«Ba­sel braucht die­sen wich­ti­gen Schluss­stein»

Infrastruktur und Stadtentwicklung

Das Basler S-Bahn-Projekt hat nicht nur regionale, sondern auch nationale Bedeutung. Pierre de Meuron erläutert den Gewinn für die Stadt- und Raumplanung mit Blick auf die verschiedenen ­ Massstabsebenen und die gesellschaftlichen Dimensionen.

Publikationsdatum
13-07-2017
Revision
03-03-2019

TEC21: Herr de Meuron, Sie engagieren sich sehr für die trinationale S-Bahn. Warum ist dieses Projekt so wichtig?
Pierre de Meuron: Das Projekt birgt beträchtliche Potenziale, nicht nur aus verkehrstechnischer Sicht, sondern besonders auch für die Stadt- und ­Raumentwicklung. Um diese zu erschliessen, müssen wir verschiedene Massstabsebenen in die Betrachtung einbeziehen. Unser Ansatz ist ein territorialer, d. h., wir betrachten das Territorium mit den drei Elementen – Landschaft, Siedlung und Infrastruktur – aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Wir haben die gesellschaftliche Dimension, das betrifft etwa Fragen der Mobilität und Siedlungsentwicklung, aber auch die wirtschaftlichen Themen. Basel als einer der wichtigen, dynamischen und erfolgreichen Wirtschaftsstandorte in der Schweiz braucht eine effi­ziente und leistungsfähige Infrastruktur. Es ist also nicht nur ein regionales Thema, es hat eine nationale Bedeutung – und dadurch auch eine internationale.

TEC21: Warum ist das Projekt bedeutend für die Schweiz?
Pierre de Meuron: Wenn Basel erfolgreich ist und dynamisch bleibt, unterstützt das die gesamte Schweizer ­Wirtschaft. Effiziente Infrastrukturen fördern das Zusammenwachsen der Region, die Wirtschaft im Metropolitanraum wird so insgesamt noch schlagkräftiger. Davon profitiert das ganze Land. Doch ­ es gilt, nicht nur den regionalen Verkehr zu betrachten, sondern auch den Güter- und Fernverkehr. International gesehen ist die Schweiz bedeutend für die Nord-Süd-Verbindung von Kopenhagen, Hamburg, Frankfurt durch die Alpen in Richtung Italien – ­Basel spielt hier eine Schlüsselrolle.

TEC21: Welche Funktion hat der Verkehrsknoten Basel in der europäischen Verkehrs- und Güterinfrastruktur?
Pierre de Meuron: Eine wichtige – in der Region Basel kommt infrastruk­turell sehr viel zusammen. Wir müssen die verschiedenen Verkehrsströme, regional und international, sowie den Güterverkehr aufeinander abstimmen. Basel, früher das «goldene Tor zur Schweiz», ist heute noch immer einer der Haupteingangs- bzw. -ausgangsorte für den Import respektive den Export. Zudem lagern hier in Basel die Not­vorräte, etwa an Getreide oder Mineral­öl, über die für einige Monate der gesamtschweize­rische Bedarf abgedeckt werden kann. Aus meiner Sicht wird in der Schweiz zu wenig wahrgenommen, welche Bedeutung Basel hat.

TEC21: Wie wird das S-Bahn-Projekt die Entwicklung der Metropolitanregion Basel beeinflussen?
Pierre de Meuron: Dazu ist es wichtig zu verstehen, wie sich Siedlungen entwickeln und wo Entwicklungspoten­ziale zu finden sind. Die Öffnung nach Norden am Rheinknie prägt die geografische und topografische Lage von Basel. Dieser Ort ist von der Bronzezeit bis zum Mittelalter durch verschiedene Bedürfnisse der Gemeinschaft immer wieder als Zentrum be­stätigt worden. Jede Stadt hat andere Energien und entwickelt ihre eigene Identität. Basel eben durch die Krümmung ­des Rheins – und gleichzeitig durch die Zuflüsse aus den Tälern. Durch diese Seitenarme haben sich die Siedlungsgebiete als Talschaften ausgedehnt. Vor diesem Hintergrund betrachten wir die Überlegungen zur Siedlungsentwicklung und Mobilität im Zusammenhang, um die Beziehung zum Zentrum zu stärken und das Wachstum entlang dieser Siedlungsachsen zu steuern.

