeufer trennt. Doch sie war explizit ausgeklammert aus dem Wettbewerbsperimeter, und an ihr soll sich in naher Zukunft auch nichts ändern (bis auf zwei neue Fussgängerstreifen). Der Stadt Zürich fehlte offenbar der Mut zum grossen Massstab, der auch grosse Chancen geboten hätte: auf eine Verlegung des Verkehrs, auf einen Shared Space, auf einen Park, der alle Bewegungsformen vom Auto über den Kinderbuggy bis zum Segelboot in Kommunikation bringen könnte. Stattdessen korrekte Langeweile. Das ist um so erstaunlicher, als die Neugestaltung Teil eines umfangreichen Planungsprozesses vom grössten Massstab bis ins Detail war, des zwischen Kanton und Stadt abgestimmten Leitbilds Seebecken von 2009.
Doch von einer Vision ist in diesem Fall nichts mehr übriggeblieben als die Sicht aus den Büros auf den See.
Jurybericht und Pläne auf competitions.espazium.ch
Auszeichnungen
1. Rang/1. Preis: «Porto stretto»
ARGE Schmid Kuhn Landschaftsarchitekten, mit Loeliger Strub Architektur, beide Zürich
2. Rang/2. Preis: «Voilà»
Mettler Landschaftsarchitektur, Gossau, mit Brechbuehler Walser Architekten, Zürich
3. Rang/3. Preis: «Rocky»
égü Landschaftsarchitekten mit Claudia Meier & Markus Bachmann/MBAA, alle Zürich
4. Rang/4. Preis: «Tempo rubato»
exträ Landschaftsarchitekten mit Märki Sahli Architekten, beide Bern
5. Rang/5. Preis: «Flâneur & Flâneuse»
Vogt Landschaftsarchitekten mit Duplex Architekten, beide Zürich
FACHJury
Jeremy Hoskyn, Amt für Hochbauten, Zürich; Pascal Hunkeler, Amt für Städtebau, Zürich; Marie Noëlle Adolph, Landschaftsarchitektin, Meilen; Lorenz Eugster, Landschaftsarchitekt, Zürich; Gabrielle Hächler, Architektin, Zürich; Maja Stoos, Architektin, Brugg; Barbara Emmenegger, Soziologie & Raum, Zürich
SACHJury
Ingo Golz, Grün Stadt Zürich; Richard Wolff, Vorsteher Tiefbau- und Entsorgungsdepartement, Zürich; Christof Keller, Swiss Re, Zürich;
Thomas Grossenbacher, Zurich Insurance Company, Zürich; Claus Reuschenbach, Liegenschaften Stadt Zürich; Nicole Schönenberger, Quartierverein Enge