«Wir wer­den ei­ni­ge Fe­dern las­sen, aber ich freue mich auf das Neue»

Im März bietet der virtuelle Gipfel «_xCH21» der Baubranche eine Plattform, um über den aktuellen Stand der Digitalisierung zu diskutieren – mit Fokus auf die Hürden und Spannungen in der Praxis. Co-Organisatorin Birgitta Schock erläutert, warum das gerade in der Schweiz wichtig ist.

Publikationsdatum
04-02-2021

TEC21: Frau Schock, als der Bund im September 2018 seine Strategie «Digitale Schweiz» samt Aktionsplan veröffentlichte, war die Bau- und Immobilienbranche befremdet: Obwohl sie mit über 15 % den gewichtigsten Anteil am Bruttoinlandprodukt erwirtschaftet, war sie in der Strategie nicht erwähnt.1 Am 11. September 2020 hat der Bundesrat nun eine aktualisierte Strategie «Digitale Schweiz» verabschiedet.2 Der Bau- und Immobiliensektor ist nach wie vor nicht als Aktionsfeld aufgeführt. Was halten Sie davon?

Birgitta Schock: Ich hätte mir gewünscht, dass dieser Sektor ein eigenes Aktionsfeld bekommt – bei seiner immensen wirtschaftlichen Bedeutung! Unter den neun in der Strategie definierten Aktionsfeldern gibt es einige, die auch Bauthemen umfassen, etwa «Bildung, Forschung und Innovation», «Infrastruktur» oder «Umweltschutz, natürliche Ressourcen und Energie». Doch es ist schwer nachvollziehbar, dass eine derart zentrale Branche wie die Bauindustrie sich indirekt über Sub-Themen von übergeordneten Aktionsfeldern einbringen muss, wenn sie ein Programm starten oder Unterstützung für ein Projekt beantragen möchte. Daher müssen Organisationen wie bauenschweiz und die Planerverbände den Dialog mit dem Bund vorantreiben. Das ist auch eine Aufgabe für den SIA-Fachrat «Digitale Transformation»: Es geht um Themen von öffentlichem Interesse, im Sinn des Gemeinwohls. Grundsätzlich ist Neuauflage der Strategie und des Aktionsplans sehr spannend, es gibt viel zu tun und viele Möglichkeiten.

Weshalb ist es ein Problem, wenn sich die Bau- und Immobilienbranche nicht allgemein, sondern nur über konkrete Themen der neun Aktionsfelder einbringen kann?

Weil diese Fragmentierung der Betrachtung die Gefahr birgt, den Fokus zu verlieren. Im Gegensatz zu anderen Ländern hat die Schweiz keinen einheitlichen, ausführlichen Stufenplan für die Digitalisierung des Bauens, nur viele «bits and pieces». Das entspricht zwar der politischen und kulturellen Struktur der Schweiz, die ja auch kleinteilig ist; doch für die digitale Transformation, die nicht einfach an Gemeinde- oder Kantonsgrenzen und auch nicht an Landesgrenzen aufhört, ist eine solche Fragmentierung nicht gerade förderlich.

Weitere Artikel zum Thema Digitalisierung finden Sie in unserem E-Dossier.

Was bräuchte es, um die «bits and pieces» zusammenzubringen?

Was uns fehlt, ist die übergeordnete Sicht auf zukünftige Entwicklungen des Bau- und Immobiliensektors. Ein Problem ist, dass wir gar nicht über die nötigen Daten verfügen, um die Entwicklung der Branche zu quantifizieren und nachvollziehbar zu machen: Wir haben keine Zahlen zu Qualität oder zu Kosten- und Termintreue, einfach weil wir sie nicht systematisch erheben. Ganz im Gegensatz etwa zu Grossbritannien, wo renommierte Reports publiziert und Missstände beim Namen genannt werden – das ist manchmal unangenehm, aber auch eine Chance für Verbesserung.

Warum scheint sich niemand für diese Auseinandersetzung zu interessieren?

Die Erfahrung zeigt, dass wir alle dazu tendieren, Veränderungen so lang wie möglich auszuweichen. Und die Digitalisierung ist eine sehr grundlegende Veränderung, die auch etwas mit Technologie zu tun hat, aber noch viel mit Abläufen und Kommunikation; ein klassisches Change-Management-Thema eben. In der Schweiz warten wir gern ab, dass der andere den ersten Schritt macht. Wir können es uns leisten – oder glauben das zumindest. Zurzeit besteht ja noch wenig Leidensdruck, um Veränderungen herbeizuführen. Wir befinden uns in einer vergleichsweise bequemen Situation, die Baubranche boomt weiter, die Auftragsbücher sind voll. Doch das kann sich ändern, und dann müssen wir bereit sein.

Gibt es schon erste Ansätze?

