Mit gu­tem Bei­spiel vor­an

Seit bald zwei Jahren ist die Bautensammlung «Aufbruch statt Abbruch – Wohnen im Gebäudebestand von 1945 bis 2000» online. Welche Erkenntnisse liefert dieses Projekt der SIA-Fachgruppe für die Erhaltung von Bauwerken? Ein Vorstandsmitglied berichtet. 

Publikationsdatum
11-06-2024
Alois Diethelm
Architekt und Vorstandsmitglied der SIA-Fachgruppe für die Erhaltung von Bauwerken (FEB)

Auslöser für die Website www.aufbruch-­statt-abbruch.ch war die (plötzliche) Häufung von Abbrüchen von Bauten, die erst 30 bis 40 Jahre alt waren, selbst im Fall von Bürogebäuden mit flexibel bespielbarem Tragwerk. Das anfängliche Ansinnen, die Gründe für den Abbruch von der Eigentümerschaft und den Planenden in Erfahrung zu bringen, gaben wir schnell auf, da wir deren Aussagen nicht auf ihren Wahrheitsgehalt hin hätten überprüfen können. 

Nun zeigen wir mit unserer Beispielsammlung die gebaute Wirklichkeit. Die Kraft ihrer blossen Existenz beweist, dass der Bestand eine Zukunft hat. Dabei bemühen wir uns um die Abbildung eines möglichst breiten Spektrums an Eingriffstiefen und Strategien, beschränken uns aber angesichts der gegenwärtigen Wohnungsnot und zugunsten der Vergleichbarkeit auf Wohnnutzungen. 

Die Bauten müssen zudem aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stammen, weil dieser Bestand einerseits immens ist und andererseits häufig eine fragilere Bauweise aufweist als die Gebäude früherer Epochen. Weiter darf die Intervention (Instandsetzung, Umbau, Umnutzung und/oder Erweiterung) wegen sich verändernder Vorschriften nicht mehr als zehn Jahre zurückliegen.

Mehr zum Thema in TEC21 12/2024 «Balanceakt Netto-Null»

Aktuell zählt die im Monatsrhythmus wachsende Website 20 Objekte, die zwischen 1950 und 1984 erbaut worden sind. Darunter befinden sich sechs Umnutzungen und drei Schutzobjekte der Denkmalpflege. Die Sammlung ist noch zu klein, um repräsentativ zu sein. Auch kann unsere Auswahl in gewissen Belangen zu einer ungewollten Häufung ähnlicher Ergebnisse führen. Trotzdem zeigen sich Muster, sei es in der Beantwortung der neun Pflichtfragen, beim Ausfüllen der Kennwertetabelle oder in der Plandarstellung.

Genau hinschauen

Immer wieder müssen wir dafür kämpfen, Pläne zu erhalten, die den Abbruch leserlich machen oder überhaupt zeigen. Es scheint fast, als gäbe es eine Abbruch­scham. Zurückhaltung ist auch bei der Bekanntgabe der Kosten zu spüren. Für unsere Sammlung sind die Kosten essenziell, weil wir sie als Orientierungshilfe für vergleichbare Aufgaben sehen. 

Beim Vergleich ist jedoch Vorsicht geboten. Ein hoher Kubikmeterpreis führt nämlich nicht zwangsläufig zu einem hohen Preis pro Funktionseinheit (Wohnung). Beschränken sich die Nebenräume auf ein absolutes Minimum und sind die Wohnungen klein, ist auch der Wohnungspreis niedrig. Man muss sehr genaue Kenntnisse des Projekts haben, um die Zahlen richtig zu interpretieren. Das mag eine Binsenwahrheit sein und gilt für Neubauten auf der grünen Wiese genauso, nur sind im Bestand die Voraussetzungen viel heterogener. 

Es ist kostenrelevant, wenn das Tragwerk erst ertüchtigt werden muss oder wenn neue Treppenhäuser eingebaut oder bestehende umplatziert werden. Bei unseren sechs Beispielen umgenutzter Gewerbebauten blieb die fussläufige Vertikal­er­schlies­sung übrigens nur bei zwei Gebäuden unverändert. Es handelt sich um die gleichen und einzigen Gebäude, die sich nach der Umnutzung auch von aussen noch als Altbauten präsentieren. 

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Nicht minder interessant ist, dass bei einem Viertel der Sammlung ein Neubau aus baurechtlichen Gründen zu einem kleineren Volumen geführt hätte. Die Ursachen finden sich in Wald- und Gewässerab­ständen, der Einführung der harmonisierten Baubegriffe1 und einer geringeren Geschosszahl im aktuellen Zonenplan. Das schützt vor Abbruch, hilft aber nicht der Verdichtung.

Miteinander reden und handeln

Die Interviews bestätigen, dass Gespräche und Eigen­initiative Wunder bewirken können. Es ist längst nicht alles in Stein gemeisselt. In einem Fall führte der Dialog zur Möglichkeit, auf den Einbau eines Feuerwehrlifts verzichten zu können, wenn die Wohnungen mit einem Brandmelder ausgestattet werden. Andernorts wurde – angeregt durch das beauftragte Architekturbüro – aus der vorgesehenen Strangsanierung eines einzelnen Hauses ein Aufstockungsprojekt für eine ganze Siedlung und dies, obwohl die Häuser in unterschiedlichem Besitz sind und die Gemeindeversammlung einer Anpassung des Gestaltungsplans zustimmen musste. 

Wir Planende können also einiges bewirken. Die Voraussetzungen, um Bauwerke erhalten zu können, sind heute so gut wie schon lange nicht mehr. Die ­Klimakrise führt vor Augen, wie viel Energie und Ressourcen Ersatzneubauten beanspruchen. Die Notwendigkeit, den Bestand zu pflegen und weiterzuentwickeln, ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Wer erhalten will, trifft deshalb vermehrt auf Verständnis und Wohlwollen.

Beim Erhalt geht es aber um weit mehr als «nur» um Ressourcenschonung. Bestandsbauten sind auch Zeitzeugen und Orte der Identifikation sowie der emotionalen Bindung. Ausserdem bilden sie einen kreativen Nährboden, wie die beiden Architektinnen unseres ­ersten «Bau des Monats» ihre Erkenntnisse treffend zusammenfassen: «Der Umbau liess uns Situationen generieren, die wir in einem Neubau nie in Betracht gezogen hätten.»2

Weitere Informationen über die Fachgruppe und ihre anderen Werkzeuge zur Erhaltung von Bauwerken

Anmerkungen


1 Wenn beispielsweise die Gebäudehöhe zuvor anders ermittelt wurde und die Masse im Baureglement nicht angepasst wurden.


2 Jay Thalmann und Marcella Ressegatti im Interview über das Mehrfamilienhaus Eichweid in Wädenswil.
 

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