Ba­sel: Rand­re­gi­on oder Tor zur Schweiz?

Basel wächst. Daher hat das Bau- und Verkehrsdepartement Basel-Stadt (BVD) eine städtebauliche Gesamtperspektive für Basel 2050 entworfen. Um auch die Öffentlichkeit in diesen Prozess einzubeziehen, organisierte das BVD in Kooperation mit dem Schweizer Architekturmuseum (S AM) die Ausstellung Forum «Basel 2050». Im Fokus der Podiumsdiskussion «Grenzen – der trinationale Raum» stand dabei die hybride Rolle der Stadt.

Publikationsdatum
12-10-2020

«Basel ist hochdynamisch» sagt Beat Aeberhard, Kantonsbaumeister Basel-Stadt. Man könne sogar von einer neuen Gründerzeit sprechen, denn der Stadt-Kanton ist in den letzten zehn Jahren um über 10'000 Einwohner gewachsen und hat 20'000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Hinzu kommen Transformationsareale von weit über 113 Hektar, für die bis 2035 eine Zunahme der Bevölkerung auf 220'000 Personen prognostiziert wird. Diese Areale mit unterschiedlichen Bedingungen gehören verschiedenen Grundeigentümern und sie befinden sich oft am Übergang von Stadt- und Landes- oder Kantonsgrenzen.

«Basel ist das Tor zur Schweiz» stellt die Moderatorin Judit Solt an der Podiumsdiskussion «Grenzen – der trinationale Raum» fest, denn die Stadt vertrete innerhalb der Schweiz nicht nur ihre eigenen Anliegen, sondern auch die Interessen der grenznahen Orte. Sie fragte die fünf Podiumsteilnehmer – Ursula Baus, Andreas Courvoisier, Pierre de Meuron, Monica Linder-Guarnaccia und Thomas Waltert: Ist Basel sich dieser Aufgabe bewusst und wie wirkt sich das auf die Planungen aus? Zudem wollte Judit Solt wissen, was Basel von der Schweiz und dem «Hinterland» braucht, um die Rolle als Link zwischen der Schweiz und den Nachbarländern einnehmen zu können.

Auf die Ränder achten

Grundsätzlich waren sich alle Podiumsteilnehmer einig, dass die Position Basels, als Link zwischen der Schweiz und den Nachbarländern die grösste Herausforderung in der Planung der trinationalen Region sei. Zum Gelingen, trage einerseits eine trinationale Infrastruktur, andererseits ein trinationaler Landschaftsraum bei. Ursula Baus, Publizistin und Mitglied des Wissenschaftliches Kuratorium IBA Basel 2020, plädiert grundsätzlich dafür, «von der bildhaft entwickelten Stadtvorstellung wegzukommen, hin zu einem grenzüberschreitenden Stadt-Land-Szenario, das explizit von der Infrastruktur bestimmt wird». Denn die Infrastruktur ermögliche, dass Menschen Grenzen vergessen. Dazu gehöre es, das Internet, die öffentliche Mobilität und Standards für den öffentlichen Raum zu entwickeln, ohne der Diversität zu widersprechen, die für die Lebensqualität aller – unabhängig aus welchem Land und welcher Region sie kommen – ausschlaggebend ist.

Stadtentwickler Andreas Courvoisier ist überzeugt, dass die unterschiedlichen Identitäten im Dreiland vor allem durch die nachhaltige Entwicklung des Landschaftsraums der Region Basel wahrgenommen werden. Dieser Lebens-, Landschafts- und Wirtschaftsraum spannt sich zwischen dem Belchen im Schwarzwald, dem Grand Ballon im Elsass und dem Schweizer Belchen auf. In diesem Raum gibt es nicht nur ein Zentrum, sondern viele, auch dörfliche Zentren. Courvoisier vermisst die Wahrnehmung der unbebauten Ränder, der Terra incognita, als wertvolle Gebiete.

Vor zehn Jahren entwarf sein Stadtentwicklungsbüro ein Projekt für rund 50 Kiesgruben an der französisch-schweizerischen Grenze, die in ein Netzwerk aus neuen, ökologischen Landschaftsräumen mit Baggerseen und grenzüberschreitenden Fuss- und Radwegen umgewandelt werden sollen. Derzeit wird das Pilotprojekt, der «IBA Parc des Carrières», auf einer stillgelegten Kiesgrube an der Grenze zum französischen Hegenheim und der basellandschaftlichen Gemeinde Allschwil, als binationaler Landschaftspark realisiert.

Doch die Lobby für die Landschaft sei schwach, meint er, denn in der Entwicklung bestimme die Infrastruktur als Triebfeder der Entwicklung, wo es lang gehe. Solange es günstiger sei, Strassen direkt durch den Landschaftsraum zu ziehen, anstatt ihn zu umfahren, könnten die Ränder nicht gestärkt werden und der Landschaftsraum würde weiterhin zerschnitten. Das identitätsstiftendende Projekt Parc de Carrière erschliesst 11.5 Hektar und kostete lediglich 1.6 Millionen Euro, die die Projektverfasser und die IBA von verschiedenen Stiftungen und allen Kommunen, Gemeinden Kantonen im trinationalen Raum zusammengetragen haben. Im Vergleich zu Infrastrukturprojekten sind die Kosten und der bürokratische Aufwand bei trinationalen Landschaftsprojekten gering.

Auch für Monica Linder-Guarnaccia, Geschäftsführerin der IBA Basel 2020 haben die Landschaftsräume ein enormes Potenzial. Sie fördern die Zugehörigkeit und die Identität mit der Region, denn die Landschaft kenne keine Grenzen, weder sprachlich noch politisch oder administrativ. Die Bevölkerung habe das Bedürfnis, ihre Freiräume mitzugestalten. Aus diesem Grund sollten sie höhere Wertschätzung erhalten, und die gemeinsamen Freiräume in der trinationalen Region mehr gefördert werden.