TEC21: Die Aufgabe war, ein im Ansatz vorhandenes S-Bahn-System zu vervollständigen. Wie sind Sie vorgegangen, um ein Konzept zu finden, das die bestehende Situation verbessert und den verschiedenen Ansprüchen gerecht wird?
Pierre de Meuron: Es fehlt bislang ein wichtiges Teilstück. Und nun geht es um die Frage, wie das bestehende S-Bahn-System mit diesem Teilstück in all dem, was schon da ist, topografisch und im Hinblick auf die bestehenden Siedlungs- und Infrastrukturen, ver­bessert werden soll. Wir haben hierzu eine Methode entwickelt und verschiedene Varianten analysiert, weil es sehr viele Dimensionen zu berücksichtigen und viele Akteure zu verstehen und miteinzubeziehen gilt, damit wir am Schluss die Lösung finden, die am besten nachzuvollziehen ist. Den Weg der Entscheidung dazu wollten wir offen­legen und transparent machen.

TEC21: Das jetzige System gilt als nicht mehr zeitgemäss. Wo liegen die Probleme?
Pierre de Meuron: Im Moment haben wir ein halb fertiges S-Bahn-System in Basel. Es ist wie ein Gewölbe, das seinen Schlussstein braucht, damit es tragfähig wird. Basel als eine der drei grossen Metropolitanregionen in der Schweiz braucht diesen Schlussstein, dieses kleine Stück, das so viel bewegt. Es gibt Bahninfrastrukturen entlang des Rheins und in den Tälern, allerdings nicht in allen. Diese Infrastrukturen sind jedoch nicht miteinander verbunden. Die beiden Bahnhöfe Bahnhof SBB und Badischer Bahnhof sind bahntechnisch Sackbahnhöfe, obwohl sie eigentlich als Durchgangsbahnhöfe fungieren – das ist ein grosser Widerspruch, eine Unlogik im System.

TEC21: Und es behindert gleichzeitig die Vernetzung und Entwicklung der Region als Ganzes.
Pierre de Meuron: Genau. Es gilt, diese Sackbahnhof-Realität zu verbessern und diese S-Bahn-Linien durchzubinden. Das ist die Voraussetzung für ein effizientes S-Bahn-System im Metropolitanraum Basel. Und die Verbindung der beiden Bahnhöfe muss durchs Zentrum führen. Das ist städtebaulich wichtig. Das his­torische Zentrum muss erschlossen werden, sonst blutet es aus. Die Leute aus dem Metropolitanraum müssen mit der S-Bahn direkt in die Stadtmitte kommen. Das ist nicht nur eine physische, sondern auch eine mentale Verbindung zum Zentrum – und es verbindet die Region.

TEC21: Es geht also um eine physische und mentale Verbindung, aber letztendlich auch darum, dass die ­Siedlungsachsen entlang der Talschaften gestärkt werden, wenn die Stadt und Region wachsen?
Pierre de Meuron: Das ist das grosse raumplanerische Thema. Wenn wir aufzeigen wollen, was passieren soll – oder eben nicht –, brauchen wir als Gemeinschaft gemeinsame Wertvorstellungen. In der Schweiz haben ­wir ein interessantes rechtliches Instrument: das Bundes­gesetz für Raumplanung, das Gesetz, wie sich die Raumplanung zukünftig darstellen soll. Wir haben mit unserem Konzept eins zu eins versucht, dies ins Basler Territorium zu übersetzen.
Die Siedlungen in den Tälern sollen entlang dieser Hauptachsen wachsen, die mit dem öffentlichen Verkehr erschlossen sind. Wir wollen so die Entwicklung nach innen lenken – und nicht mehr endlos in die Landschaft. Die Landschaft müssen wir schützen. Dann müssen wir die räumlichen Voraussetzungen für die Wirtschaft berücksichtigen. Eine Stadt muss auch solche Flächen zur Verfügung stellen, gut erschlossen, idealerweise durch öffentliche Verkehrsmittel.

