Be­geg­nung zwei­er Ur­ba­nis­ten

Finissage in der Architekturgalerie i2a im Palazzo Nobile von Vico Morcote

«Der Architekt und die Raumplanung. Eine Fallstudie schweizerischer Raumordnung» lautete der Titel der Ausstellung. Der Architekt Beat Consoni war mit seinen Überlegungen zur Architektur und Raumplanung für das schweizerische Bodenseeufer und mit eigenen Arbeiten zu Gast im Tessin. An der Finissage präsentierten er und Luigi Snozzi ähnliche Gedanken zu Architektur und Raum.

Publikationsdatum
20-11-2013
Revision
30-10-2015

Eine Finissage der besonderen Art schloss am Abend des 7. November 2013 die Tore der heurigen Saison. Zuvor schlenderte der staunende Gast noch durch die engen Gassen und kleinen Plätze im Bergteil des Tessiner Dorfs und wähnte sich in eine Zeit zurückversetzt, wo Architekten und Baumeister noch Räume zwischen den Häusern schufen, wo das, was sich zwischen den Bauten auftut, mindestens genauso wichtig war wie das, was im Innern passierte – kein Innen und kein Aussen, sondern nur private und öffentliche, durch Mauern begrenzte Räume. 

See und Siedlung

Womit wir beim Inhalt der denkwürdigen Schlussveranstaltung anlangen, die dieser Ausstellung zuteil wurde. Architektin Ludovica Molo, die langjährige Leiterin des Hauses, lud zum Gespräch zwischen Beat Consoni und Altmeister Luigi Snozzi. Jachen Könz, selbst ein Snozzi-Schüler, führte durch den Abend und vermittelte zwischen den Sprachen. 

Beat Consoni (*1950) machte den Anfang, zeigte einige Beispiele und erklärte anhand des farbigen Bauflächenteppichs örtlicher Raumplanung die Misere fehlender übergeordneter Visionen für jene zehn Kommunen entlang des Bodensees, zu denen auch seine Heimatgemeinde Horn gehört. Voraussetzung dafür wären eine kommunenübergreifende Kooperation zwischen den vielen Bauämtern oder eine Zusammenlegung der Raumplanungsstellen. Zu viele Entscheidungen unterliegen technokratischen Prämissen anstatt räumlichem Vorstellungsvermögen. Von Hassliebe war die Rede: «Den Siedlungsbrei verachte ich, den See liebe ich.»

Strukturen herausschälen

Auch an den schweizerischen Bildungsstätten ortete Consoni zu wenig Augenmerk auf dem Lesen und Verstehen von Typologien und der städtebaulichen Matrix. Zu selbstreferenziell und autistisch seien vielfach die Aufgabenstellungen. Den jungen Architektinnen und Architekten werde wenig Rüstzeug mitgegeben, um sich dieser Aufgabe annehmen zu können. Ein guter Raumplaner sollte laut Consoni eigentlich auch Architekt sein. Das Ordnen von Flächen sei zu wenig – um den Raum strukturieren zu können, müsse der räumliche Körper verstanden werden. Ein Entwurf für die Thurgauer Gemeinde Horn aus dem Jahr 1989 illustrierte in seiner Abstraktion das Gesagte – radikal und weit voraus gedacht, konträr zur tatsächlichen Siedlungsentwicklung.

Anhand zweier weiterer Projekte machte Consoni nachvollziehbar, wie er seine Bauten aus dem Ort herausschält, wie er Strukturen vom Grossen ins Kleine herunterbricht: Ränder fixieren, Übergänge herstellen, umschichten, konzentrieren, ordnen, reagieren auf vorhandene Strukturmerkmale wie Bahnlinien, Strassen, topografische Eigenheiten, das Sichern von Freiräumen, Austarieren von Proportionen – Vico Morcote eben. Oder auch Monte Carasso. 