NEAT oder Herzstück?

«Die Menschen der Region – ob aus Weil am Rhein in Deutschland oder Saint-Louis in Frankreich – identifizieren sich bereits mit Basel als kulturellen Anziehungspunkt und als Wirtschaftszentrum» ist Pierre de Meuron überzeugt. Allerdings müsse Basel die Chance ergreifen, aus diesen verschiedenen Identitäten eine Einheit zu bilden. Es sei die Aufgabe der Basler, auf die Nachbarkantone und die grenznahen Regionen zuzugehen, um die Entwicklung dieser gemeinsamen Identitätsräume voranzutreiben und damit die trinationale Identität zu stärken.

Leider erschwere die Fragmentierung die Einigung. Beispielhaft seien die vielfältigen Transportunternehmen, die die Stadt, das Land und die Region erschliessen: BVB, BLT, Distribus, RVL, SBB, DB, SNCF usw. Dies schwäche den Stand des Stadt- und Landkantons in der Bundeshauptstadt, denn Bern verstehe nicht, dass die geografische Lage von Basel als Nadelöhr ausschlaggebend für den Nord-Süd-Korridor sei. De Meuron reklamierte deshalb: «Einerseits gibt die Schweiz Milliarden für den Ausbau des Lötschberg- und Ceneri-Basistunnels aus. Im Vergleich dazu erhielt Basel nur einen kleinen Beitrag für das national, aber auch international notwendige Infrastrukturprojekt, der unterirdischen Durchmesserlinie Herzstück, die als S-Bahn die ganze Region erschliessen würde».

Hier zentral, dort peripher

Anhand der vor mehr als fünfzig Jahren begonnenen Planung der unterirdischen Nordtangente zeigte Thomas Waltert, Gesamtleiter Basel-Nord Basel-Stadt am BVD auf, wie neue Infrastrukturen die Entwicklung eines neuen Stadtteils anstossen können. Die Entwicklung des Stadtteils Basel Nord ist noch nicht abgeschlossen und wird heute auch über die Grenzen hinausgeführt. Ob in Huningue (F), Weil am Rhein (D) oder Kleinhüningen (CH), die Fragen seien auf beiden Seiten der Grenze die gleichen: Was passiert mit den Brachflächen, Hafenbecken und Produktionsarealen? Grosse Unterschiede gibt es ganz klar bei den Grundstückspreisen. Prämisse sei der gemeinsame Nenner aller Beteiligten, der mit den Grenznachbarn zu entwickeln ist.

Doch diesen gemeinsamen Nenner gab es bis vor kurzem nicht, meinte de Meuron in Bezug auf das Projekt Herzstück, weil zuerst Grabenkämpfe an den politischen Grenzen ausgefochten werden mussten. Die Verkehrsbetriebe SBB, SCNF und DB, aber auch die Planer der Kantone, Landkreise und Departements hatten komplett unterschiedliche Vorstellungen über die Gleisführung einer trinationalen S-Bahn, sowie über die Finanzierung und den Betrieb.

Von Nachteil ist auch, dass Basel in der Schweiz als periphere Lage wahrgenommen wird, genauso wie das Markgräflerland in Baden-Württemberg und das Pays de Saint-Louis in Frankreich. Diesbezüglich fehlt das Standbein in den jeweiligen Hauptstädten. Es brauche eine überzeugende Politik, um die Wichtigkeit dieses Projekts für die Region in den Vordergrund zu stellen. Pierre de Meuron kritisierte, dass Basel offiziell immer noch als Kernstadt mit 200'000 Einwohnern wahrgenommen wird. Als Region mit den angrenzenden Kantonen, Städten und Gemeinden liegt die Bevölkerungszahl jedoch bei 800'000. Bezüglich der Finanzierung des Herzstücks macht de Meuron dem Kantonsbaumeister den provokanten Vorschlag, das Projekt privat zu finanzieren, so wie das geplante Projekt Cargo sous terrain oder die erste Bahn, die von Strassburg nach Basel fuhr oder die Spanisch-Brötli-Bahn, die Alfred Escher durch grossen persönlichen Einsatz und mit seinem privaten Vermögen realisierte.

Begegnen statt fliegen

Aus dem Publikum wurde der provokative Vorschlag gemacht, den trinationalen Flughafen aufzuheben, um einen trinationalen Begegnungsort und neuen Landschaftsraum zu schaffen. Thomas Waltert konterte, dass man nicht auf das Erfolgsmodell des trinationalen Flughafens verzichten könne, hingegen könnten viele Nutzungen in der Region zusammengelegt werden, wie etwa die Häfen oder Abwasseranlagen.

Wichtig sei es, den Blick auf die Grenzen umzukehren, denn die Schweizer Grenze ist mit Bauten besetzt, die niemand im Zentrum haben wollte, wie die psychiatrische Klinik oder die Müllverbrennungsanlage. Dreht man den Blick um 180 Grad und wendet sich ins Nachbarland, könnten hier neue, grenzüberschreitende Begegnungsorte für die Bevölkerung und ein neuer Landschaftsraum geschaffen werden. «Denn auch wenn Basel Wirtschafts- und Kulturmetropole ist, so ist dies nur möglich durch die Mitarbeit und den Beitrag der Bevölkerung im trinationalen Raum».

Diese und aller weiteren Podiumsdiskussionen sind auf YouTube abrufbar.

 

Die Entwicklung im Raum Basel dokumentieren wir für Sie in einem e-Dossier.

 

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