TEC21: Wie wurden die Haltepunkte in der Stadt eruiert?
Pierre de Meuron: Wir haben auf Massstabsebene der Stadt Basel untersucht, wo welche Aktivitäten stattfinden – wohnen, arbeiten, einkaufen, sich erholen, sich bilden. Die Analyse zeigt, wie dicht diese Aktivitäten in Basels Zentrum sind. Es ist multifunktional und nicht monofunktional, das macht seine Qualität aus. Dann haben wir eruiert, welche Perimeter bislang nicht durch das S-Bahn-System erschlossen werden, diese haben wir als «Funklöcher» bezeichnet. Wir wollten mit der Verbindungslinie möglichst viele davon anfahren. Damit schaffen wir es, die S-Bahn nicht nur direkt ins Zentrum zu bringen, sondern auch Basel Nord mit dem wichtigen Entwicklungs­gebiet Klybeck direkten S-Bahn-Anschluss zu geben. Das wird für die zukünftigen Stadtquartiere im Basler Norden ein wichtiger Impuls sein.

TEC21: Wie bewerten Sie die städtebaulichen Potenziale der geplanten Ausstiegspunkte im Zentrum?
Pierre de Meuron: Verschiedene Orte im Zentrum erhalten eine neue Bestimmung. Die Hauptpost wäre ein idealer Ort, um anzukommen, sie bekäme ein neues Leben. Dieser Post-Standort steht ja aktuell zur Diskussion. Wenn die Post nicht mehr so wichtig ist, dass sie physisch im Zentrum von Basel präsent sein muss, könnte sie Platz machen für etwas Neues. Auch der Spiegelhof ist jetzt nicht sehr überzeugend, er ist kaum belebt. Mit dem Ausstieg könnte dieser Ort eine neue Wertigkeit erhalten – einfach indem wir die bestehenden baulichen Gegebenheiten ausnutzen, ohne Tabula rasa zu machen. Er erschliesst direkt das Universitätsspital und die Universität, die somit auch eine Verankerung in der Stadt erleben.

TEC21: Und der dritte Haltepunkt führt direkt an den zentralen Ort am Basler Rheinknie, die Schifflände.
Pierre de Meuron: Hier wollen sehr viele Leute hin, um sich ­ zu erholen. Der Rhein hat sich zu einem der interessantesten, lebendigsten und aktivsten öffentlichen Räume in Basel entwickelt. Als Angelpunkt zwischen Gross- und Kleinbasel ist dieser Punkt von besonderer Bedeutung. Man kommt hier genau am Ort an, der die Ursprünge der Stadt definiert.

TEC21: Was bedeutet der Ausbau des «Herzstücks» für den Bahnhof SBB?
Pierre de Meuron: Als wir im Team erkannt haben, dass wir sowohl mit dem Badischen Bahnhof als auch mit dem Bahnhof SBB oberirdisch bleiben können, war das ein grosser Durchbruch. Der Bahnhof SBB ist im heutigen Zustand unbefriedigend. Er hat, geschichtlich bedingt, eine schwierige Lage. Es gibt keinen direkten Weg in die historische Kernstadt. Das ist anders als in Zürich oder Luzern, die direkten Anschluss ans Zentrum haben. Auch die Erschliessung ist unbefriedigend. Jetzt wird das in einem ersten Schritt nach Süden verbessert mit dem Meret-Oppenheim-Platz und dem Hochhaus. Damit wird der Bahnhof zweiseitig und erhält eine Anbindung an das Gundeldinger Quartier. Mit dem «Herzstück» erhält er einen neuen Zugang im Westen im Bereich der Margarethen­brücke, also ein drittes Gesicht.

