Das Po­ten­zi­al kann nur ge­mein­sam aus­ge­schöpft wer­den

Die Ostschweizer Fachhochschule in Rapperswil hat in den letzten zwei Jahren zum Thema Digitalisierung im Infrastrukturbau geforscht. Die Untersuchung dreier Pilotprojekte zeigte unterschiedliche Herausforderungen und Chancen für die Beteiligten.

Publikationsdatum
22-12-2020
Rolf Steiner
Dipl. Bauingenieur FH, Abteilungsleiter Tiefbau Gemeinde Küsnacht und Dozent im Studiengang Bauingenieurwesen an der Ostschweizer Fachhochschule
Dr. oec. Susanne Kytzia
Professorin im Studiengang Bauingenieurwesen und Leiterin des Instituts für Bau und Umwelt an der Ostschweizer Fachhochschule
Lukas Mathis
BSc FHO in Bauingenieurwesen, Projektmitarbeiter am Institut für Bau und Umwelt an der Ostschweizer Fachhochschule

Im Infrastrukturbau steckt die Anwendung der BIM-basierten Arbeitsmethode anscheinend noch in den Kinderschuhen. Aber gerade in diesem Bereich betreiben viele Behörden ihre Infrastruktur als Teil von eng verfloch­tenen Netzen aus kommunalen, kantonalen und nationalen Strassen, Leitungen zur Ver- und Entsorgung sowie Schienen des öffentlichen Verkehrs. Motivation für einen Veränderungsprozess müsste also vorhanden sein. Wie eine zweijährige Forschung an der Hochschule für Technik in Rapperswil zeigt, ist dieser Prozess allerdings mit unterschiedlichen Chancen und Herausforderungen für die Beteiligten verbunden. Untersucht wurde je ein Projekt eines kommunalen Bauherrn (Eigenheimstrasse in Küsnacht ZH), eines Generalunternehmers (Arealüberbauung Glasi in Bülach) und eines Bundesbetriebs (Nationalstras­senanschluss Bern Bümpliz).

Unterschiedliche ­Voraussetzungen

Öffentliche Infrastrukturbetreiber verfügen je nach Grösse oder Organisation über sehr unterschiedliche fachliche Kompetenzen. Gemäss Statistik des öffentlichen Verkehrs sind kommunale Behörden als Betreiber für über 70 % des gesamtschweizerischen Strassennetzes zuständig und können sich aufgrund ihrer überschaubaren Grösse und Flexibilität das notwendige Know-how schnell selbst aneignen. Auch haben sie keinen unmittelbaren Handlungsdruck für diesen Veränderungsprozess.

Anders bei bundesnahen Betrieben: Der Aktionsplan zur bundesrätlichen Strategie «digitale Schweiz» sieht für den Bund und alle bundesnahen Betriebe für Infrastrukturanlagen eine verpflichtende Anwendung der BIM-Methode ab 2025 vor. Damit stehen die betroffenen Eigentümer und Betreiber der Infrastrukturnetze unter Druck – sie müssen ihre Prozesse anpassen. Viele aktuelle BIM-Infrastruktur-Pilotprojekte auf Bundesebene dienen daher primär diesem Zweck.

Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass sich Planer und Bauunternehmen einen spürbaren Wettbewerbsvorteil verschaffen, wenn sie früh und konsequent die BIM-Methode anwenden und den Veränderungsprozess mitgestalten. In den untersuchten Pilotprojekten entstanden Projektteams bestehend aus Planern und Bauunternehmen, die gemeinsam mit dem Auftraggeber Know-how aufbauten. Dieses Wissen kann nun wiederum in neuer oder bestehender Konstellation eingesetzt werden. Unerfahrene Auftraggeber werden versuchen, die Risiken bei der Einführung der BIM-Methode in der Zusammenarbeit mit erfahrenen Projektteams abzufedern. Dadurch wird sich in einer ersten Phase ein Wettbewerbsvorteil für Planer und Bauunternehmen mit BIM-Erfahrung oder entsprechenden Ressourcen zum unmittelbaren Aufbau dieses Know-hows ergeben.

 Wert­erhaltung und Digi­talisierung des Bestands

In der Schweiz werden heute nur noch wenige Infrastrukturbauwerke «auf der grünen Wiese» errichtet. Meist baut man im Bestand: als Instandsetzung, Erneuerung oder Ersatzneubau.

In der Vorstellung vieler besteht die BIM-Methode aus einem digitalen Zwilling, der das gesamte Infrastrukturnetz inklusive Gebäuden und Werkleitungen als 3-D-Volumenkörper abbildet. Wesentlich wichtiger als die 3-D-Abbildung sind in diesem Zwilling aber die meist vielen Informationen, die mit 3-D-Abbildungen verknüpft und mit einem integrierten Managementtool direkt der Investitionsplanung zugeführt werden können. 

Allerdings generiert der Einstieg in die BIM-Methode einen Mehraufwand, wenn zuerst digitale Bestandsdaten erfasst und planungskonform aufbereitet werden müssen. In den untersuchten Fallbeispielen haben sich gegenüber den entstandenen Mehrkosten noch keine entsprechenden Gewinne punkto Qualität und Effizienz eingestellt, dafür aber sehr konkrete Handlungsbedarfe bei Planern und Bauherren gezeigt. Diese Situation wird sich wohl erst langfristig verbessern, wenn Eigentümer über räumliche Modelle ihres Bauwerkbestands («As built»-Daten) verfügen. Auch gewinnt die Dokumentation des ausgeführten Bauwerks an der Schnittstelle zu Betrieb, Unterhalt und Werterhaltung deutlich an Bedeutung.

