Frischer Wind in den Bergen
Schneider Stoner Architects gewinnen den Foundation Award 2025 in der Kategorie «Gebautes Projekt» mit der Restaurierung der Casa Sogn Flurin in Luven (GR). Das historische Strickhaus stand die letzten 40 Jahre leer, nun erweckte es das Architektur-Duo zu neuem Leben.
Luven liegt etwa zwei Kilometer südwestlich von Ilanz, am Südosthang des Piz Mundaun. Eine schmale Serpentine führt zum Ort hinauf, dessen Häuser sich am steilen Berg aufreihen. Luven ist heute keine eigene politische Gemeinde mehr, das Bergbauerndorf fusionierte 2014 mit anderen Ortschaften zur neuen Gemeinde Ilanz/Glion.
Schätzungsweise 150 bis 200 Einwohnerinnen hat Luven, es gibt aber keine von Ilanz/Glion unabhängige Volkszählung mehr. Zusammengewürfelte Einzelhäuser und Ställe prägen das Dorfbild – manchmal kommen sie sich sehr nah, manchmal sind sie weiter voneinander entfernt. Die Casa Sogn Flurin, also das «Haus des heiligen Florian», liegt am nordöstlichen Dorfrand, nahe der Kirche, nach der sie benannt wurde.
Erforschung der Vergangenheit
Im Kollektiv ein Haus umbauen und dort gemeinsam wohnen: Mit dieser Idee schauten sich Daniel Schneider und Abigail Stoner mit Freundinnen und Freunden in der Surselva nach einem Projekt um. Sie wohnten schon zur Miete im Ort Luven und wurden bald auf die im Ort gelegene Casa Sogn Flurin aufmerksam. Das geschichtsträchtige Haus faszinierte sie, und sie wollten es genauer untersuchen. Sie nahmen Kontakt mit dem Eigentümer auf, der ihnen, von ihrer Begeisterung überzeugt, alsbald den Schlüssel zum Haus aushändigte.
Über zwei Jahre erforschten Schneider und Stoner den Strickbau mittels Handskizzen und Massaufnahmen. In dieser Zeit entstand auch ein Film, der das Spiel von Licht und Geräuschen im Haus untersucht. Sie entwickelten schliesslich ein Restaurierungsprojekt, das der Eigentümer unterstützte und für das er das Haus an das Kollektiv verkaufte.
Alle prämierten Projekte des Foundation Award 2025 finden Sie in unserem E-Dossier.
Ihren Eifer für die Erforschung der Vergangenheit leben Schneider und Stoner auch in archäologischen Projekten aus. Gemeinsam leiteten sie 2018 und 2019 das Architektur-Ausgrabungsteam für das «Brown University Petra Terraces Archeological Project», das sich der Untersuchung der Agrarlandschaften von Petra in Jordanien widmete.
Diese entdeckerische Herangehensweise übernahmen sie auch für den eigentlichen Umbau. Während der Besichtigung weisen Schneider und Stoner immer wieder auf Details hin, die sie im Verlauf der Restaurierung entdeckten, und sie erklären, welche Schlüsse sie daraus zogen. So deuten beispielsweise Kragbalken im zweiten Obergeschoss darauf hin, dass sich schon früher Richtung Tal eine Laube befand.
Gestapelte Grundrisstypologien
Die massive Holzstruktur des Strickbaus datiert auf das Jahr 1753 zurück. Das Haus überstand als eines von elf Gebäuden den Brand in Luven von 1760. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Dach entfernt und der Bau um ein drittes Stockwerk erweitert. Das neu hinzugefügte, nach Norden auskragende Geschoss unterscheidet sich in seiner Grundrisstypologie von den zweien darunter.
Das Erd- und Obergeschoss folgen dem Vorhaustyp: Vier Räume organisieren sich um einen zentral platzierten Ofen. Über einen Erschliessungsraum, das Vorhaus, werden zwei Kammern direkt erschlossen, während die Nebenkammer indirekt über die Stube erreichbar ist. Das später hinzugefügte Stockwerk besitzt hingegen einen Mittelgang. Diese Grundrisstypologie benötigt für angemessene Raumgrössen mehr Fläche – darum kragt das oberste Geschoss einen Meter aus.
Man betritt die Casa Sogn Flurin an der nordwestlichen Ecke des Hauses. Schneider und Stoner legten im Vorhaus den Boden frei; darunter kam der riesige Findling zum Vorschein, der auch von aussen im Sockelbereich sichtbar ist und einen Viertel des Hauses trägt. Auf dem Weg zum Nebenbau steigt man über die unebene Oberfläche des Steins.
Die Stube, der ehemalige Empfangsraum der Post, ist auch heute wieder halböffentlich: Der Raum steht für Vereinstreffen und Workshops zur Verfügung. In der davon abgehenden Nebenkammer, dem ehemaligen Postbüro, befindet sich das Atelier von Schneider Stoner Architects. Die vierte Kammer im Erdgeschoss, der Feuerraum, erstreckt sich über zwei Stockwerke und verbindet somit die öffentlichen und privaten Räume. Die ursprünglichen Wände des als Küche genutzten Raums sind wieder sichtbar und erzeugen mit ihrer kohlschwarzen Farbe eine behagliche Atmosphäre.
Auch in der Stube im Geschoss darüber haben Schneider und Stoner unter der Verkleidung ein Relikt aus früheren Zeiten entdeckt: Über alle vier Wände spannt eine Wandmalerei, die den Zyklus der Jahreszeiten erzählerisch darstellt.
