Den Sprung zwi­schen den Mass­stä­ben wa­gen

Rapperswiler Tag 2013: «all inclusive!»

Nicht gewachsen, sondern passiert sei sie, diese Agglomeration. Mit diesen Worten charakterisierte Landschaftsarchitekt Lukas Schweingruber treffend die Versäumnisse der raumentwickelnden Zünfte in den vergangenen Jahrzehnten. Den Massstab entsprechend neu zu definieren, forderte der Untertitel der Tagung.

Publikationsdatum
15-04-2013
Revision
01-09-2015

Christophe Girot, Professor für Landschaftsarchitektur an der ETH Zürich, ortete die Stellschraube für diese Neuausrichtung im tradierten Landschafts- und Naturverständnis, welches eine strikte Trennung von Stadt und Natur vornehme. Girot plädierte mit Verve für eine urbane Landschaftsvision, in der eine grossräumige städtische Landschaft –  im Sinne eines Lenné’schen Berlins – den Städten immanent sein solle, statt sich als Sehnsuchtsraum darum herumzulegen.   

Abkehr von Arkadien

Der neue Direktor der Regionalplanung Zürich und Umgebung RZU, Angelus Eisinger, skizzierte in einem kurzen historischen Überblick den Weg vom durch Stadtmauern stabilisierten Verhältnis von Stadt und Landschaft hin zu den vielfach fragmentierten und besetzten Landschaften der Gegenwart. Auch er forderte eine Abkehr von der schwärmerischen Natursehnsucht hin zu neuen Landschaften, die aber immer auch an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet sein müssen: Diese seien alles andere als nur lästige Figuren, die in einem Partizipationsprozess mitgenommen werden müssten.
Im Anschluss stellte Maria Lezzi, Direktorin des Bundesamtes für Raumentwicklung ARE, die Ansätze und Perspektiven zur Entwicklung suburbaner Landschaften aus der Flughöhe der Bundesbehörde vor und riet dringend dazu, aktiv hinauszugehen in diese Landschaften, statt in Workshops und Amtsstuben über Konzepten zu brüten.

Konsens herrschte in der von André Stapfer, Leiter der Sektion Natur und Landschaft im Kanton Aargau, geleiteten Podiumsdiskussion mit den drei Vortragenden, dass neue Visionen und Bilder zur Landschaft zu entwickeln und zu vermitteln seien. Vor allem eine möglichst konfliktarme Überlagerung von Nutzungen sei das Mittel der Wahl, in einem dicht bevölkerten Land wie der Schweiz Freiraumqualitäten zu befördern.

Aufbruch zu anderen Idyllen

Der Rapperswiler Tag wäre schliesslich nicht der Rapperswiler Tag, wenn er es bei abstrakten Zielen beliesse und nicht auch die konkreten, vor allem aber: die guten Beispiele präsentieren würde. Diesen war der Nachmittag der Veranstaltung gewidmet.

An konkreten Projekten demonstrierten Andreas Bernasconi (Pan Bern AG), Lukas Schweingruber (Schweingruber Zulauf Landschaftsarchitekten, Zürich), Berno Strootman (Strootman Landschaftsarchitecten, Amsterdam) und Pascal Gysin (pg landschaften, Sissach), wie Landschaften aussehen können, wenn der Mut zum Sprung zwischen den Massstäben da ist. Zu sehen gab es Projekte, die sich nicht scheuten, an den ehemals starren Grenzen der vier Fachrichtungen Freiraum-, Landschaft- und Objektplanung sowie Landschaftsgestaltung vehement zu rütteln: Da wurden grossräumige Landschaften mit poetischen punktuellen Interventionen entwickelt, frech Parks in toten Winkeln der Stadttextur behauptet und Gemeindepräsidenten ein Strauss Bauprofile als Ausdruck ihrer Macht vors Gemeindehaus gestellt. Jenseits der Konventionen von Park und Platz, von Kulturland und Wildnis, wurden neue lebens- und liebenswerte Orte geschaffen, die den geläufigen Idyllen eine frische Auffassung von nutzbarer Landschaft entgegenstellten.

Zum Schluss verkam das Redner- um ein Haar zum Richterpult, als Benedikt Loderer dieses zum Schauplatz einer ganz eigenen Mobilmachung machte. Schleunigst seien die unseligen Scheuklappen abzunehmen, donnerte dieser, die den Blick auf eine postkartentaugliche Schönschweiz verengen würden. Ästhetisch ruiniert sei sie in Wahrheit, diese Eidgenossenschaft, würde man notabene die Alpen einmal abziehen. Loderers Zauberformel seiner «Landesverteidigung» ist das Landgesetz, welches das unbebaute Land schützt und dort zur baulichen Verdichtung zwingt, wo noch ungenutzte Kapazitäten ruhen: in den «Hüslihalden» an den breit ausfransenden Rändern der Städte. Konkrete Schlachtpläne wider das blosse Passieren-Lassen von Siedlungswachstum wurden im Anschluss am Apéro entwickelt. Man darf gespannt sein, welche Schritte in diese Richtung am 35. Rapperswiler Tag am 11. April 2014 bereits sichtbar sein werden.  

Verwandte Beiträge