Ent­wurfs­be­geis­te­rung ver­sus Ver­hand­lungs­ge­schick?

Am jüngsten Brown Bag Lunch an der Architektur­fakultät der ETH Zürich ging es um das liebe Geld – und die «Berufskrankheit» der Architekten, ihre Bezahlung als Nebensache zu betrachten.

Publikationsdatum
26-05-2016
Revision
27-05-2016

Was ist ein angemessenes Einstiegsgehalt für Architekten?», fragt SIA-Prä­si­dent Stefan Cadosch in die Runde. «4000?», ruft ein Student. Cadosch: «Eher zu bescheiden.» Student: «6000?» Der Präsident: «Vielleicht zu vermessen für den Einstieg.» Ja, sie dürfen über Geld sprechen in ihrem Beruf, und sie sollten es sogar, ermunterte Stefan Cadosch seine Zuhörer, rund 40 angehende Architek­tinnen und Architekten in der «Roten Hölle», einer Präsentationslounge im HIL-Gebäude der ETH Zürich. 

An dem vom Studierenden-Fachverein Architektura und dem SIA organisierten Brown Bag Lunch ging es um Architektenhonorare und Löhne. Und der SIA-Präsident, selbst Architekt und Büroinhaber, fand für das Thema erfrischend unpräsidiale Worte, jenseits diplomatisch verpackter Verbandsrhetorik.

Nicht etwa ein harter Markt sei die Haupt­ursache für die unterdurchschnittliche Bezahlung von Berufsleuten der Architektur; das Problem sei zugleich auch haus­gemacht, betonte Cadosch selbstkritisch: «Es ist die Berufskrankheit der Architekten, dass wir uns in die entwerferische Aufgabe verlieben, in einem renommiertem Büro mitarbeiten wollen  – aber erst als Letztes über Geld sprechen.» Dann aber, fuhr Cadosch fort, habe das Gegenüber an unseren leuchtenden Augen längst gemerkt, dass wir den Job bzw. Planungs­auftrag unbedingt haben wollen, und wir haben uns in die denkbar schlechteste Verhandlungsposition manövriert. 

Gute Bezahlung – und Spass an der Arbeit 

Weshalb aber soll das nicht zusammengehen: «Ein Beruf, der Spass macht und bei dem Sie trotzdem angemessen verdienen?» 130 Franken seien ein angemessener Bürostundensatz, und etwa 5500 Franken sollte ein freiberuflicher Architekt mit etwas Berufserfahrung monatlich verdienen. Ein angemessener Einstieg sei auch deshalb wichtig, weil die Einkommen von Architekten, wie die vom SIA regelmässig ermittelten Kennzahlen belegten, später nur langsam anstiegen.

Perspektivisch drohe Altersarmut: «Viele ältere ­Kolleginnen und Kollegen stehen heute wirtschaftlich nicht gut da, weil sie lange Jahre zu wenig verdient haben.» Die Studierenden folgten den Worten des SIA-Präsidenten aufmerksam, und obwohl ihre Mehrzahl erst mit Studentenjobs beruf­liche Erfahrungen gesammelt hat, wussten sie offenbar gut, wovon er sprach. 

Es folgten zahlreiche Fragen – zur Bezahlung von Praktika, zu Wettbewerbskosten, zur Berechnung auskömmlicher Honorare. Je mehr Cadoschs frei gesprochene Ausführungen in einen Dialog mit den Zuhörern überging, umso deutlich wurde, dass diese froh waren, sich einmal mit jemandem offen über die wirtschaftlichen Seiten ihres künftigen Berufs auszutauschen. 

Bei aller Begeisterung für eine Bauaufgabe solle sich niemand  von einem Bauherrn oder vom Bürochef breitschlagen lassen, «mal übers Wochenende» einen Gratis­entwurf anzufertigen. «Ihre Vision hat einen Preis – auch wenn sie noch nicht auf dem Papier ist», mahnte  Stefan Cadosch. In kleiner Runde setzte sich das Gespräch nach dem Ende des Lunchs noch ein ganze Weile fort – eine klares Signal an Architektura wie auch den SIA, den berufspraktischen Support der künftigen Kollegen fortzusetzen.

Verwandte Beiträge