Wie das Kol­lek­tiv zur Col­la­ge kommt: Ta­tia­na Bil­bao Estu­dio

«Architektur für die Gemeinschaft» heisst das Thema der derzeitigen Ausstellung im Museum für Gestaltung Zürich. Die Zielsetzung der mexikanischen Architektin Tatiana Bilbao manifestiert sich auch in den gewählten Darstellungsformen: Handzeichnungen und Collagen.

Publikationsdatum
12-03-2024

Wir alle seien Architektinnen und Architekten. Räume zu schaffen sei ein kollektiver Akt, erklären Tatiana Bilbao und ihr Team im Video zu Beginn der Ausstellung im Toni-Areal. Ausgehend vom gemeinsamen Denken und der gemeinschaftlichen entwerferischen Arbeit bis hin zur Konstruktion und zur Nutzung, die ebenfalls der Gemeinschaft verpflichtet sei, spiele das Kollektive in jeder Phase und in allen Massstäben ihres Bauens eine Rolle.

In deutscher Übersetzung klingt die mexikanische Architektin so: «Architektur handelt nicht nur vom Konstruieren von Bauwerken, Architektur dreht sich um das Schaffen von Gemeinschaft.»

Kollektive Autorschaft

Tatiana Bilbao glaubt, dass Architektur auf breiter Ebene wirken und deshalb von vielen verschiedenen Menschen gedacht und konzipiert werden müsse. Alle sollen an der Architektur beteiligt sein: Soziologen, Philosophinnen, Politiker, Wirtschaftswissenschaftlerinnen, Designer, Architektinnen und viele mehr. Eine Architektur also von der und für die Gemeinschaft.

Kuratorin Karin Gimmi zeigt mit dieser Schau nicht nur die kollektiven Kräfte der Architektur, sie nimmt auch Abschied nach über zehn Jahren Tätigkeit am Museum für Gestaltung Zürich, dem sie nach ihrer Pensionierung weiterhin verbunden bleiben wird. Im Gespräch schildert sie ihre Eindrücke von der Recherche in Mexiko, wo viele der Bauten des Tatiana Bilbao Estudio (TBE) stehen.

→ Lesen Sie auch das Interview mit Kuratorin Karin Gimmi: «Bewegung ist für die Erfahrung von Architektur zentral»

Das 2004 in Mexico City gegründete Büro ist unterdessen weltweit bekannt und auf mehreren Kontinenten tätig. Im deutschen Neuzelle beispielsweise ist es auf einem ehemaligen Stasi-Gelände seit 2017 an der Entwicklung eines Klosters für das 21. Jahrhundert beteiligt, zusammen mit dem Brüsseler Büro Dogma und dem von ETH-Professorin Anna Puigjaner mitgegründeten Büro MAIO aus Barcelona. Es wird seit dem Mittelalter der erste Bau eines Zisterzienserklosters in Brandenburg sein. Glockengeläut und gesungene Gebete dringen aus einem seitlichen Nischenraum in den Ausstellungssaal und untermalen die Stimmen des Videos am Anfang der Schau.

Für Arm und Reich

Die Idee der kollektiven Autorschaft spiegelt sich in den Arbeiten des Tatiana Bilbao Estudio unter anderem in der Darstellungsform der Collage. Spielerisch und farbenfroh lassen die hier gezeigten Architekturzeichnungen viel Platz für die individuelle Vorstellungskraft.

Der Collage ist auch die Szenografie verpflichtet: Architektur präsentiert sich hier als offenes System, auf das jede und jeder einwirken darf. Die multimedialen, vielfarbigen und oft dreidimensionalen Zeichnungen zeigen imaginierte wie realisierte Projekte. Es sind Gebäude für private und öffentliche Nutzungen und für sehr unterschiedliche Auftraggebende, die alle dasselbe Verlangen nach einem gemeinschaftlichen Leben in sich tragen.

Einige Wohnhäuser des TBE sind Ferienresidenzen der mexikanischen Elite, andere sind Unterkünfte für die Ärmsten. Die Ausstellung im Toni-Areal streift die erfinderischen Kleinstbauten und wunderschönen Villen in spektakulären Landschaften nur am Rand. Sie legt ihr Hauptgewicht auf städtische Infrastrukturen: ein Botanischer Garten, ein Pilgerweg, ein Meeresforschungszentrum, ein Universitätscampus, ein amerikanisches Wohnquartier und Sozialwohnungsbauten in Frankreich und Mexiko.

Collagierte Objekte

An den Wänden des grossen Ausstellungsraums hängt ausser einem Dutzend gerahmter Collagen nichts: Stattdessen stehen Fotografien in verschiedenen Grössen entlang der Länge des Raums auf dem Fussboden, als ob sie darauf warteten, weggetragen und neu angeordnet zu werden. Pläne und Zeichnungen, Mauer-, Fenster- und Treppenteile hängen in ständiger Drehbewegung von der Decke , wie wenn sie sich einander annähern wollten.

Der einfühlsame Umgang mit den Ausstellungsobjekten spiegelt und untermalt die Themen des kollektiven Handelns in der Architektur. Das Sorge-Tragen, dem Tatiana Bilbao ihre Architektur verpflichtet sieht, geht weit über ein schützendes Dach hinaus: Es geht um die architektonische Formgebung als «vital care», wie sie es nennt: als Nähren und Inspirieren des Lebens.

Die Ausstellung «Tatiana Bilbao Estudio – Architektur für die Gemeinschaft» ist noch bis zum 2. Juni 2024 im Museum für Gestaltung Zürich auf dem Toni-Areal zu sehen.

 

Veranstaltungshinweis

21. März 2024: Together, Karin Gimmi, Kuratorin der Ausstellung, im Gespräch mit Tatiana Bilbao, Gründerin von Tatiana Bilbao Estudio, und Anna Puigjaner, Professorin für Architektur und Care, ETH Zürich, (mit Anmeldung)

Verwandte Beiträge