Bes­se­re Le­bens­qua­li­tät für die Schweiz pla­nen

Zukunftsprojekt «Die Schweiz 2050»

Mit dem interdisziplinären Projekt SwissAIM will die ETH Zürich zusammen mit dem SIA Zukunftsszenarien für den Lebensraum und das Bauwerk Schweiz entwerfen – Ziel ist eine verbesserte Lebensqualität bis 2050.

Publikationsdatum
22-04-2016
Revision
19-04-2017

Die Schweiz geniesst den Ruf als ein weltweiter Qualitätsmassstab, mit Schwerpunkt auf Stabilität und Innovation. Um diese Führungsrolle auch in Zukunft bewahren zu können, muss sie sicherstellen, dass Veränderungen in der Gesellschaft und in der gebauten Umwelt mit den Schweizer Werten von Qualität und Nachhaltigkeit in Einklang stehen. 

Soll eine Vision für die Schweiz 2050 entwickelt werden, dann muss ein Spektrum an Möglichkeiten geschaffen werden – ausgehend von der heutigen Struktur mit ihren spezifischen Gegebenheiten. SwissAIM ist ein kollaboratives, ergebnisorientiertes Programm der ETH Zürich (ETHZ) und des SIA – eine Softwareplattform, mit der sich mögliche künftige Szenarien und ihre Auswirkungen für die Schweiz generieren lassen. 

Seit 2009 investierte eine Gruppe von Ingenieuren am Institut für Energietechnik (LEC) der ETHZ etwa 50 Personenjahre in die Entwicklung der Datenbank und des Softwaretools. Das LEC und das Ins­titut für Städtebau (NSL/U-TT) leiteten 2015 in Zusammenarbeit mit dem SIA das interdisziplinäre Projekt SwissAIM ein.

Das Planungstool von SwissAIM nutzt Big Data, hochentwickelte Software mit Visu­alisierung und Large-Scale-Com­puting. Das Tool bietet dem Anwender die einzigartige Möglichkeit einer simultanen dynamischen und hoch auflösenden Modellierung von städti­schen Strukturen, Landschaft, Personenverkehr, Wetter, Energie, Ressourcen und Sozioökonomie.

Personen werden mit Datenbeständen, die bis auf die Ebene einzelner Gebäude herunterreichen, als individuelle «Agenten» mit ihren künftigen Bedürfnissen modelliert. So werden z. B. stündliche Aktivitäten im Land – von der Mobilität bis hin zum Energieverbrauch – für bis zu 30 Jahre im Voraus simuliert. 

Den Kontinent modellieren

Der Anwender kann Elemente wie die künftige Fortbewegung von Personen und den Bau neuer Gebäude, Strassen, Tunnels, Dämme oder Kraftwerke anpassen, um die Auswirkungen auf die künftige Ökonomie und Ökologie abzuschätzen. Um den Einfluss angrenzender Länder zu berücksichtigen, wurde der gesamte europäische Kontinent modelliert.

Ein einzigartiges Merkmal des Tools SwissAIM ist seine ganzheitliche Verschmelzung von Wissen, Big Data und Analysen, die Planer und Ingenieure mit realisierbaren Visionen unterstützt. Mit diesen Tools lassen sich Szenarien für alle Gebiete der Schweiz, ungeachtet ihres städtischen oder ländlichen Charakters, gleichzeitig beurteilen, wobei Landschaft und Infrastruktur des Bauwerks Schweiz berücksichtigt werden.

Zum ersten Mal verknüpfte man Datenbestände aus sehr unterschiedlichen Quellen, unter anderem von Bundesämtern, nahtlos und strukturiert miteinander, um eine Plattform zu schaffen, die mühelos neue Einblicke vermittelt. Zudem kommt hochentwickelte Software zum Einsatz, um städtebau­liche Pläne und Infrastrukturkonzepte zu visualisieren. Das übergeordnete Ziel ist, die Lebensqualität von 2020 bis 2050 zu erhalten und zu verbessern. 

Städtische Wucherung vs. Technologieintegration

In der Anfangsphase wurden zwei mögliche Szenarien für die Region Olten-Aargau konzipiert. Einerseits die «städtische Wucherung» (Urban Sprawl, URBS), ein Szenario, das mit relativ hohem Landverbrauch und mehr Verkehrsstaus verbunden ist. Andererseits das Szenario «Technologieintegration» (Technology Insertion, TINS), bei dem die städtische Innenentwicklung, ein funktionaler Umbau und der öffentliche Nah­verkehr Priorität haben.

