Nicht zwin­gend zu Be­hei­zen­des bleibt aus­sen vor

Schulhaus Wallrüti, Winterthur

Was leistet das flächeneffiziente Schulhaus Wallrüti in Winterthur für die Ökologie? Die räumlich besondere Organisation ist suffizient und ermöglicht ein schlankes Haustechniksystem. 

Publikationsdatum
23-02-2023

Im Showroom von Autohäusern fällt sofort auf: Die «Utility»-Klasse wirkt sportlich, breit und hat viel Beinfreiheit. Selbst kleine Fahrzeugmodelle kommen aufgebauscht daher. Und: Was früher manuell handzu­haben war, ist nur noch per Knopfdruck lieferbar. Solche Sprünge in der Formatierung und ­Automatisierung scheint der Bausektor ebenfalls mit Fortschritt zu verwechseln: Ein Wechsel von Alt zu Neu bläht Schlankes gern auf. Die Verpackung wird luftig, drinnen entsteht viel Freiraum, und es wird bequemer.

Wissenschaftliche Analysen zeigen allerdings: Ein derart aufgeblähter Ersatz spart oft weniger ­Ressourcen als von ihm verdrängte Immobilien. Die Effizienzkennwerte werden zwar besser, doch der ­Rebound-Effekt, der aus dem Zuwachs an Fläche und Komfort entsteht, macht viele Energiesparbemühungen wieder zunichte.

Bescheidenster Fussabdruck

Die Stadt Winterthur dachte eher daran, finanzielle als energetische Ressourcen zu schonen, als sie einen Ersatz für das nicht instandsetzbare Wallrüti-Schulhaus bestellte. Für wenig Geld wollte sie eine gut organisierte Schule. Keine grosse Überraschung war deshalb, dass derjenige Vorschlag den Wettbewerb gewann, der sich mit dem bescheidensten Fussabdruck begnügte: Die Geschossfläche und die Hauptnutzfläche unterscheiden sich nur unwesentlich. Die hohe Flächeneffizienz, der kompakte Baukörper und ein ungewohnter Alltagsbetrieb sind nun Erkennungsmerkmale für diese mutige Freiluftarchitektur.

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Das Format folgt der funktionalen Regel: Was nicht zwingend zu beheizen ist, bleibt aussen vor. Die Energiebezugsfläche beherbergt nur Räume, die direkt dem Unterricht dienen. Klassenzimmer an Klassenzimmer reiht der quaderförmige Baukörper aneinander. Aufs Wesentliche reduziert sind selbst die improvisierten Garderoben: mit Haken an den Pfeilern in jedem Unterrichtsraum. Ausserhalb der thermischen Glashülle befindet sich dagegen, was der Erschliessung dient. Gänge, Foyer und Treppenhaus bilden zusammen die Lauben, die durch wolkenförmig auskragende Betondecken gut vor Regen und Sonne abgeschirmt sind. Läge der ausgelagerte Zugangsbereich innerhalb des Dämmperimeters und würde dieser wie üblich beheizt: Energiebezugsfläche und Heizwärmetotal wären etwa 20 % grösser.

Natürliches Belüften

Das reduzierte technische Inventar passt zur einfachen Raumanordnung: Anstelle eines mechanischen Antriebs sorgt die natürliche Thermik für Luftströmung. Frische Luft gelangt von aussen in jedes Klassenzimmer, sobald Eingangstür, Lüftungsflügel und/oder Schiebefenster offen stehen. Noch wirksamer wäre ein Querlüften, was aber daran scheitert, dass jeder Raum nur die eine Fensterfront besitzt. Hierbei mussten die Lüftungsflügel optimiert werden: Anstelle von ursprünglich geplanten Oberlichtern erlauben nun vertikal und raumhoch angeordnete Öffnungen den regelmässigen Luftaustausch. CO²-Sensoren regeln den automatischen Auf-und-Zu-Betrieb. «Das in der Planung bestimmte Lüftungs­regime scheint sich zu bewähren», sagt Daniel Huwiler vom Amt für Städtebau: Jede Klasse benötigt ein bis zwei Mal pro Lektion frische Luft. Kinderkrankheiten sind einzig bei der Steuerung der Lüftungsflügel zu beheben.

