Er­hal­ten zahlt sich aus

Die Kriterien für einen Rückbau oder eine Erhaltung sind stets spezifisch zu gewichten, denn jedes Tragwerk birgt seine Eigenheiten, die von den projektspezifischen Rahmenbedingungen geprägt sind. Der Autor berichtet aus der Praxis und erläutert kurz drei gebaute Beispiele.

Publikationsdatum
20-11-2013
Revision
30-10-2015

Eigentümerschaften ziehen die Erhaltung ihrer Bauwerke heute viel öfter in Erwägung als auch schon. Es wird aufgestockt, verstärkt, ertüchtigt, restauriert und instandgesetzt. In Ausnahmefällen können betriebliche Einschränkungen angemessen sein, um eine bestehende Substanz zu erhalten. Diese Situation basiert einerseits auf der florierenden Bautätigkeit in den 1960er- und 1970er-Jahren und andererseits darauf, dass sich die Ansprüche der Eigentümerschaften, der Betreiber und der Gesellschaft insgesamt verändert haben. Spätestens mit der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls 1997 wurde die nachhaltige Entwicklung im Allgemeinen und des Bausektors im Speziellen zum Langzeitziel der globalen Politik erhoben.

Erhaltung erhält zunehmend mehr Bedeutung

Im Sinn eines schonenden Umgangs mit natürlichen Ressourcen ist es tabu, den Fokus nur auf Neubauten und Ersatzneubauten zu legen. Setzen sich die am Bau Beteiligten mit der bestehenden Bausubstanz auseinander, beurteilen sie ihren materiellen und immateriellen Wert und erhalten sie dann begründet die Tragwerke, leisten sie einen wesentlichen Beitrag an die Nachhaltigkeit.

Letztlich entscheidet aber die Eigentümerschaft, ob und in welcher Weise bestehende Bauwerke – Hochbauten oder Infrastrukturanlagen – weiterhin genutzt und welche Strategien verfolgt werden sollen. Denn neben statisch-konstruktiven Aspekten geben vor allem auch andere, vom Tragwerk losgelöste Punkte den Impuls zur Überprüfung. Diese müssen von Fall zu Fall eigens abgeklärt werden.

Beispiel 1: Flughafen Zürich Dock B

So sprachen beim Umbau des Terminal B des Flughafens Zürich vor allem betriebliche Rahmenbedingungen dafür, das bestehende, knapp dreissig Jahre alte Tragwerk in Stahl-Beton-Verbundbauweise zu erhalten. Der Rückbau des bestehenden Stahlskelettbaus und der Wiederaufbau eines neuen Tragwerks hätten bei den Zufahrten zum Flughafen und im Flugvorfeld zu grossen logistischen Problemen geführt.

Die Bauingenieure überprüften im Rahmen von Ortsbegehungen, Massaufnahmen und Sondierungen die vorhandenen baulichen Verhältnisse, und sie analysierten die bestehende Substanz, nachdem das Gebäude bis auf das Tragwerk rückgebaut war. Bis auf wenige Ausnahmen attestierten sie ihm einen einwandfreien Zustand. Weitere Untersuchungen führte das Institut für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich durch. In einer umfangreichen grossmassstäblichen Versuchsreihe unterzog es die bestehenden Holorib-Blechverbunddecken vielseitigen Belastungsprüfungen, insbesondere im Hinblick auf das Verbundverhalten und die Tragfähigkeit nach längerer Nutzungsdauer. Zur Verfügung stand hierfür ein für den Rückbau bestimmter Gebäudeteil. Nach eingehender Überprüfung empfahlen die Bauingenieure, das Tragwerk des Terminals B auch aus statischer Sicht zu erhalten. Vergleiche der Kosten und der Termine unterstützten den Entscheid zur Erhaltung und Ergänzung mit neuen Bauteilen gegenüber einem Ersatzneubau zusätzlich. Die Vorteile aus betrieblicher, statischer, ökonomischer und terminlicher Sicht wogen die Einschränkungen der Flexibilität für die neue Gebäudetechnik bei Weitem auf.

Beispiel 2: Geschäftshaus Hohlstrasse Zürich

Die Beantwortung der Frage, inwiefern bestehende Bauwerke auch nach einer längeren Nutzungsdauer den ursprünglichen oder gar neuen Anforderungen aus allen Fachbereichen wie eben der Gebäudetechnik oder der Architektur noch genügen oder inwiefern diese Anforderungen allenfalls herabgesetzt werden müssen, ist zentral, um zu entscheiden, ob ein Tragwerk erhalten werden kann oder nicht.

