Gier nach Sand

Sand ist eine der Ressourcen, die weltweit in grössten Mengen abgebaut ­werden, doch in vielen Regionen sind diese Aktivitäten so gut wie gar nicht reguliert. Bislang existiert zudem kaum ein allgemeines Bewusstsein darüber, mit welchen weitreichenden Auswirkungen der Abbau einhergeht.

Publikationsdatum
10-06-2021

Man stelle sich vor: An der marokkanischen Küste mit einem traumhaften Strand soll ein Hotel gebaut werden. Was spricht dagegen, den Sand vom nahe gelegenen Strand zu verwenden? Am Ende steht das Hotel für die Badegäste bereit, doch der Strand ist verschwunden. Keine Fiktion, sondern Wirklichkeit – und dabei nur ein Aspekt eines vielschichtigen Problems.

Zwei Drittel der Gebäude weltweit bestehen aus Stahlbeton, und Beton wiederum besteht zu zwei Dritteln aus Sand. In Dubai steht der Burj Khalifa, das höchste Gebäude der Welt, ein gigantischer Turm aus Beton und Glas. Vor der Küste werden künstliche Sand­inseln wie «The Palm» und «The World» aufgeschüttet – der Sand dafür wurde aus Australien importiert.

Auch in Asien entstehen zahlreiche neue Inseln. Vor der Küste von Hainan, einer Touristeninsel im äussersten ­Süden Chinas, werden gerade elf künstliche Inseln angelegt. Sie tragen Namen wie «Millennium Hotel Island», «Nanhai Pearl» oder «Ocean Flower». Vor der Küste Australiens entstehen die «Sovereign Islands»; «Ocean Reef» bezeichnet zwei künstliche Inseln vor Panama-Stadt.

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Damit etwa Singapur neues Land gewinnen konnte – ein Fünftel oder 130 km2 der Landfläche sind künstlich entstanden –, wurde Sand grösstenteils aus Malaysia, Vietnam, Kambodscha und Indonesien herangeschafft. Dort sind infolge des Sandabbaus Dutzende von Sandinseln verschwunden. Inzwischen haben alle vier Staaten den Export nach Singapur verboten, was den Preis für eine Tonne Sand enorm in die Höhe getrieben hat.

Singapur möchte trotzdem weiterwachsen, geplant sind zusätzliche 100 km2 Landfläche bis ins Jahr 2030. Illegal wird nach wie vor Sand nach Singapur exportiert. Kriminelle Gangs rund um die Welt fahren mit Baggern und Lastwagen auf die Strände und bedienen sich unverfroren, während andere mit Schaufeln Säcke füllen und diese auf Packtieren zu nahen Baustellen bringen.

Sand ist nicht gleich Sand

Warum wird für Aufschüttungen und Stahlbeton kein Sand aus der Wüste verwendet? Wüstensand gibt es zwar im Überfluss, doch seine Körner sind durch Wind fein und rund geformt. Für die Herstellung von Beton sind sie ungeeignet, weil sie sich durch die fehlenden Kanten nicht mehr verhaken können. So entsteht das scheinbare Paradoxon, dass die reichen Wüstenstaaten am Persischen Golf, die eigentlich über jede Menge Sand verfügen, zu den grössten Sandimporteuren der Welt zählen.

Die Bauindustrie benötigt Sand mit einer rauen Oberfläche, so wie sie vom Wasser geformt wird. Daher gewinnt man Sand aus Flussbetten, aus Seen, von den Küsten oder – da die Vorkommen an Land zur Neige gehen – vom Meeresboden.

Sandrecycling steckt noch in den Kinderschuhen, da die Rückgewinnung noch verhältnismässig aufwendig ist. Alternativen – Holz, Bambus, rezykliertes Altglas oder rezyklierter Beton – werden zunehmend eingesetzt. Forscherinnen und Forscher sind neuen nachhaltigen Materialien und Produkten auf der Spur. Lesen Sie auch: Weitere Artikel zur  Kreislaufwirtschaft.

