«Le si­lence éter­nel de ces espaces in­fi­nis m‘ef­fraie»

Rapperswiler Tag 2015: Atmosphäre, Sinnlichkeit, Raum

Die Atmosphäre ist eine launische Schönheit - mal «blitzt sie aus dem Nichts» (Andres Bosshard) an den unvorstellbarsten Orten auf, mal will sie sich trotz heissem Bemühen partout nicht einstellen. Für eine Tagung in Landschaftsarchitektur ist sie hingegen ein höchst dankbares Thema, wie sich am Rapperswiler Tag 2015 gezeigt hat.

Publikationsdatum
13-03-2015
Revision
25-08-2015

Theoretikerinnen und Praktiker, Künstlerinnen und Beamte, junge Wilde und alte Hasen, sie alle haben sich an der Atmosphäre im Grossen wie im Kleinen schon abgearbeitet, manchmal auch die Zähne ausgebissen. In diesem Sinne war das Programm des diesjährigen Rapperswiler Tages nahezu umfassend: Ganze fünfzehn Referentinnen und Referenten beleuchteten das Thema aus fast allen denkbaren Blickwinkeln.

Theorie...

Eine Begriffsgeschichte entwarf Michael Jakob, Professor an der Haute école du paysage, d'ingénierie et d'architecture de Genève (hepia), in seinem Einführungsreferat. Er zeichnete nach, wie das fünfte Element, der Äther und mit ihm die Metaphysik, bis ins 17. Jahrhundert hinein selbstverständlicher Bestandteil des Denkens und Forschens war. Erst in der Renaissance verschwand dieser aus den cartesianischen Räumen der Idealstädte. Es ist diese im Titel erwähnte «ewige Stille», die Blaise Pascal im 17. Jahrhundert ängstigte, ein Unbehagen, das sich in der Moderne mit ihrer Fixiertheit auf das Funktionale und Rationale noch verstärkte.

Was aber kennzeichnet dieses verschwundene Ätherisch-Atmosphärische? Nahezu alle der theoretischen Tagungsbeiträge bezogen sich auf Gernot Böhme. Atmosphäre entstehe in der körperlich-leiblichen Erfahrung des Subjektes, in der Bewegung im Raum, in der Kontemplation. Zwar war fortwährend vom Subjekt die Rede; dass Menschen Atmosphäre aber nicht nur wahrnehmen, sondern auch selber dazu beitragen, war dann doch erstaunlich selten zu hören.

Larissa Fasslers künstlerische Feldforschungen aus den Metropolen Berlin und Paris setzten hier einen wohltuenden Kontrapunkt. Akribisch zeichnete sie Farben, Formen, Bewegung und Aktivitäten im Raum auf und verdichtete diese zu zweidimensionalen Stenogrammen der wahrgenommenen Atmosphäre.

... und Praxis

Es war auffällig, wie in den Bildbeispielen die Sepiatöne und Unschärfen zu dominieren begannen, sobald Atmosphäre dargestellt werden sollte. Kontrollierte Wildnis mit flächigen Gräsern und Kletterpflanzen prägte die Entwürfe, welche die praktizierenden Landschaftsarchitektinnen und -architekten vorstellten, namentlich Sibylle Aubort Raderschall (raderschallpartner), Robin Winogrond (Studio Vulkan) und der Wiener Daniel Zimmermann (3:0 Landschaftsarchitektur). Auch Licht und Schatten spielten eine gewichtige Rolle – verstehen konnte man das auch einmal mehr als Plädoyer für den grossen Baum.

Dass Atmosphäre aber auch aus Reife und Wachstum gespeist wird, zeigten die bereits schon etwas älteren Anlagen von raderschallpartner, die Sibylle Aubort Raderschall im eingewachsenen Zustand präsentieren konnte. Auffällig oft verwendetes Stilmittel ist auch der Kontrast zwischen dem Lieblichen und dem Schroffen: Das «Drama der Juxtaposition», mit dem Anne Brandl Gordon Cullen zitierte, entfaltet sich zum Beispiel im MFO-Park im Aufeinandertreffen von Stahl und Rosen.

Allen praktischen Hinweisen zum Trotz, wie Atmosphäre gebaut werden könnte, warnte Anette Freytag in einem Diskussionbeitrag eindringlich und zu Recht vor einem Inseldenken, das das Gefällige sucht. Eine oberflächliche Ästhetisierung sei sicherlich nicht die Aufgabe der Landschaftsarchitektur.

Atmosphärisch wirksame Elemente müssen oft auch gar nicht «erzeugt» werden. Vielmals genügt es, die sinnliche Wahrnehmung zu fokussieren oder dieser überhaupt erst Raum zu geben. Klangkünstler Andres Bosshard bezeichnete das Ohr als soziales Organ, das vor allem auf das Verarbeiten von Gesprächen ausgelegt ist und alles andere ausfiltert. Mit einfachen Mitteln macht er das fortwährende Summen und Klingen der Atmosphäre um uns herum hör- und wahrnehmbar. Sibylle Aubort Raderschall hingegen greift zu ungewöhnlichen Tricks: Der Glassplit im MFO-Park ist in einer Stärke aufgebracht, die bewirkt, dass man tief einsinkt und der Schritt sich ganz automatisch verlangsamt. Die Nutzenden werden so subtil zum Innehalten gezwungen.

Es war auch dieses Jahr ein grosses Plus des Rapperswiler Tages, dass theoretische Beiträge mit Berichten aus der Werkstatt konfrontiert wurden. Macht sich gegen Ende des Vormittags jeweils ein wenig Ratlosigkeit breit, wie denn jetzt die theoretische Debatte in die gebaute Umwelt übersetzt werden soll, so zeigen die Praktikerinnen am Nachmittag immer wieder überzeugende Beispiele dafür, wie es gelingen kann. Fachliche Auseinandersetzung und mannigfaltige Inspiration verwoben sich so auch an der diesjährigen Veranstaltung wieder zu einer dichten Atmosphäre, die die Vielfalt des Berufsstandes aufzeigte.

Siehe auch: Weitere Infos zu den Referentinnen und Referenten und ihren Vorträgen.

Verwandte Beiträge