«Pi­lot­pro­jek­te zu nach­hal­ti­gem Be­ton rei­chen nicht – die brei­te An­wen­dung zählt»

Simone Stürwald ist Professorin für nachhaltige Konstruktion an der ­Ostschweizer Fachhochschule (OST). Im Interview spricht sie über das Potenzial von nachhaltigem Beton und warum höhere Kosten pro Kubikmeter Beton sinnvoll sind.

Publikationsdatum
08-01-2025

Frau Stürwald, bei Beton denkt man oft an graue Häuserlandschaften. Warum forschen Sie gerade zu diesem Baustoff?

Simone Stürwald: Bevor ich in die Baustoffentwicklung wechselte, arbeitete ich als Tragwerksplanerin. Zu den Baustoffen kam ich eher zufällig mit der Übernahme der Baustoffprüfstelle an der OST. Seither widme ich mich der Forschung zu neuen und nachhaltigen Betonmischungen – einem Baustoff, der im Hochbau, in Infrastrukturprojekten bis hin zum Brücken- und Tunnelbau verwendet wird. 

Was versteht man unter nachhal­tigem Beton?

Nachhaltigkeit lässt sich ganzheitlich oder mit Fokus auf ökologische Aspekte betrachten. In der Baustoffforschung liegt unser Fokus auf ökologischen Faktoren wie der Schonung von Ressourcen, der Kreislaufwirtschaft und der Reduktion von CO²-Emissionen bei der Herstellung. 

Die Zementproduktion soll weltweit für bis zu 8 % der menschengemachten CO²-Emissionen verantwortlich sein. Warum nicht einfach den Zementanteil redu­zieren?

Das machen wir schon. Eine Reduktion ist aber nur bis zu einem gewissen Grad möglich, denn wir brauchen Zement als Bindemittel für die strukturelle Integrität. Zu Beginn des Betonbaus war der Zementanteil aus Kostengründen geringer. Als Folge von Betonschäden in den 1970er-Jahren ging man wieder dazu über, mehr Zement in die Rezepturen zu mischen.

Sie forschen am Klark-Beton. Worum geht es da genau? 

Klark-Beton kompensiert das CO² aus der Herstellung durch den Einsatz von Pflanzenkohle, also biogenem Kohlenstoff, und ist somit klimaneutral. Klark wurde für und mit der Logbau AG entwickelt, einem Betonhersteller aus Graubünden, der lokal produzierte Pflanzenkohle in den Baustoff einbringen wollte. Wir als Fachhochschule betreiben angewandte Forschung und helfen, diese Innovation marktreif zu machen. 

Ist Klark-Beton auch im Tiefbau einsetzbar?

Im Tiefbau sind die Anforderungen an den Beton besonders hoch, weshalb der Klark-Beton aufgrund seiner Eigenschaften bisher weniger geeignet ist. Derzeit arbeiten wir daran, die Dauerhaftigkeit gegenüber Umwelteinflüssen wie Tausalzen deutlich zu verbessern. Im Hochbau, der über 70 % der Menge des Betons ausmacht, ist Klark-Beton bereits einsetzbar und kann signifikant zur Reduktion von CO²-Emissionen beitragen. 

Der hohe Betonbedarf in der Schweiz könnte enorme Mengen an Pflanzenkohle erfordern – und ebenso viel Holz. Ist das ein Beispiel für Greenwashing? 

Das sehe ich nicht so. Laut den Richtlinien des European Biochar Certificate (EBC)1 muss die für den Beton verwendete Pflanzenkoh-le aus Holz- oder Pflanzenresten stammen, etwa aus Ascherückständen regionaler Block­heiz­kraft­werke. Diese «Abfallprodukte» würde man sonst einfach entsorgen. Aber wir müssen uns im Klaren sein: Beton ist das am zweithäufigsten verwendete Ma­terial nach Wasser. In der Schweiz werden jährlich rund 15 Millionen Kubikmeter Beton produziert. Wir müssen daher den Einsatz von Beton dosieren. Be­gleitend dazu bleibt die CO²-Kompensation als Übergangslösung sinnvoll.

