Er­satz für 20 000 fos­sil ­be­trie­be­ne Hei­zungs­an­la­gen

Die Stadt will Öl und Gas aus dem Siedlungsgebiet verbannen und als Ersatz CO2-arme Wärme aus Verbundnetzen bereitstellen. Die öffentliche Versorgungsinfrastruktur soll künftig mehr als das halbe Stadtgebiet mit erneuerbarer Heizwärme bedienen.

Publikationsdatum
10-05-2023

Zürich ist Grossproduzentin von CO2-freiem Strom und beteiligt sich am Ausbau eines klimafreundlichen Kraftwerkparks weit über die Stadtgrenzen hinaus. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts begann die Stadt, in Mittelbünden Flusskraftwerke und Stauseen zu bauen. Und seit dem 21. Jahrhundert erweitert sie ihr Portfolio mit Wind- und Solarparks von Norwegen über Ostdeutschland bis nach Spanien. Über zwei Dutzend Grossanlagen betreibt «ewz Deutschland» inzwischen in ganz Europa, rapportiert das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich (ewz) in seinem aktuellen Geschäftsbericht. Diese zusammen liefern genauso viel Ertrag, wie alle Zürcher Privathaushalte konsumieren: gut eine Megawattstunde erneuerbaren Strom.

Zwar wird externer Strom nicht nach Zürich importiert. Dennoch ist die Limmatstadt gut mit erneuerbarer Elektrizität versorgt. Privat- und KMU-Kunden erhalten jetzt schon 100 % Naturstrom. «Wir sind gut unterwegs auf dem elektrischen Netto-Null-Pfad», bestätigt Silvia Banfi Frost, Energiebeauftragte der Stadt Zürich.

Das städtische Energieunternehmen fördert dazu weitere Quellen auch in der Nähe: Im Waadtländer Jura plant es zusammen mit den Standortgemeinden den grössten Windpark der Schweiz: Zwölf Windräder sollen Strom für rund 30 000 Haushalte erzeugen. Noch dieses Jahr werde ein Baugesuch eingereicht, teilt ewz mit.

Wärmeversorgung als Baustelle

«Eine grössere Baustelle ist die Wärmeversorgung», so Banfi Frost. Im wahrsten Sinne des Wortes: Letzten Herbst bewilligte das Stimmvolk einen Kredit über eine halbe Milliarde Franken für den Ausbau von Verbundnetzen, die die Quartiere Höngg und Altstetten sowie diejenigen von Albisrieden bis ins Enge-Quartier mit CO2-armer oder -neutraler Wärme versorgen. Die Bevölkerung und die Politik der Stadt Zürich haben mit dem Netto-Null-Ziel Grosses vor: «Private und die öffentliche Hand können im Energiesektor sehr viel selbst dafür tun», sagt die Energiebeauftragte.

Damit der Gebäudesektor aus dem fossilen Zeitalter aussteigen kann, sind noch knapp 20 000 Ölheizungen und Erdgasanschlüsse auf Stadtgebiet durch eine ökologische Alternative zu ersetzen. Werden ab sofort jeden Arbeitstag mindestens fünf Anlagen ausgetauscht, ist die Stadt bis 2040 die Hälfte ihrer direkten Treibhausgasemissionen los. Das Unterfangen erscheint komplex. «Doch die technischen Lösungen sind da, die gesetzlichen Rahmenbedingungen stimmen, und die Stadt wird mindestens 1.5 Milliarden Franken in eine kollektive Wärmeversorgung investieren», bestätigt Banfi Frost. Ein Masterplan – der «Umsetzungsplan thermische Netze» – koordiniert die Investitionen in den Ausstieg aus der fossilen Energie. «60 % der Siedlungsfläche werden dereinst mit klimaschonenden Wärmeverbundnetzen erschlossen.»

