Milano allargato
In diesem Jahr durchzog der Fuorisalone an der Milano Design Week als besonders dicht gewebtes Netz die Strassen von Mailand. Wir zeigen drei Orte jenseits der üblichen Pfade der Veranstaltung, die die Bedeutung der innenarchitektonischen Atmosphäre manifestieren.
Meine ausgetüftelte Route erübrigte sich schon nach wenigen Stunden, denn am Ausgang von einer Installation stand man fast schon in der nächsten – und ich glaube, so erging es vielen. Das Erleben von opulenten Apartments, blühenden Innenhöfen und brüchigen Lofts lockte immer weiter, das Vertiefen in die dort gezeigten Dinge geriet daneben aus dem Fokus. Eine gewisse Abneigung gegen das «Zuviel» machte sich bemerkbar.
Neues Design in alten Villen
Neue Destinationen zogen den Pilgerstrom vor die Tore der Stadt, heraus aus der Dichte: Eine Plattform für junges Design und Forschung öffnete zwei Villen, die sonst nicht zugänglich sind. Vom Keller bis in die Dachkammer stellten Designer und Designerinnen ihre Objekte vor. Der Park der Villa Bagatti Valsecchi, eines ebenso prachtvollen wie verlassenen Anwesens aus dem 19. Jahrhundert, etablierte sich als Marktplatz. Die Rechnung der Aussteller ging bestens auf: Denn erst vor den verwitterten Oberflächen der Villa Bagatti Valsecchi beziehungsweise in der kühl-eleganten Atmosphäre der benachbarten Villa Borsani (1945) machten die Gegenstände Eindruck. Die Strahlkraft der Orte war weit intensiver als die der gezeigten Dinge. Das Interesse an immer neuen und doch meistens gar nicht so neuen Produkten ist deutlich ins Stocken geraten. Ephemere Räume, architektonische Inszenierungen sind das Ziel, und auf dem Weg gleitet der Blick hier und da noch über ein paar Designobjekte.
Dabei muss einem die Lust an Mailand keineswegs vergehen. Auch im Stadtzentrum finden sich sehenswerte Bauten in Wechselwirkung mit ihrem Innenleben, jenseits der Herstellerpräsentationen. Hervorzuheben ist der gesamte Palazzo dell’Arte, der nach sorgfältiger Sanierung und Neuausrichtung seine Tore im vergangenen Jahr wieder geöffnet hat. Zum 100-jährigen Bestehen der Triennale ist er mit einem vielseitigen Veranstaltungsprogramm zu erleben.
Nicht nur das Design-Forschungszentrum mit Bibliothek namens «Cuore» und die Sonderausstellung zu Inga Sempé sondern auch die Dauerausstellung als Spaziergang durch die jüngere Designgeschichte Italiens ist gelungen und nahbar. Es mag am italienischen Design liegen, dass die Atmosphäre gleichzeitig erhebend und augenzwinkernd daherkommt. Auch hier ist es der umgebende Raum, die «Curva» im lichtdurchfluteten Erdgeschoss des rationalistischen Gebäudes (Giovanni Muzio, 1933), der die Objekte adelt und die Blicke immer wieder auf sich zieht, Ausblicke in den Park bietet und eine visuelle Erholung erlaubt.
Authentizität im Industriegebiet
Auf ganz andere Art funktionierte der Messe-Auftritt von Ikea: Obwohl sich der Padiglione Visconti in der Zona Tortona, einem ehemaligen Industriegebiet der Stadt, auf den ersten Blick nicht von einem Ikea-Geschäft unterscheidet, also an sich keine Schönheit verströmt, stärkte er mit seiner brutalistischen Erscheinung die Installation des Möbelriesen. So kritisch man den Produkten gegenüberstehen mag – die Marketingleute sind treffsicher: Zur Entwicklung des Konzepts trugen Studierende aus Japan und Italien mit ihren Vorstellungen der ersten eigenen vier Wände bei.
Die diesjährige Szenerie bildete die Fragen ab, die sich jemandem stellen, der zum ersten Mal auszieht. Der typische Parcours führte durch eine zweigeschossige Konstruktion aus Baugerüsten und Kunststoffplanen zu Orten, an denen nicht nur die erste Party, sondern auch die ersten selbstverwalteten Abwaschberge oder die erste Nacht am Schreibtisch verankert sind. Es ging mehr um das Leben mit den Gegenständen als um die Objekte selbst.
Das Narrativ muss überzeugen
Ob als Kontrast oder als Überhöhung – die Bauten umfingen die darin gezeigten Objekte mit einer eigenen Stimmung. Das Setting suggerierte eine Einordnung der Herstellenden – das Objekt an sich trat in den Hintergrund. Ein Narrativ übernahm den Platz der Produktdaten. Für eine vertiefte Auseinandersetzung brauchte es «Paten», die die Herstellungsprozesse, Materialien und kreislaufwirtschaftlichen Aspekte erläutern.
Als Schulung und Horizonterweiterung in Sachen Wahrnehmung ist der Fuorisalone mit seinen Sidekicks also weiterhin wärmstens zu empfehlen.