In­seln der Ho­mo­ge­ni­tät

Vielfalt ist ein hervorstechendes Merkmal von Stadt und Urbanität. Die gewünschte Heterogenität steht jedoch häufig im Widerspruch zu einer gelebten Homogenität. Was das für unsere öffentlichen Räume bedeutet, beleuchtete eine Tagung im Neubad Luzern.

Publikationsdatum
06-12-2018
Revision
06-12-2018

Worte und Taten, Bekenntnisse und Handlungen klaffen bisweilen schmerzlich auseinander, so auch beim öffentlichen Raum. Der Abschluss einer Trilogie zum öffentlichen Raum am 20. November 2018 in Luzern rückte Nachbarschaften in den Blick, die eher aus- als einschliessen. Eingeladen hatte die Hochschule Luzern zusammen mit dem SIA, dem Schweizerischen Städteverband und dem Zentrum öffentlicher Raum (Zora).

Gute Eltern, schlechte Bürger?

Wie sich Inseln der Homogenität schaffen lassen, veranschaulichte die Soziologin Susanne Frank anhand von Mittelschichtsfamilien, die bewusst oder unbewusst unterschiedliche Strategien der Abschirmung verfolgen. Während die einen in sozial homogene Siedlungen ­ziehen, wählen die anderen gemischte innerstädtische Quartiere, pflegen dort aber sozial homogene Netz­werke. Beide Gruppen haben den Anspruch, zum Allgemeinwohl und zur sozialen Gerechtigkeit beizutragen und in diesem Sinn gute ­Bürger zu sein. Im Zweifelsfall gewichten sie das, was sie für das Wohl der eigenen Kinder halten, jedoch höher. Sie entscheiden sich für gute ­Bil­dungs­­möglichkeiten in sozial ­homogenen Schulen und für funk­tio­nierende Netzwerke auf der Basis eines gemeinsamen Lebensstils.

Zwar ­sor­gen sich diese Mittelschichtsfamilien um den sozialen Zusammenhalt und reflektieren durchaus, dass sie zur sozialen ­Segregation beitragen und sich dadurch widersprüchlich verhalten. Teilweise bilden sie in einigen Bereichen sogar Brücken zu anderen sozialen Gruppen. Letztlich handeln sie jedoch im Einklang mit der ­«neoliberal geprägten Konkurrenzgesellschaft», wie Susanne Frank es formulierte. Wenn es um öffentliche Räume und Nachbarschaften geht, ist die Gestaltung also nur ein ­Faktor. Eine mindestens ebenso wichtige Rolle spielen so­ziale Faktoren.

Erfolgsmodell mit Fragezeichen

Der Grat zwischen einer wünschenswerten Aneignung von öffentlichen Räumen und Partikularinteres­sen kann schmal sein. Das unterstrich ein Dialog zwischen Barbara Emmen­egger von der Hochschule ­Luzern und Andrea Leuenberger vom Tiefbauamt Zürich. Die beiden nahmen den Bullingerplatz in Zürich unter die Lupe.

Jahrzehntelang zerschnitt der Durchgangsverkehr den Platz. Im Zuge der Westumfahrung pro­fitierte er dann vor ein paar Jah­ren von einer Neugestaltung. Die Planung fand ohne die Quartier­bevölkerung statt. Nachdem bereits geplant war, gab es jedoch einen Work­shop, der noch zu Änderungen führte: zu einem Platz im Platz ­mit einem Schachfeld und zu einer Tempo-20-Zone, die ursprünglich nur als Tempo-30-Zone vorgesehen war. Im Nachhinein eignete sich ein Teil der Quartierbevölkerung den Platz schliesslich mit einem Café und Pflanzkisten auf der davor liegenden Strasse an. So weit, so gut.

Eine Untersuchung hat jedoch gezeigt, dass die Nutzer des Bullingerplatzes als homogene Gruppe wahrgenommen werden und ein gravierender Ausschlussprozess stattfindet. Auf dem Platz präsent sind laut Barbara Emmen­egger «Personen, die sich kreativ artikulieren können». Die anderen fehlen jedoch, sodass die Lebendigkeit des Platzes gar nicht lebendig im Sinn von Vielfalt ist. Doch wie weit könnte und sollte ­Sozialarbeit hier gegensteuern?

Homogen in der Zeit, heterogen im Ort

Auch bei mehreren von 15 Projekten, die sich an einem «Marktplatz» ­vorstellten, war der Wunsch nach Verschiedenartigkeit und die fak­tische Einheitlichkeit ein Thema. Severin Mom von der Genossenschaft Kraftwerk1 berichtete von der Siedlung Zwicky Süd. Die Heterogenität der Bewohnerschaft sei dort hoch, das entscheidende Gremium dagegen sei sehr homogen zusammengesetzt. Zwischen denen, die Selbstorganisation, Austausch und Partizipation schätzten, und jenen, die einfach eine günstige Wohnung haben und Mieter sein wollten, ­liegen laut Mom teilweise Welten.

Einen gelassenen Ansatz vertrat vor diesem Hintergrund ­Patrick Bolle vom Verein Pro Entlisberg. Der Verein nutzt seit 2014 ein ehemaliges Teppichgeschäft als Vereinslokal. Dort gehen viel­fältige ­Nutzergruppen diversen ­Aktivitäten nach. Die einzelnen Gruppen treffen sich jedoch zu unter­schiedlichen Zeiten. In ein und demselben Moment ist das Lokal also oftmals homogen, aber die ­un­terschiedlichen Gruppen, die den gleichen Raum nacheinander nutzen, sorgen für eine gute Durchmischung. ­Zeitliche Entflechtung kann also eine Möglichkeit sein, die gewünschte Vielfalt zu ermög­lichen. Bolles erfrischendes Fazit: «Ich habe aufgehört zu versuchen, mich zu ver­mischen.»

 

Am Marktplatz war mit «Kontour» auch die Dialogplattform des SIA für Quartierentwicklung präsent. Henrietta Krüger und Barbara Stettler stellten die Quartiere Bern Brünnen, Zürich Wallisellen und Basel Erlenmatt vor.
Nähere Informationen auf www.sia.ch/kontour

Alle Tagungsunterlagen und PowerPoint-Präsentationen sowie Impressionen zur Tagung auf www.hslu.ch/fachtagung-gelebte-stadtraeume

 

Verwandte Beiträge