Nicht nur ewz, sondern auch die anderen Energieversorgungsunternehmen der Stadt – Entsorgung + Recycling Zürich (ERZ) und Energie 360° – beteiligen sich an diesem Infrastrukturausbau. Die Fachstelle Wärme Zürich des Departements der Industriellen Betriebe koordiniert die Entwicklung und den Ausbau dieser Wärmeverbundnetze. Steigende Energiepreise geben weiteren Anstoss zur Abkehr von der fossilen Energie. «Der Heizungsersatz ist aktuell sehr gefragt», bestätigt die Energiebeauftragte.

Das Versorgungskonzept der Stadt profitiert von der Umsetzung der 2000-Watt-Gesellschaft, die seit über einem Jahrzehnt erfolgt. Der Wechsel zu den erneuerbaren Energien beginnt deshalb nicht bei null. Gemäss ersten Abschätzungen von Umwelt- und Gesundheitsschutz Zürich (UGZ) fiel der Anteil von fossiler Energie beim Heizen im letzten Jahr erstmals unter 70 %. Vor allem der öffentlichen Versorgung ist zu verdanken, dass der CO2-Ausstoss auf Zürcher Territorium seit 1990 um 30 % gesunken ist. Die Pro-Kopf-Bilanz liegt einen Drittel tiefer als im Rest der Schweiz: Jede Zürcherin und jeder Zürcher verursacht einen jährlichen Ausstoss von rund 4.3 t CO2; der inländische Schnitt liegt bei 5.9 t pro Kopf und Jahr.

Weitere Energiequellen?

Aber genügen die verfügbaren Wärmequellen, um jedes einzelne der knapp 55 000 Häuser von Zürich klimaneutral zu versorgen? Bisher wird ein reichhaltiger Pool genutzt: Mehr als jedes dritte Gebäude bezieht Umweltwärme, Sonne, Biomasse oder Abwärme als Quelle zum Beheizen. Hauptlieferanten sind das Kehrichtheizkraftwerk Hagenholz und das Holzheizkraftwerk Aubrugg, die zu 70 % fossilfreie Fernwärme liefern. Das Angebot ist gross genug, um sie noch feiner in den nördlichen und westlichen Stadtteilen zu verteilen (vgl. «Fernwärme auf der Überholspur»). Weitgehend klimaneutral ist der Energiebezug in Altstetten und Höngg, dies dank Abwärme aus den Anlagen zur Abwasserreinigung und Klärschlammverwertung im Werdhölzli. Und punktuell liefern sogar Rechenzentren und Eishallen ihre Abwärme an benachbarte Siedlungen.

Auch zum Kühlen liegen klimafreundlichere Alternativen zur elektrisch betriebenen Kältemaschine vor. Immer mehr Geschäftsimmobilien nutzen See- oder Grundwasser zur Raumklimatisierung. Die Stadt treibt zudem das Projekt «Cool City» voran, um den Finanz- und Versicherungsdistrikt in der Innenstadt ebenso wie angrenzende Geschäftsviertel koordiniert mit Wärme und Kälte aus Seewasser zu versorgen.

Mit dezentraler ­Versorgung

Noch ist das «Konzept Energieversorgung 2040» in Erarbeitung. Es soll dereinst den Katalog der verfügbaren erneuerbaren Energieträger vervollständigen und lokale Potenziale mit der Nachfrage aus dem Siedlungsraum zusammenbringen: «Die Heraus-forderung für die Energieplanung ist, die Versorgung einzelner Siedlungsgebiete optimal zu organisieren», ergänzt Marcel Wickart, Leiter Energieplanung. Eine hohe Wärmedichte – grosser Bedarf relativ zur Fläche – eigne sich für zentrale Energiesysteme besser als für dezentrale Heizanlagen. Insofern ist eine wichtige Behördenaufgabe, den Ausbau der Energieinfrastruktur auf die laufende Entwicklung der Stadt und ihrer Quartiere abzustimmen.

Und die Stadteigenen ­Heizungsanlagen?