Wenn man aus Flüssen Sand entnimmt, hat das Auswirkungen auf deren Verläufe und Deltas. Es kommt zu Landverlusten durch Erosion der Ufer, der Grundwasserspiegel sinkt, und das Sedimentangebot verringert sich. Zudem reduzieren 845 000 Staudämme weltweit den Sandeintrag in die Meere um 25 %.

Der Meeresspiegel steigt so schnell wie nie zuvor, um 3.3 Millimeter pro Jahr. Das klingt nach nicht viel, ist aber ein grosses Problem für Hunderte Millionen Menschen, die auf flachen Atollen im Pazifik leben. Entweder müssen diese Inseln künstlich durch Aufschüttungen erhöht oder die Bevölkerung muss umgesiedelt werden.

Vom Boden des Meeres pumpen Spezialschiffe in 30 bis 40 m Tiefe Sand ab. Wenn man jedoch im abschüssigen Flachwasser zu viel Sand abträgt, rutscht der höher gelegene Meeresboden nach. Das Nachrutschen des Sands schmälert den Küstenstreifen. Weltweit sind 70 bis 90 % der Strände auf dem Rückzug.

Zudem zerstört dieses Verfahren die im Meeresboden lebenden Mikroorganismen, die wiederum Nahrung für grössere Lebewesen darstellen. Gegen die Verwendung von Meeressand spricht ausserdem, dass der Sand gewaschen werden muss, um das Meersalz herauszulösen; anderenfalls würden die Bewehrungen des Stahlbetons korrodieren.

Auf Sand achten

Wenn es darum geht, das Ausmass der Auswirkungen aufzudecken, sind Journalistinnen und Journalisten derzeit führend – Wissenschaft und Politik zur Unterstützung eines verantwortungsvollen Konsums und Abbaus hinken hinterher. Während in der Schweiz der Abbau verhältnismässig gut geregelt ist, werden in Entwicklungsländern Bergbau- und Baggervorschriften ohne Bewusstsein für die Konsequenzen festgelegt und Projekte noch ohne Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt.

In der Zwischenzeit erodieren Flüsse, Flussdeltas und Küstenlinien, «Sandmafias» florieren – und die Nachfrage steigt weiter. Denn die Weltbevölkerung wächst, immer mehr Menschen ziehen in Städte, und in der Konsequenz wird immer mehr gebaut. Hinzu kommen umweltschädliche Abbaupraktiken in sensiblen terrestrischen, flussnahen und ozeanischen Ökosystemen

Pascal Peduzzi, Direktor des GRID-Genf (Umweltprogramm der Vereinten Nationen), gibt an, in Indien werde Schätzungen zufolge an mehr als 7000 Stellen illegal Sand gewonnen. Genau weiss man das im Moment noch nicht, da es nur wenige Daten gibt. Über Förderung und Verbrauch ist kaum etwas bekannt. Schätzungen sind indirekt, laufen über den Betonverbrauch, schliesslich landen darin die grössten Mengen Sand. Demnach hat sich der globale Sand- und Kiesbedarf in den vergangenen 20 Jahren verdreifacht. 

Die Initiative zur Sandbeobachtung (Universität Genf et al.) versucht eine Antwort auf die Frage zu finden, wie der Widerspruch zwischen der Nachfrage einer Welt mit 10 Milliarden Menschen und der Endlichkeit der Ressource aufgelöst werden kann. Wie lassen sich die Ziele zur Erhaltung der Ökosysteme und der biologischen Vielfalt neben den notwendigen Verbesserungen in den Bereichen Verkehr, Infrastruktur, Wohnen und Lebensstandard erreichen? 