Das Geschäftshaus an der Hohlstrasse in Zürich sollte beispielsweise architektonisch aufgewertet, gebäudetechnisch erneuert und aufgestockt werden. Dieselben Bauingenieure überprüften hier also, ob der bestehende klassische Betonskelettbau die zusätzlichen Geschosslasten der Aufstockung würde aufnehmen können und ob die Tragsicherheit gegenüber Erdbeben gesichert wäre. Nur wenige tragwerksspezifische Eingriffe waren schliesslich notwendig, um das Tragwerk so zu ertüchtigen, dass es den neuen Anforderungen entsprach und den neuen Einwirkungen standhielt. Insbesondere mussten lokal der Durchstanzwiderstand und der Biegewiderstand im Randbereich der Abfangdecke über dem Erdgeschoss erhöht werden, was mit Stahlmanschetten bzw. mit einem Überbeton bewerkstelligt wurde. Des Weiteren schloss man die Dilatationsfuge, die das Gebäude in zwei Teile trennte, um die Anforderungen der aktuell gültigen Normen bezüglich Erdbeben zu erfüllen. Diese statische Verbindung auf allen Geschossebenen stand im Einklang mit dem Konzept der architektonischen Neugestaltung des Treppenhauses.

Beispiel 3: Wohnüberbauung Gutstrasse Zürich

Architektonische Gründe gaben auch im dritten Beispiel den Impuls für eine Abklärung des Erhaltenswerts des Tragwerks, allerdings mit ganz anderen planerischen Voraussetzungen. Das 16-geschossige Wohnhochhaus an der Gutstrasse in Zürich eine reine Mauerwerksbauweise – sollte noch während einer geplanten Restnutzungsdauer von rund 15 Jahre dienen, und es stellte sich daher die Frage, ob ein Rück- und Neubau absehbar war. Die Bauingenieure nahmen ausführliche statische Abklärungen vor, insbesondere hinsichtlich der Tragsicherheit gegenüber Erdbeben. Die Überprüfung musste allerdings ohne Ingenieurpläne, Berechnungen und Berichte aus der Zeit der Erstellung des Gebäudes erfolgen, denn trotz intensiver Nachforschungen konnten keine Bauwerksakten ausfindig gemacht werden. Die Bauingenieure machten Sondierungen, entnahmen Proben und führten Baustoffprüfungen an grosskalibrigen, d.h. sechs Mauerwerksschichten hohen Prüfkörpern durch. Erst mit diesen ausführlichen und aufwendigen Untersuchungen konnte eine Grundlage geschaffen werden, um sich für oder gegen den Erhalt des Tragwerks zu entscheiden. Dieses genügte auch in diesem Fall den Anforderungen und konnte erhalten bleiben. Die gebäudetechnischen Installationen wurden erneuert und die Fassaden aufgefrischt.

Getrennte Subsysteme helfen zu erhalten

Nicht zuletzt zeigt sich bei allen drei Beispielen, was allgemein gilt: Die Subsysteme Tragwerk, Gebäudehülle, Gebäudetechnik sind je mit ihrer unterschiedlichen Nutzungs- und Lebensdauer konsequent getrennt voneinander entwickelt und ausgeführt worden. Es waren keine bedeutenden gebäudetechnischen Installationen im Tragwerk integriert. So kann für jedes Subsystem eine eigene termingerechte Erhaltens- oder Rückbaustrategie entwickelt werden. Diese konsequente Trennung kann den Erhalt des Tragwerks erleichtern.

Immer wieder neue Umstände

Letztlich stützt sich die Entscheidungsfindung aber nicht nur auf das bestehende Konstruktionsprinzip, sondern auch auf die Verhältnismässigkeit des gesamten Erhaltensprojekts und der erforderlichen Massnahmen. Hier spielen die Sicherheitsanforderungen, Verfügbarkeit des Bauwerks und das Schadensausmass bei einem Einsturz ebenso eine gewichtige Rolle wie – ganz im Sinn der Nachhaltigkeit – der kulturelle Wert.

Wie die einzelnen Kriterien gewichtet und gewertet werden, gilt es projektspezifisch abzuklären und mit aktualisierten Informationen zu überprüfen. Die Entscheidungsfindung ist in jedem Fall von grosser Tragweite. Denn im Gegensatz zur Projektierung von Neubauten können unausgewogene Entscheide Sprungkosten auslösen und insbesondere auch aus Sicht der immateriellen Werte verheerend sein. Bei fachgerechtem Vorgehen sollte aber ein Entscheid – ob Erhalt oder nicht – in jedem Fall zu einem technischen, ökonomischen und ökologischen Gewinn führen.

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