Unter Zuhilfenahme unterschiedlicher Bevölkerungsmuster wurde für die Schweiz bis 2050 ein Bevölkerungswachstum auf 10 Millionen Menschen zugrunde gelegt. Das führt zu zusätzlichen 90 000 Menschen im URBS-Szenario und 200 000 Menschen im TINS-Szenario in der Region Olten-Aargau. Die Energiestrategie 2050 der Schweiz wurde integriert, das Auslaufen der Kernenergie und die effizientere Energie­nutzung im Gebäudepark mitein­geschlossen.

Berücksichtigt werden ebenfalls Elektromobilität und selbstfahrende Autos, um Chancen und Herausforderungen für künf­tige Planungen auszuloten. Zudem werden Planungskonzepte mit besseren lokalen Diensten und verstärkter persönlicher Mobilität aufgenommen. Die Ergebnisse zeigen, dass für das URBS-Szenario ein Landverbrauch von 800 Hektaren erforderlich wäre, während es beim TINS-­Szenario bei gleicher Auswirkung auf Lärm und Luftqualität 54 Hektaren wären. Die Zeiten für das ­Pendeln zwischen Wohnung und Arbeitsplatz wurden beim TINS-Szenario erheblich verkürzt.

In der nächsten Phase von SwissAIM werden die in der Re­gion Olten-Aargau gewonnenen Erkenntnisse auf die gesamte Schweiz ausgeweitet. Beurteilungen von städtebaulichen Planungen, Landverbrauch, steuerlichen Optionen und Verkehrsentscheidungen werden gemeinsam mit einem Team aus Vertretern lokaler Interessengruppen ausgewertet, und neue Planungs­konzepte für eine solide nachhaltige Entwicklung werden vorgelegt.

Das derzeitige Team der ETHZ wird zu einer noch stärker interdisziplinär arbeitenden Gruppe ausgebaut, deren Mitglieder aus der gesamten Schweiz stammen, und es soll eine enge Zusammenarbeit mit dem SIA und verschiedenen Bundesämtern stattfinden, um eine gemeinsame Zukunftsvision zu entwickeln.

Ergebnisse von «Anhörungen» lokaler Partner werden in die Raumtypologien integriert, um so ein Gesamtkonzept für die ganze Schweiz zu schaffen und den beteiligten Interessengruppen ein Tool für die Entscheidungsfindung und Planung in die Hand zu geben. Traditionelle Einschränkungen des Planungsprozesses wie bestehende Massstabshierarchien sind für SwissAIM kein Hindernis; hier können Alternativen erforscht werden, die ein nahtloses Verschmelzen von Bottom-up- und Top-down-Ebenen der Entscheidungsfindung ermöglichen.

Planungen und Analysen, die durch das Tool SwissAIM unterstützt werden, können mittels intuitiver Darstellungen überzeugend veranschaulicht werden. So lassen sich digitale und analoge Inhalte auf unterschiedlichen Ebenen integrieren.

Innovatives Tool und Methodik

Wir sehen die Schweiz als ein urbanisiertes Territorium mit einem durchgängigen Mass an städtischer Dichte. Unsere Fähigkeit besteht dar­in, alternative städtische Muster zu visualisieren. Daneben werden viele Fragen im Hinblick auf Zweiteilungen zwischen dem alpinen Binnenland und den urbanisierten Ballungsräumen erforscht.

Die Zukunft wird uns die Fähigkeit bringen, Daten und unsere Vorstellungskraft zu nutzen, um ideale Visionen zu entwickeln. Dieses Projekt bietet Lehrenden, Fachleuten und politischen Entscheidungsträgern in der Schweiz zudem ein innovatives Tool und eine Methodik.

Unsere Fähigkeit, uns Möglichkeiten zum Kombinieren und Integrieren von Infrastruktur für eine mögliche künftige bebaute Umwelt, aber auch der Wirkungen auf Landschaft und Umwelt vorzustellen, ist in diesem Vorhaben von grosser Bedeutung. Ebenso unabdingbar für das Bauwerk Schweiz sind die Verfügbarkeit der Daten und die direkt demokratische Debatte.


In der Artikelserie zu «Die Schweiz 2050» sind auf den SIA-Seiten in TEC21 14/2016 bereits ein Interview mit Mitinitiatorin Ariane Widmer Pham sowie der Artikel «Zukunftsprojekt ‹Die Schweiz 2050›» erschienen. Ein weiterer Teil des Projekts ist das «Positionspapier Landschaft» der Berufsgruppe Umwelt, das demnächst hier vorgestellt wird.

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