Aktuell startet dazu ein Projekt, das die Aktivitäten zum Abbau von Sand mittels Satelliten überwacht. Vorhandene Aufnahmen werden mit aktuellen verglichen, um herauszufinden, wo und in welchem Mass Sand abgebaut wird. Damit steht zumindest ein Kontrollinstrument zur Verfügung, das im Fall eines illegalen Abbaus als Beweis dient.

    Alternativen sind noch rar

    Auf der operativen Ebene gilt es, die relevanten globalen Richtlinien und Standards mit der lokalen Verfügbarkeit von Sand, den Entwicklungserfordernissen, den Standards und der Durchsetzungsrealität in Einklang zu bringen. Den Menschen, die mit dem Abbau von Sand ihren Lebensunterhalt bestreiten, müssen alternative Erwerbsmöglichkeiten angeboten werden.

    Besonders wichtig scheinen zwei Faktoren zu sein: Sensibilität dafür zu entwickeln, dass es sich überhaupt um ein gravierendes Problem handelt, und dementsprechend bewusst zu handeln; und zum anderen darüber nachzudenken, wie sich Sand beim Bauen einsparen lässt, wie er ersetzt, reduziert oder rezykliert werden könnte.

    Möglichkeiten bieten sich hier durch das Herstellen von Sand aus Altglas (bisher werden lediglich 30 % Altglas wiederverwendet) oder die Gewinnung von Granulat aus Bauschutt. Damit dies jedoch ökonomisch und ökologisch sinnvoll wird, muss es in der Nähe der neuen Baustelle genug alten Beton geben.

    Eine weitere Alternative könnte die Kombina­tion des glatten Wüstensands mit Kunstharz sein. ­Dabei entsteht ein Polymerbeton, der sogar haltbarer ist als der konventionelle Beton. Ein deutsches Unternehmen experimentiert ebenfalls mit Wüstensand. Die Idee: den sehr feinen Wüstensand noch feiner zu mahlen und das pulverisierte Produkt anschliessend mit mineralischen Bindemitteln zu druckfesten Pellets zu verarbeiten.

    Der verstärkte Einsatz von Holz und anderen nachwachsenden Rohstoffen, aber auch effizientere Abbaumethoden könnten ebenfalls helfen, den Sandverbrauch zu senken. Wir verwenden zwar Sand verschiedener Qualität für tausende Zwecke, aber was die Sandkrise wirklich befeuert, ist Beton. Betrachten wir also dieses profane Baumaterial in einem neuen Licht, damit die Unendlichkeitsmetapher «wie Sand am Meer» auch weiterhin ihre Gültigkeit behält.

    Sand in Zahlen und Fakten

    • Die Nummer eins im Sandverbrauch ist die Bauindustrie.
    • Sand ist aber auch ein wesent­licher Bestandteil für Glas, Solarzellen, Computerchips … und ­Zahnpasta oder Tütensuppen.
    • Die Schätzungen des jährlichen weltweiten Abbaus sind widersprüchlich: Sie reichen von 15 Mrd. t Sand bis über 40 Mrd. t (Umweltprogramm der Vereinten Nationen). China, Indien und die USA belegen dabei die drei Spitzenplätze.          
    • Sand ist eine Korngrössen­be­zeichnung für Körner zwischen 0.063 mm und 2 mm. Kleinere Körner werden als Silt bezeichnet, grössere als Kies.
    • Weniger als 5 % des weltweiten Sandvorkommens können für Beton genutzt werden.
    • Als Baustoff kommt Sand aus Flussbetten und Meeres­böden infrage, da er kantig genug ist, um gebunden zu werden. Wüstensand hingegen ist bereits zu rund geschliffen und kann nicht zum Bauen verwendet werden. Aus diesem Grund müssen selbst Wüstenländer wie Dubai Sand in grossen Mengen importieren.
    • Fast 70 % der Sandkörner der Erde bestehen aus Quarz.
    • Quarzsand zur Glasherstellung hat einen Quarzgehalt von über 99 %.

    Literatur und weitere Informationen

    Magazine

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