Das natürliche Belüftungssystem wirkt auch bei der Raumklimatisierung aktiv mit. Etwa zum Schutz vor der Sommerhitze: Die Lüftungsflügel lassen sich gemäss Zeitprogramm – etwa ab Mitternacht bis zur Morgenfrische – öffnen. Werden die Räume in der Nacht systematisch ausgekühlt, können Oberflächen ein Aufheizen der Innenluft tagsüber abpuffern. In Ergänzung dazu bieten die mineralischen Böden und Decken ausreichend Masse, um sich am thermischen Ausgleich zu beteiligen. «Die Bauherrschaft lässt gewisse Überhitzungsstunden zu», ergänzt Robert Gschwend vom ­Gebäudetechnikbüro Waldhauser + Hermann.

Energie gespart

Im aktuellen Schulhausbau sind derart entschlackte Systeme willkommen. Ob bei Bestellungen oder in Wettbewerbsentwürfen: Architekten und Bauträger ziehen das natürliche Belüften einer mechanischen Anlage oft vor, falls die Standorte vor Strassenlärm gefeit sind. Denn es spricht sich herum: Ein kontrolliertes Lüften erhöht den Stromverbrauch von Zweckbauten bis zu 50 %; diesen Zusatz hat sich das Schulhaus Wallrüti aufgespart. Auch seiner Architektur ist zu verdanken, dass Motoren und Ventilatoren weitgehend überflüssig sind.

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Komplett antriebslos ist das Wallrüti-Schulhaus aber nicht: Die Heizkörper sind am Boden angebrachte Luftkonvektoren, die Wärme von einer Erdwärmepumpe beziehen. Die relativ hohe Vorlauftemperatur von 40 °C stellt sicher, dass die Räume flink mit warmer Luft versorgt werden. Dies wirkt zum einen dem Auskühlen der Raumluft entgegen, weil die Zimmer nur stossweise gelüftet werden. Zum anderen lässt sich der Eintrag von Warmluft ebenso kurzfristig drosseln, weil die Schülerinnen und Schüler ihrerseits viel Wärme einbringen. Die Konvektoren unterstützen bei Bedarf auch den sommerlichen Hitzeschutz: Im Freecooling-Modus strömt Luft in die Schulzimmer, nachdem sie via Erdwärmesonden abgekühlt wurde.

Lernfähige Nutzer

Die Architektur bietet Gewähr für die effiziente Raum­organisation und den schlanken technischen Zusatz­aufwand. Aber gratis ist das nicht; es wurde mehr Material verbaut: Um die vertikale Tragstruktur freizuhalten, etwa von aussteifenden Trennwänden, sind die Betondecken mindestens 35 cm dick; die rippenartigen Unterzüge noch 10 cm mächtiger. Umso relevanter ist die Systemtrennung: Die massive Bausubstanz enthält mit Ausnahme der Stromleitungen keine weiteren Einlagen. So sind modulare und flexible Nutzungskonzepte denkbar, sollte das Schulhaus irgendwann nicht mehr für Bildungszwecke beansprucht werden. Und sowieso gilt: Angesichts der verbauten Betonmasse ist geboten, das Bauwerk – anders als sein Vorgänger – dauerhaft, für viele kommende Generationen, zu nutzen.

In der Projektierungsphase wurde kurz darüber diskutiert, die Lüftungsflügel nicht mit Elektronik auszustatten. Doch die Nutzerseite lehnte die Vereinfachungsidee mit dem Hinweis ab: Lehrpersonen seien mit dem Unterricht so weit absorbiert, dass sie sich nicht auch noch um die Lufthygiene kümmern könnten. Nach dem ersten halben Betriebsjahr scheint sich diese Skepsis aber zu verflüchtigen. Zwar sei man, gemäss Daniel Huwiler, noch daran, den Lüftungsalgorithmus hinsichtlich des CO²-Gehalts und der Raumtemperaturen zu optimieren. Gleichzeitig bestätige der Schulalltag, dass sich die Nutzer an dieses ungewöhnlich kompakte und dennoch luftige Schulhaus gewöhnen können.

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