Wie bewerten Sie die Karbona­tisierung von Beton, bei der CO² chemisch gebunden und somit dauerhaft gespeichert wird?

Diese Methode eignet sich für Altbeton und findet vorwiegend an der Oberfläche statt. Bei bestehenden Stahlbetonkonstruktionen ist der Prozess weniger erwünscht, da bei der Karbonatisierung der Schutz vor Korrosion abnimmt und somit auch die Lebensdauer des Bauteils. Ausserdem verlangt eine Betonmischung mit recyceltem Betongranulat eher mehr Zement, was die CO²-Einsparung wieder relativiert. Das Potenzial für die CO²-Reduktion durch Karbonatisierung liegt bei etwa 5 bis 10 % pro Kubikmeter Recy­clingbeton und ist daher begrenzt. 

Gibt es weitere vielversprechende Ansätze für nachhaltigeren Beton?

Der kommende normative Wegfall der Mindestzementmenge hat den Weg geebnet, alternative Rezepturen zu entwickeln. Innerhalb des streng regulierten Rahmens für Betoninhaltsstoffe sind neu auch regional verfügbare Zusatzstoffe zertifizierbar. Dies hilft, Stoffkreisläufe zu schliessen. 

Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der Entwicklung von neuen Betonmischungen?

Wir entwickeln zusammen mit einem Anbieter von Steuerungssoftware ein Tool namens OptimiX. Das maschinelle Lernen hilft den Betonherstellern dabei, die vielen Einflussfaktoren auf Beton besser zu beherrschen und Rezepturen mit weniger Zement zu entwickeln. Wir rechnen beim Einsatz dieses Tools mit einer Zementeinsparung von mindestens 20 %. 

Ist Beton nicht ein Auslaufmodell – selbst in einer nachhaltigeren Variante? 

Wir sollten uns nicht zu sehr auf einzelne Baustoffe konzentrieren, da es nicht nur darum geht, welche Materialien mehr oder weniger nachhaltig sind. Genauso wichtig sind effiziente und materialgerechte Tragwerke, die geringere Umweltauswirkungen je Nutzungseinheit aufweisen. Das war für mich auch der Anstoss für die Gründung der SIA-Arbeitsgruppe «Nachhaltige Tragwerke». Diese Gruppe entwickelt materialübergreifend nachhaltige Tragwerksansätze und bereitet dazu eine SIA-Wegleitung vor. Letztlich brauchen wir ganzheitliche Planungsprozesse, in denen Nachhaltigkeit so früh wie möglich thematisiert wird. 

Wie sieht es mit den Kosten für nachhaltigen Beton aus?

Wenn man den Zement reduziert, spart man zunächst Kosten. Zusätzliche Kosten verursachen hingegen chemische Zusatzmittel und eine aufwendi­gere Verarbeitung der Betonmischungen. Ausserdem muss nachhaltiger Beton länger in der Schalung bleiben, was wiederum zu Verzögerungen beim Bauen führt. All das zusammen wird sich in erhöhten Preisen zeigen – und das ist auch gut so. Denn wir müssen weg vom Beton als Massenware. Mir ist lieber, wir haben eine technisch gute Lösung, die nachhaltig ist und gut funktioniert. Beton sollten wir dort einsetzen, wo andere Stoffe nicht so gut performen. Ich rechne mit leichten Mehrkosten für Materialien – demgegenüber liegt mit sinnvoller Planung ein Sparpotenzial in der Konstruktion. 

Was steht als Nächstes auf der Agenda bei nachhaltigem Beton? 

Grundlagenforschung ist wichtig, doch es reicht nicht aus, sich nur auf Pilotprojekte zu konzentrieren. Wir arbeiten daran, dass nachhaltige Lösungen eine breite Anwendung in der Bauindustrie finden. Denn nur so können wir die CO²-Emissionen signifikant reduzieren. 

Anmerkung 

1 Das Europäische Pflanzenkohle-Zertifikat (EBC) wurde seit 2010 unter Führung des Ithaka Instituts ent­wickelt und zum freiwilligen Industriestandard ausgebaut.

Verwandte Beiträge