 

Bis 2035 sollen alle städtischen Immobilien mit erneuerbarer Wärme versorgt werden. Der Ersatzbedarf für die Zweckbauten ist gross: In den letzten zwei Jahren wurden über 60 Anlagen umgerüstet; zu ersetzen sind noch über 300 fossil betriebene Heizungen. Für eine beschleunigte Umsetzung des Klimaziels rechnet Immobilien Stadt Zürich mit einem Zusatzaufwand von rund 104 Millionen Franken. Das Vorgehen soll grösstmögliche Einsparungen bei den direkten CO2-Emissionen bewirken: Ältere Anlagen werden vor neueren, grosse vor kleinen und Ölheizungen vor Gasheizungen ersetzt – durch Wärme­pumpen oder Anschlüsse an einen Wärmeverbund.

 

Auch das Portfolio der städtischen Wohnliegenschaften ist zu dekarboni­sieren: Bis 2035 sollen total 535 fossile Heizungen durch alternative Energie­quellen wie etwa die Anbindung an ­einen Wärmeverbund oder durch Wär-me­pumpen bzw. Pelletheizungen ersetzt werden. Dafür rechnet Liegenschaften Stadt Zürich (LSZ) mit Kosten von insgesamt rund 135 Millionen Franken.

Die wesentliche Rechtsgrundlage dafür liefert der Kanton. Das kantonale Energiegesetz wurde letzten Herbst revidiert, sodass Öl- und Gasheizungen am Ende ihrer Lebensdauer zwingend durch erneuerbare Heizsysteme ersetzt werden müssen. Privateigentümer:innen haben freie Wahl, wie sie die fossilfreie Zukunft angehen wollen. «Eine Anschlusspflicht für private Hauseigentümer:innen an einen lokalen Wärmeverbund gibt es nicht», so Banfi Frost. Die Stadt rechnet selbst damit, dass zwei von fünf Öl- oder Gasheizungen nur dezentral ersetzt werden können, etwa durch Wärmepumpenheizungen oder solche, die mit Biogas oder Solarenergie betrieben werden. Dafür gibt es jedoch finanzielle Unterstützung, ebenso wie für Gebäudesanierungen. Marie-Laure Pesch, Leiterin Energie und Gebäude bei Umwelt- und Gesundheitsschutz Zürich (UGZ), hofft, dass «künftig mehr Häuser energetisch erneuert werden als bisher». «Denn so kann der Gesamtbedarf für Wärme um 20 bis 25 % sinken», ergänzt Energieplaner Wickart.

Zusätzlicher Platzbedarf

Der Umbau der städtischen Energieinfrastruktur benötigt aber nicht nur neue Leitungen im Untergrund, um Wärme zu verteilen. Ebenso braucht es mehr Platz im dichten urbanen Umfeld, weil ihre vollständige Dekarbonisierung auf weitere Pumpstationen, Holzkraftwerke und Speicherzentralen angewiesen ist. Dieses Zusatzinventar soll dazu dienen, Öl und Gas zur Deckung des thermischen Spitzenbedarfs abzulösen. Die Fachverantwortlichen beim Departement der Industriellen Betriebe halten gemeinsam mit Kolleg:innen aus dem Hochbaudepartement Ausschau nach Raumreserven, im besten Fall an städtischen Immobilienstandorten (vgl. «Mehrere Fliegen mit einer Klappe»).

Und ein weiterer Plan wird derzeit stadtintern koordiniert: Die Energiebeauftragte arbeitet mit den Energieversorgern, dem Amt für Hochbauten, dem Amt für Städtebau, Liegenschaften Stadt Zürich, IMMO, Grün Stadt Zürich und UGZ zusammen, um auch die Sonnenenergie stärker als bisher zu nutzen. An öffentlichen Gebäuden soll bis 2030 gemäss der Photovoltaikstrategie fünfmal mehr Strom als heute erzeugt werden. Dass Zürich in 17 Jahren klimaneutral funktioniert, dazu kann die Stadt als Energieproduzentin viel selbst beitragen.

Dieser Artikel ist erschienen im Sonderheft «Netto null bis 2040Wie die Stadt Zürich klimaschonend bauen will».

Weitere Beiträge zum Thema finden Sie in unserem E-Dossier «Bauen für Netto Null».

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