Die Mauern von Monte Carasso

In der westlich von Bellinzona gelegenen Tessiner Gemeinde hat Luigi Snozzi (*1932) ein kleines, aber in der Wirkung sehr grosses Œuvre hinterlassen. «Es sind nicht die Häuser, die Monte Carasso ausmachen, sondern die Einfriedungsmauern», erklärte der fragil, aber vital wirkende Snozzi wohl zum x-ten Mal in seiner an Vorträgen reichen Laufbahn. Aufbauend auf dieser Erkenntnis erlaubte die stadtbildende Liaison von Snozzi mit dem damaligen, langjährigen Bürgermeister Flavio Guidotti eine neue, aber radikal einfache Ordnung: Distanza zero – Bauen bis an die Grundstücksgrenze, Schaffen von Räumen, Komplettieren der Strassenräume, Ordnen des vorhandenen Zentrums, Stärken der Hauptschlagadern im Wegenetz, Sichern von Freiflächen. Die Aussagen von Snozzi und Consoni waren nahezu deckungsgleich, ihrem städtebaulichen Ansatz liegt die gleiche Lesart des Dorfs zugrunde. 

Ein Gegenentwurf für ein Grundstück an der Uferpromenade von Brissago zeigte die Grundhaltung Snozzis und bildete den Gegenpol zu einem vorliegenden Investorenprojekt. Das Umfassen einer Wiesenfläche, das Schaffen einer Schauseite zum See, das Komplettieren vorhandener Mauern zu einer Hafenanlage – «Un muro è un muro» – die Effizienz von dienendem Parkdeck und Zufahrt, die Sichtbeziehungen Berg-Wiese-See für Privat und Öffentlich, selbst die Aufwertung des Rathauses durch die übergeordnete Beziehung zum Projekt in der Stadtansicht wurden mitgedacht. 

Der Ort, nicht der Mensch

«Der wahre Architekt kann weder auf der Seite der Politik noch der Gesellschaft stehen», so das eindeutige Credo von Luigi Snozzi. Er verlangte von Architektur Permanenz und nicht die Befriedigung kurzzeitiger Strömungen, gewachsen auf Begehrlichkeiten von Politikern und Bauherrschaften. Wolle Architektur mehr als ein Menschenleben überdauern, so müsse sie sich dem Ort verschreiben und nicht den wechselhaften Moden und Bedürfnissen. 

Diese Haltung verwehrte ihm letztlich auch, die Schule in Mendrisio mitzugestalten – gesellschaftliche Stellung, Beziehungsnetzwerk und politisches Geschick lagen auf der Seite anderer Zeitgenossen der Tessiner Bauschule. Formalismus interessierte Snozzi nie, das Entwickeln von typologischen Antworten dagegen schon. Hier fiel der Querverweis zu Aldo Rossi. Dieser ist für Snozzi hinsichtlich Verständnis und Leseart von Stadt ein wichtiger Lehrmeister und massgeblich für die Haltung bedeutender schweizerischer Kollegen der mittleren Generation. Dennoch ortete Snozzi derzeit zu viel Objektorientiertheit. Die Gegner des Fortschreibens städtebaulicher Matrix seien oft die Architekten selbst. 

Ein Leben, eine Haltung 

Die Frage, ob seine Architektur für den Menschen gedacht ist, habe ich nicht gewagt zu stellen. Partizipation? Permanenz wäre wahrscheinlich die Antwort, übergeordnete Zusammenhänge herzuleiten, anstatt aktuelle Bedürfnisse Einzelner zu verknüpfen. Stimmt das Bauwerk für den Ort, tut es das auch für den Menschen. Denn dann ist das, was auch nach 100 Jahren noch Gültigkeit haben wird, mitgeplant: Proportion, Massstäblichkeit, Rhythmik, Intonation, Effizienz, Beziehungsebenen zwischen Mensch, Haus, Landschaft und Raum. Impliziert ist dann auch Schönheit. Gleich schwarzen Tuschestrichen auf weissem Papier, schreiben die Bauten von Snozzi und Consoni das Dorf, die Stadt weiter, vervollständigen den Text, der erzählt von Menschen, deren Tun, deren Kultur. Von dieser Permanenz kündete auch das Schlusswort von Luigi Snozzi: «Ich mache heute noch das Gleiche wie vor 60 Jahren. Ich habe keinen Millimeter dazugelernt.» 

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