Die BIM-Methode verbessert das Informationsmanagement im Planungsprozess – insbesondere an den Schnittstellen zwischen Fachplanern und von Projektphasen. Planungsseitig entstehen so allfällige Effizienzgewinne, wodurch neue, z. B. qualitätssteigernde Leistungen erbracht werden können.

Einfluss der ­Standardisierung

Verschiedene Normungsorganisatio­nen sind bestrebt, Standards zur Anwendung der BIM-basierten Arbeitsmethode zu entwickeln. Solche Bestrebungen sind dringend notwendig, um die Verständigung ­zwischen allen Beteiligten zu unterstützen. Besonders zentral sind Standards für den Datenaustausch. Allgemein anerkannte Standards für den Datenaustausch (z. B. 3Ddwg ifc, cpixml) unterstützen eine freie Wahl der Software («OpenBIM»-Ansatz). Solange aber keine standardisierten Datenschnittstellen für Geometrie (z. B. ifc) und alphanumerische Daten sowie Datenbankschnittstellen im Infrastrukturbau definiert und in die Software implementiert sind, bleibt der Datenaustausch erschwert.

Bei einer Anwendung der BIM-Methode sind zudem die Leitdokumente von zentraler Bedeutung. In den Auftraggeberinformationsanforderungen (AIA) werden alle notwendigen Informationen zu ­Zielen, Datenstandards und Daten­inhalten seitens Besteller definiert. Dies kann sowohl Modellierungs­regeln als auch den Modellaufbau betreffen. Denn hier wird festgelegt, welche geometrischen Objekte man abbildet (Bauteile) und welche Informationen (Attribute) man ihnen zuweist. Den AIA wurde in den Pilotprojekten noch zu wenig Beachtung geschenkt. Die Auftraggeber waren (noch) nicht in der Lage, ihre Anforderungen klar und präzise zu formulieren. So definierten sie mit den beauftragten Planern im BIM-Abwicklungsplan (BAP) die BIM-Ziele und den Anwendungsrahmen. Idealerweise sollte der BAP aber ausgehend von der AIA in einer Zusammenarbeit zwischen Planer und Bauherrn erarbeitet werden.

Fazit

Ein grosser Teil der Gesamtkosten eines Bauwerks fallen bekanntlich nach der Inbetriebnahme an. Bei einer Vernachlässigung dieser Kosten bei der Planung besteht die Gefahr, dass Betreiber mittelfristig die Werterhaltung des Bestands nicht mehr gewährleisten können. Allerdings scheinen viele öffentliche Bauherren eventuell vorhandene Daten nicht im Sinn der BIM-basierten Arbeitsmethode in den Entscheidungsprozess einbringen zu können. Die BIM-Methode könnte das Informationsmanagement mittel- und langfristig unterstützen. 

In der Planung unterstützt die BIM-Methode laufende Verän­derungsprozesse oder initiiert gar neue. Beispiele dafür sind die Einführung der elementbasierten ­Kostenplanung im Tiefbau, eine mögliche Weiterentwicklung der Planungsprozesse nach SIA 112 oder eine Anpassung des öffentlichen ­Beschaffungswesens (Softkriterien grösser gewichten und nicht ausschliessliche Konzentration auf wirtschaftlich günstigstes Angebot).

Die Motivation zur Anwendung der BIM-Methode unterscheidet sich aber bei Bauherren, Planern und Bauunternehmen ebenso wie der Zeithorizont, in dem man sich Erfolge erwartet. Für alle drei Stake­holder werden sich diese Erfolge nur einstellen, wenn sie die Entwicklung aktiv mitgestalten.

Öffentliche Bauherren und Betreiber können von der Anwendung der BIM-basierten Arbeitsmethode keine schnellen Erfolge erwarten. Ihr wesentliches Interesse gilt dem Aufbau eines Informations­systems für das Lebenszyklusmana­gement ihres Bestands. Angesichts der langen Lebensdauer der Infrastrukturbauwerke wird es einige Jahrzehnte dauern, bis ein solches Informationssystem über umfassende Daten verfügt.

Planer profitieren von einer Erhöhung der Qualität und Effizienz in der Projektierung. Dadurch können sie Ressourcen schonen und zusätzliche Leistungen anbieten. Demgegenüber stehen aber notwendige Investitionen in die IT-Infrastruktur und die Ausbildung der Mitarbeitenden. Diese Investitionen werden sich nur lohnen, wenn man ein ausreichendes BIM-Auftragsvolumen generieren kann. Es ist jedoch unsicher, ob und wann sich die BIM-Methode aus einer Nischenanwendung zur allgemein angewandten Arbeitsmethode entwickeln wird. Für die Planer sind die Risiken daher derzeit erheblich. 

Bauunternehmen können relativ schnell Erfolge erzielen, wenn sie die BIM-Methode mit der Digitalisierung der Bauprozesse verbinden. Hier erwarten die Autoren dieses Berichts ein erhebliches Kosteneinsparungspotenzial, das die notwendigen Investitionen recht­fertigt. Gleichzeitig erweitert sich möglicherweise das Leistungsspektrum der Bauunternehmen, und sie können ihre Stellung bezüglich der Ausführungsplanung in der Projekt­organisation verbessern.

Vor diesem Hintergrund sehen die Autoren Bauunternehmen als mögliche Treiber bei der Weiterentwicklung der BIM-Methode. Als grosse Herausforderung muss es ihnen aber gelingen, die übrigen Stakeholder stärker an den Vorteilen dieser Entwicklung teilhaben zu lassen.

Weitere Informationen zum Schlussbericht: «Digitalisierung im Infrastrukturbau», Rolf Steiner, Susanne Kytzia, Lukas Mathis, IBU-OST, 2020, per Mail: susanne.kytzia [at] ost.ch

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