Ja, es tut sich einiges: Der Bund und die KBO beschäftigen sich dem Thema Besteller, die SBB verlangen seit 2021 die BIM-Methode für ihre Hochbauprojekte, und auch grosse Private sind aktiv oder werden es zunehmend. Der SIA hat viele Ressourcen in Kommissionen und Arbeitsgruppen investiert, wo er die Anliegen der Planerbranche vertritt. Aber wie gesagt: Noch fehlt der rote Faden, der grosse Roadmap. Bauen digital Schweiz | buildingSMART Switzerland hat zwar einen ersten knappen Stufenplan herausgegeben, doch es braucht Umfassenderes. Die Digitalisierung von Informationen kümmert sich nicht um sektorielle oder politische Fragmentierung, die Durchgängigkeit der Datenflüsse ist enorm wichtig. Die nordischen Länder sind diesbezüglich im Vorsprung, und auch Deutschland verfügt mit dem «Stufenplan Digitales Planen und Bauen» und der «Initiative Planen Bauen 4.0» über ein wichtiges Organ.

Weitere Beiträge zum Thema BIM finden Sie in unserem digitalen Dossier.

Sind diese Fragmentierung, dieser fehlende rote Faden auch ein Thema am Digital Construction Event _xCH21?

Wir versuchen, das Thema gemeinsam mit den Teilnehmenden voranzutreiben. Es ist Zeit, den Wettbewerb für einmal pausieren zu lassen – alle müssen am gleichen Strick ziehen und ein gemeinsames Commitment eingehen. Deshalb soll der Event nicht das Konkurrenzdenken anfeuern, indem Erfolge abgefeiert werden. Im Gegenteil: Die Teilnehmenden sind aufgefordert, Probleme aus ihrer Praxis aufzuzeigen, Fragen zu formulieren und offen zu diskutieren. Es wird Kontroversen geben, und das ist eine Herausforderung: Manche scheuen diese Art von Sichtbarkeit. Andere jedoch suchen genau das, denn sie kommen nicht weiter, wenn sie schwierige Gespräche nur hinter vorgehaltener Hand führen. Der Event zeichnet kein konsolidiertes Bild des Ist-Zustands, sondern eines mit Spannungen; nur, wenn wir uns diesen stellen, kommen wir weiter.

Wie muss man sich das konkret vorstellen?

Am gemeinsamen Eröffnungstag des dritten buildingSMART International Virtual Summit und des Digital-Construction-Events _xCH21 gibt es Vorträge, wobei die Hälfte der Referentinnen und Referenten aus der Schweiz stammt. Am zweiten Tag, dem «Schweizer Fenster», behandeln wir nationale Themenfelder, die aber auch international bedeutend sind – immerhin können Teilnehmende aus 21 Ländern zuhören, das hat es so noch nie gegeben. Das Format ist von der Sendung «Arena» inspiriert: Es gibt Tischrunden, an denen Fachleute über Impulsfragen diskutieren. Jeder Tisch hat eine Moderatorin oder einen Moderator, der selbst ein anerkannter Experte auf dem Themengebiet ist. Es wird auch einen SIA-Tisch mit einem eher holistischen Zugang geben: Wir sprechen über das Planen und Bauen ebenso wie über Wirtschaft, Bildung oder Standardisierung.

Welche Fragen stehen an?

Es gibt so viele! Zum Beispiel: Wenn die SBB BIM einfordert, wer kann wirklich etwas liefern? Und warum sollen Planungsbüros sich überhaupt darauf einlassen? Wer bezahlt die zusätzliche Arbeitsleistung? Haben Planerinnen und Planer die richtige Ausbildung, um diesen neuen Anforderungen zu genügen? Welche Normen braucht es, wenn das parametrische Entwerfen zur Normalität wird? Welche Rolle spielt der  SIA in diesem Umfeld? Der SIA, der Planerinnen und Planer aller Disziplinen in einem Verband vereint, ist ein super Modell, aber vielleicht muss der SIA in Zukunft auch mehr über die Planerbranche hinausschauen. In Finnland gibt es eine Organisation, in der Planer und Unternehmer versammelt sind. Der Diskurs über Themen am Puls der Zeit findet so viel direkter, schonungsloser statt. Natürlich gibt es auch mehr Konflikte, aber um die kommen wir ohnehin nicht herum.

Welchen Gewinn versprechen Sie sich als Architektin von einer Digitalisierung des Bauens – einmal abgesehen von der viel beschworenen Effizienzsteigerung?

Mehr Freiheit! Die Digitalisierung ist ein Risiko, und wir werden dabei einige Federn lassen, aber trotzdem trauere ich den alten Arbeitsmodellen wenig nach: Ich freue mich auf das Neue. Wenn der Computer mir Fleissarbeit abnimmt, habe ich wieder mehr Zeit. Was mache ich damit? Wie setze ich sie kreativ ein? Wie gestalte ich mein zukünftiges Berufsbild? Welchen Mehrwert generiere ich dank meiner neuen Freiheit? Der amerikanische Schriftsteller John Augustus Shedd hat gesagt: «Ein Schiff im Hafen ist sicher, doch dafür werden Schiffe nicht gebaut.» Wenn man unternehmerisch denkt, muss man rausgehen und etwas probieren. Dabei ist  mir der Austausch mit internationalen Kollegen immer eine grosse Inspiration. Auch das ist eine Chance am Digital Construction Event _xCH21.

Der digital construction event _xCH21 findet vom 15. bis 17. März 2021 statt.
www.xch21.ch

Anmerkungen
1 Vgl. «Macht des Modells», TEC21 15/2019
2 Vgl. www.bk.admin.ch/bk und www.digitaldialog.swiss

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