Der Bau­plan – Werk­zeug des Ar­chi­tek­ten

Bei Park Books ist ein umfangreiches Buch zum Bauplan erschienen. Es zeigt die Forschung des Lehrstuhls von Annette Spiro an der ETH und nähert sich dem «Werkzeug des Architekten» mit 100 herausragenden Dokumenten aus rund sieben Jahrhunderten.

Publikationsdatum
16-01-2014
Revision
07-11-2015

Architekten und Handwerker verstehen sich meistens nicht besonders gut. Während die einen den akademischen Diskurs pflegen, geben sich die anderen bodenständig und spotten über die weltfremden Bürogummis. Zwei streng getrennte Welten, würde man meinen. Doch wo sie auf der Baustelle zusammentreffen, entstand eine verbindliche Sprache, auf die sich die unterschiedlichen Gewerke geeinigt haben – sich einigen mussten –, um gemeinsam ein Gebäude zu errichten. Und auf der Baustelle taucht ein Stück Papier auf, auf dem sich diese Sprache verdichtet und präzisiert: der Bauplan. 

Für die Baustelle gezeichnet

Ebendiesen Bauplan haben Annette Spiro und David Ganzoni mit einem 330 Seiten starken Buch ins Rampenlicht geholt. Nicht die Renderings einer perfekten 3-D-Welt sind darin zu sehen, keine bereinigten Publikationspläne und kein einziges Foto: einzig 100 Faksimiles von Bauplänen aus einer Zeitspanne von 1280 (Fassade des Kölner Doms) bis 2013 (Ingenieurplan des FHNW-Campus in Muttenz). Eines ist allen gemeinsam: Jeder Plan wurde für den Einsatz auf der Baustelle gezeichnet. Dies war unumstössliche Bedingung für die Publikation – und häufig der einzige Nenner, der die verschiedenen Baupläne miteinander verbindet. Zwischen den beiden Buchdeckeln findet sich nahezu alles, was dem Begriff «Plan» zugeordnet werden kann: von klassischen Fassaden, Grundrissen und Schnitten über Detailpläne in allen Massstäben, Schrift- und Ornamentpausen bis hin zu Bewehrungsplänen, Kirchenfenstern, Passstrassen und kryptischen Zahlenreihen. Und selbst ein abstraktes Gemälde mit organischen Formen hat dereinst offenbar seinen Weg auf die Baustelle gefunden.

Die Suche im Heuhaufen

Annette Spiro unterrichtet seit sechs Jahren den Erstjahreskurs an der Architekturabteilung der ETH. Bereits an ihrem Berufungsvortrag von 2006 überraschte sie das Publikum mit einem Vortrag unter dem Titel «Baupläne sind Liebesbriefe». Die Reaktionen darauf waren euphorisch, denn es besteht kaum Forschung zu diesem Thema. Seither hat ihr Lehrstuhl Baupläne aus allen Zeiten und Kulturen gesammelt. Dass sich dieser Fundus zu einem Buch verdichtet hat, ist der Hartnäckigkeit des zweiten Herausgebers des Buches zu verdanken. David Ganzoni hat dafür nicht nur den lehrstuhleigenen Fundus durchpflügt, sondern auch das Archiv des Instituts für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) an der ETH durchforstet – eine Herkulesaufgabe. Eine grosse Leistung liegt in dem, was man nicht sieht: in der Auswahl der richtigen 100 Pläne. 

Kaffeetisch oder harter Knochen 

Das Buch hat ein gefährliches Potenzial, um als Schauband in Bibliotheken von Architekturbüros zu enden; es ist ausserordentlich schön gemacht. Jeder Plan wird auf einer Doppelseite in seiner ganzen Grösse mit Massstabsangabe gezeigt, manche Pläne füllen gar eine Ausklappseite. Zudem wird von jedem Plan auch noch ein Ausschnitt im Originalmassstab publiziert, in dem sich Duktus der Zeichnung und Materialität des Papiers zeigen. Hier schwelgen die Herausgeber in der bestechenden Qualität von Planmaterial und Drucktechnik. Ein Leichtes, sich in den Details zu verlieren und in diese an Information und Atmosphäre dichte Welt abzutauchen.

Das Buch bietet aber nicht nur Nahrung fürs Auge. Dank seiner wissenschaftlichen Strenge nährt es auch den Geist. Zwölf Kapitel teilen die Pläne Themenblöcken zu, zwölf Essays erläutern im Anhang die Geschichte, Bedeutung und Entwicklung von Bauplänen. Die einleitenden Texte zu den einzelnen Kapiteln helfen, den ordnenden Gedanken von Annette Spiro zu folgen: Jeder Plan bekommt seine eigene Bedeutung innerhalb des Kapitels, Blick und Aufmerksamkeit des Lesers werden an die entscheidenden Stellen gelenkt. Während der erste Zugang zum Buch ein sinnliches Erlebnis bietet, ist die aufmerksame Lektüre mit viel Arbeit verbunden.

Aus der Seele gesprochen

Die Essays im Anhang zeugen davon, dass das Thema in der Architekturtheorie noch nicht in der Breite diskutiert wurde. Die Autoren tasten die Materie noch vorsichtig ab. Lediglich der Aufsatz von Mario Carpo, der Theorie und Geschichte der Architektur in Yale und Paris lehrt, packt das Thema bei den Hörnern. Er untersucht den Bauplan anhand seines ihm innewohnenden Widerspruchs und bringt damit die Sache pragmatisch auf den Punkt: Ein Plan, so präzise er auch gezeichnet ist, kann niemals alle Aspekte eines Bauwerks definieren. Es braucht immer eine Person vor Ort, die die letzten Entscheidungen fällt. Mit dieser Erkenntnis untersucht der Autor geistreich und belesen die Bedeutung des Bauplans von Alberti bis BIM. 

Auch die bauenden Architekten kommen zu Wort: Für sie steht der Wechsel vom Zeichenstift zum Computer im Mittelpunkt. Ihre Berichte sind geprägt von den haptischen Eindrücken der Zeichnungen und von den Rasierklingen, die Fehler vom Transparentpapier schabten. Diese Erinnerungen unterstreichen die handwerkliche Seite des Entwurfs. Annette Spiro hat ein gutes Gespür dafür, was Architekten antreibt. «Werkzeug des Architekten» nennen die Herausgeber ihr Buch im Untertitel. Und geben dem Bauplan damit nicht nur den richtigen Platz im Œuvre eines Architekten – ebenso spielen sie mit der Sehnsucht des Entwerfers, als Handwerker ernst genommen zu werden.

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