TEC21: Wie wird sich dieser Ort um den Bahnhof verändern?
Pierre de Meuron: Die Margarethenbrücke soll erweitert werden und einen platzartigen Charakter bekommen, in einer ähnlichen Grösse wie der Centralbahnplatz. Über den Margarethenplatz werden die Perrons direkt erschlossen. Der Bahnhof erhält so im Westen ein neues Portal. Damit eröffnet sich die grosse Chance, diesen Ort über die Innere Margarethen­strasse an die Kernstadt anzubinden sowie das Leimental über die Äussere Margarethenstrasse und den Margarethenstich. Auch die Verknüpfung vom Gundeldinger Quartier in die Innenstadt würde gestärkt. Bahninfrastrukturen sind oft trennend, wenn sie oberirdisch sind, hier gibt es nun eine neue, verbindende dritte Seite über den Margarethenplatz. Da wird es zukünftig auch ums Verdichten gehen. Ein Verkehrsknotenpunkt wie dieser wäre sicher ein guter Ort, um zu verdichten.

TEC21: Die Verflechtungen mit der Stadt- und Raumentwick­lung sind eklatant. Es scheint ja fast stärker ein städtebauliches, raumplanerisches Projekt zu sein als ein verkehrliches.
Pierre de Meuron: Das ist genau der Punkt, der uns beschäftigt. Seit der Boom in der westlichen Welt stattfindet, wurde die Stadtentwicklung hauptsächlich vom infrastrukturellen Denken her bestimmt – und viel zu wenig vom raumplanerischen, territorialen Denken. Es ist höchste Zeit, dass dies nicht nur eine Aufgabe der Infrastruktur und der Ingenieurssicht ist, ­sondern das Territorium, das Raumplanerische muss auch eine tragende Rolle spielen. Das ist unser Beitrag.

TEC21: Also ein interdisziplinäres Projekt?
Pierre de Meuron: Ja, wir brauchen alle Sichten. Selbstverständlich braucht es die Ingenieure und das Bundesamt ­ für Verkehr. Aber wir brauchen auch die raumplanerische und städtebauliche Sicht. In diesem Fall berücksichtigt die Infrastrukturplanung die städtebaulichen Bedürfnisse, das hat Modellcharakter. Wenn wir uns mit Wachstum auseinandersetzen, müssen wir uns fragen: Was heisst das für das Gebaute? Beim Gebauten geht es um die Quartiere, die Städte und die Infrastrukturen – es muss alles miteinander koordiniert werden. Und wir müssen auch alle anderen Dimensionen miteinbeziehen, etwa das Gesellschaftliche oder Politische. Wir sind für ein vernetztes, mehrdimensionales Denken.

TEC21: Wenn wir über die gesellschaftlichen und politischen Dimensionen sprechen, bedeutet das auch, all diese vielfältigen Inhalte und Potenziale zu vermitteln. Was erachten Sie hier als wesentlich?
Pierre de Meuron: Man muss kommunizieren bei einem derart wichtigen Thema. Es geht um grosse Investitionen, wir müssen also erklären, weshalb das sinnvoll ist. Es war uns ein Anliegen, plausibel aufzuzeigen, wie wir zu einer Lösung kommen und weshalb sie besser ist als andere Ansätze. Das wollten wir auch bildlich zeigen, um die Menschen anzusprechen. So haben wir etwa mit einem Linienplan gezeigt, wie das ideale Stadtnetz funktionieren sollte und was das für die einzelnen Haltpunkte bedeutet – so als wäre es schon gebaut. Letztendlich geht es um essenzielle gesellschaftliche Fragen, die bislang zu wenig thematisiert werden: Welche urbane Zukunft wollen wir, und wie soll unser Umfeld gestaltet werden? Was wollen wir uns leisten? Das müssen wir zur Diskussion stellen.

Herzog & de Meuron analysierten für den Synthesebericht die raumplanerischen Anforderungen sowie ­Stadtentwicklungs- und Stadtgestaltungsaspekte (vgl. «Herzstück aufgegleist»).
Zusätzliche Informationen zum «Herzstück» und zur trinationalen S-Bahn Basel unter www.espazium.ch/herzstueck und www.trireno.org
Mehr zum Thema im E-Dossier Basel.

 

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