Über eine neu hinzugefügte Stahltreppe gelangt man schliesslich in die privaten Schlafkammern. Schneider und Stoner wohnen dort mit zwei Freunden, die schon beim Umbau mitgeholfen haben. Jedes Zimmer hat ein eigenes, leicht geneigtes Giebeldach. So ist der Raum in der Mitte hoch genug, um aufrecht stehen zu können, und die ursprünglichen Raumproportionen werden beibehalten.Der darüber liegende Estrich mit Kaltdach dient als Stauraum. Bei den grösseren Südkammern bilden Stoffbespannungen Zeltdecken – das verbessert die Raumakustik und trägt zum Wohlbehagen bei.
Ausgelagerte Nasszellen
Nicht ganz einfach bei einem Umbau eines historischen Hauses ist die Platzierung der Nasszellen. Wenn man diese in den Altbau integriert, zerstören aufwendige Durchbrüche der (Ab-)Wasserleitungen wertvolle Substanz. Konsequenterweise separiert das Architektur-Duo die Nasszellen in einem eigenständigen Neubau aus Hanfkalk, dem Waschhaus. Erreichbar ist es vom Vorhaus aus mit wenigen Stufen über einen aussen liegenden Zwischenraum.
Bei der Casa Sogn Flurin war der Holzschuppen mit dem Abort früher schon auf der Nordseite angedockt, was Schneider Stoner zum Anlass nahmen, das Waschhaus ebenfalls dort zu platzieren. Das tragende Fachwerk aus Fichtenholz kommt aus der dorfeigenen Sägerei, ist mit Hanfkalk ausgefacht und mit zusätzlichen gestampften Schichten Hanfkalk gedämmt. Innen sind die Wände mit einer Kalkglätte verputzt. Schneider Stoner plädieren für eine Rückbesinnung auf die handwerkliche Bearbeitung lokaler Materialien – sie lernen von historischen Typologien, Techniken und Konstruktionen und wenden sie zeitgemäss an.
Bei den gestampften Wänden aus Hanfkalk hat das Architektur-Duo selbst Hand angelegt: Unter Anleitung des Kalkspezialisten Joannes Wetzel und der Kalkspezialistin Delphine Schmid aus dem Engadin haben Schneider Stoner gemeinsam mit rund zehn freiwilligen Helfenden innerhalb von zwei Wochen die Wände des Waschhauses erstellt.
Die roh belassenen Wände sind ein Experiment: Andere Beispiele für unverputzte, bewitterte Fassaden in dieser Konstruktionsweise gibt es noch nicht. Da die horizontale Struktur vom Stampfen aber so gut mit den Strickbauwänden harmoniert, wollten Schneider Stoner die Wände möglichst roh belassen. Die Setzfugen, die sich jetzt nach zwei Jahren zeigen, füllen sie nächsten Sommer. Zusätzlich überziehen sie die Hanfkalkwände mit einer Sumpfkalkschlämme, sodass die Struktur trotzdem noch sichtbar bleibt.
Fokus auf das Wesentliche
Das Projekt ist geprägt von einfachen Details und pragmatischen Ansätzen. Im Sommer ist der Zwischenraum von Strickbau und Waschhaus zwar überdacht, aber seitlich offen, sodass der Wind durchzieht. Als Kälte- und Windschutz sind Winterläden mit Pergamentbespannung geplant, die man im Sommer wieder entfernen kann. Man merkt: Schneider und Stoner refokussieren auf das Essenzielle. Was braucht das Haus, um es gemäss ihren Anforderungen nutzen zu können? So hat jede Umbaumassnahme ihren Zweck und ist trotzdem in hoher gestalterischer Qualität umgesetzt.
Beim Besuch der Casa Sogn Flurin in Luven begegnet man neben sehr feinfühlig ausgeführter Architektur noch einigem mehr: der Suche nach einem zeitgemässen Leben in Bergregionen. Schneider und Stoner liefern eine Antwort auf die Frage, wie alternative Wohnformen in abgelegenen Orten aussehen können. Die Casa Sogn Flurin ist ein Beispiel, wie Tradition kombiniert mit neuen Ideen die Architektur bereichern kann. Nicht minder wichtig zeigen Schneider Stoner aber auch ein neues Modell der Zusammenarbeit und des Zusammenlebens in Bergregionen auf, das hoffentlich viele Nachahmende findet.
Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 19/2025 «Der Nachwuchs wird flügge».
Restaurierung und Umbau
Casa Sogn Flurin, Luven (GR)
Vergabeform
Direktauftrag
Bauherrschaft
Casa Collectiva, Ilanz/Glion
Architektur
Schneider Stoner Architects, Luven
Tragkonstruktion
berni architects e inschigniers, Castrisch
HLKS-Planung
Hesaplan, Schluein
Bauphysik
Martin Kant Bauphysik, Chur
Analysen Malerei
Cornelia Marinowitz, Tengen
Holzrestaurierung
Bonolini Antikschreinerei, Castrisch
Restaurierung Malerei
Atelier40a, Bern
Ofenrestaurierung
Felix Caflisch, Trin-Mulin
Fensterrestaurierung
Hûs Architektur und Handwerk, Tomils
Holzbau
Baukunst Graubünden, Ilanz; Lennari, Sevgein
Hanfkalkbau
Fabricat Multifari, Strada
Kalkverputze
Baukunst Graubünden, Ilanz
Kalkglätten
Kalkkunst, Strada
Zeitraum Planung und Ausführung
2020–2024
Grundfläche (SIA 416)
318 m²
Baukosten (BKP 2)
870 000 Fr.
Total Eigenleistungen
176 000 Fr.
Fertigstellung
Herbst 2024