Das Au­ge von Mi­ner­gie

Die meisten Gebäudelabels setzen einen Energienachweis voraus, der auf Planungsdaten beruht. Der populärste Standard der Schweiz schaut neu auch bei der Ausführung über die Schulter.

Publikationsdatum
26-04-2018
Revision
26-04-2018

Trägt man Klischees über Minergiebauten zusammen, stünde das Einfamilienhaus aus Holz in ländlicher Umgebung an erster Stelle. Objekt SH-2536 in Rheinklingen ist genau ein solcher Fall. Trotzdem wird diese Beschreibung dem Wohnhaus, das das Schaff­hauser Architekturbüro von Peter Sandri letztes Jahr realisiert hat, bei Weitem nicht gerecht. Die klassische Hausform leitet sich im Wesentlichen vom Standort ab; der zweistöckige Neubau mit Giebel­dach ist nun Teil eines geschützten Ortsbilds.

Vor allem aber zeichnet sich das Gebäude mit dem Standard Minergie MQS Bau aus, als erstes in der Schweiz überhaupt. Die Erweiterung des bestehenden Zerti­fizierungsverfahrens betrifft ins­besondere den Kontroll- und Dokumentationsaufwand. Vor Ort zu prüfen sind die Bauprodukte und die Ausführungsstandards; ebenso gehört die Inbetriebnahme und die Instruktion der gebäudetechnischen Anlagen dazu. Wie bisher wird das Gebäudezertifikat nach Bauabschluss übergeben; ein Zusatz «MQS Betrieb» zur Überprüfung der Betriebsqualität ist ebenfalls in Vorbereitung.

Zurück zum Pilotprojekt im Kanton Schaffhausen: Das Wohnhaus mit Blick auf den Rhein passt sich in eine enge, abschüssige Parzelle und ist aus vorgefertigten Holz­elementen zusammengesetzt. Bei den erweiterten Baustellenkontrollen ist man hierzu auf keine böse Überraschung gestossen: «Die industrielle Fertigung kann die hohen Qualitätsanforderungen problemlos erfüllen», so Sandri. Dagegen ist unter den angelieferten Fenstern eine fehlerhaf­te Charge entdeckt worden: Die Ver­glasung entsprach nicht den be­stellten Eigenschaften; sie konnten noch vor dem Einbau ausgetauscht werden.

Nicht nur Minergiehäuser haben eine vielfältige Palette von An­sprüchen und Normen zwingend zu erfüllen, etwa zum sommerli­chen Wärmeschutz oder zur Dämmung von Heizungsrohren und Lüftungskanälen. Peter Sandri bezeichnet das MQS-Label deshalb als generell vorteilhaft, weil auf einer Baustelle sonst viele Mängel schnell über­sehen werden. «Die Checklisten helfen, auch nicht Minergie-relevante Fehler aufzudecken» – und ver­bessern den Qualitätsstandard bei der Schlüsselübergabe an die Bau­herrschaft. Die Betriebswerte sämt­licher technischer Gewerke sind nun im Sinn eines Garantiescheins dokumen­tiert. Architekt Sandri hat das Wohnhaus am Rhein bewusst als Pilotprojekt angemel­det, um eigene Erfahrungen bei überblick­barem Projekt­umfang sammeln zu können. Erwartet wird jedoch, dass der Qualitäts­ausweis Mi­nergie-MQS künftig bei grossen Bauprojekten stärker nachgefragt wird.

Positive Marktbefragung

Dies hat nämlich eine Marktstudie zur Erweiterung des Gebäudestandards ergeben: Ein Überprüfen der Ausführungsqualität wird im Segment der Mehrfamilienhäuser von Architekten, Planern und Bauherrschaften wohlwollend begrüsst. Die Studie haben Wissenschaftler der Berner Fachhochschule Architektur, Holz und Bau (BFH) im Auftrag des Bundesamts für Energie BFE und des Vereins Minergie durchgeführt.

Ein knappes Drittel der Befragten gab ein positives Feedback für eine Einführung des Minergie-Qualitätssystems MQS ab. Dafür spreche unter anderem, dass die Diskrepanz zwischen Planung und Ausführung vermieden werde, sowie eine optimierte Inbetrieb­setzung der Haustechnik. Dagegen stünden die Mehrkos­ten und der Zeitaufwand, so die Einschätzung eines weiteren Drittels der befragten Baufachleute. Architekt Sandri widerspricht aus eigener Erfahrung: «Wir sind nicht häufiger auf die Baustelle gegangen als zu­vor. Dank den Prüfanleitungen haben wir aber genauer hingeschaut.»

Am Bau Beteiligte
 

Architektur
Sandri Architekten, Schaffhausen
 

HLKS-Planung
EnConsult Ingenieure, Schaffhausen
 

Holzbau
Norm Holz Bau, Ramsen
 

Tragwerksplanung
Ing. Büro Locher, Siblingen

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