«Am­bi­tio­nier­te Zie­le ma­chen krea­tiv»

Die Immobilienentwickler Senn haben die Initialzündung zur Entwicklung des Kennwertesystems gegeben und waren die Ersten, die das Tool in der Projektplanung einsetzten. Wir haben mit Sandro Infanger, Projektleiter Nachhaltigkeit der Senn Gruppe, über den Mehrwert von Natur für die Arealentwicklung und seine bisherigen Erfahrungen mit dem Kennwertesystem «Biodiversität&Immobilien» gesprochen.

Publikationsdatum
19-05-2023

TEC21: Herr Infanger, welche Bedeutung hat die Biodiversität für Senn?

Sandro Infanger: Die Biodiversität hat einen hohen Stellenwert, wie die ganze Nachhaltigkeit. Vor zwei Jahren haben wir eine «Landkarte der Nachhaltigkeit» mit Zielen in den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Ökologie erarbeitet, an der wir uns bei allen Projekten orientieren. Unser Ziel ist es, dass jedes Grundstück nach der Entwicklung mehr bietet als vorher. Wir wollen einem Ort mehr zurückgeben, als wir ihm nehmen. Das gilt insbesondere auch für die Natur.

Welche konkreten Projektvorgaben gibt sich Senn in Sachen Ökologie?

Netto null im Betrieb und Emissions-Zielwerte pro Quadratmeter für den Bau sowie Zielvorgaben für die Biodiversität. Wir geben den Planerteams von Anfang an einen Flächenzielwert und einen Punktezielwert für die Qualitäts­indikatoren vor, die das Projekt erreichen soll. Wir arbeiten zwar eher mit Direktaufträgen, aber das könnte problemlos auch in den Anforderungskatalog eines Wettbewerbs oder Studienverfahrens aufgenommen werden. Die Kennwerte konkretisieren also unsere Ziele, sodass sie in die Planung einfliessen können.

Welches war das erste Projekt, bei dem Sie die Kennwerte anwendeten, was waren die Erkenntnisse und Erfahrungen?

Die ersten Projekte waren Hortus in Allschwil sowie das Entwicklungs­areal Zena in Affoltern am Albis, wobei sich das Kennwertesystem fortlaufend weiterentwickelte. Eine zentrale Erkenntnis für uns war, dass man schon in einer sehr frühen Planungsphase grundlegende Entscheide zur Biodiversität fällen muss. Platz für grosse Bäume, wilde Hecken oder den Erhalt von bestehenden Naturwerten muss man rechtzeitig einplanen. Früher haben wir uns erst viel später im Projekt Gedanken zur Bepflanzung gemacht, dann war man aber in vielen Bereichen schon vor vollendete Tatsachen gestellt.

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Welchen Mehrwert bringt die Anwendung des Kennwertesystems aus der Perspektive der Planung und Areal­entwicklung?

Man erkennt sehr schnell, wo ein Projekt hinsichtlich Biodiversität noch Lücken aufweist und kann so vorsorgen, dass nicht nur genügend Fläche, sondern auch Vielfalt entsteht. Dadurch kann man fundiertere Entscheide treffen. Hinzu kommt, dass wir ja auch nicht alle Fachpersonen sind, was die Bio­diversität angeht. Hier dient das Kennwertesystem auch als Leitfaden, um
an alle wichtigen Aspekte zu denken, etwa an Vernetzungskorridore mit der Umgebung. Die Biodiversität wird dadurch planbar und konkret.

Hatte die Arbeit mit den Kennwerten auch schon konkrete Veränderungen am Projekt zur Folge?

Ja, schon nur die Analyse des BFF verändert ein Projekt. Wir haben beispielsweise auch bei früheren Projekten schon darüber diskutiert, wie hoch das Bodensubstrat über einer Tiefgarage sein sollte. Mit der Analyse des BFF haben wir dann aber eine angedachte Unterbauung ganz infrage gestellt. Natürlich spielten noch viele andere Überlegungen in den schlussendlichen Entscheid hinein, aber die Kennwerte waren bei der Abwägung und internen Diskussion sehr hilfreich.

Was, wenn Sie Ihre Zielwerte nicht ­erreichen?

Aus der Projekterfahrung kann ich sagen: Ambitionierte Ziele machen kreativ. Wenn wir bei einem Projekt unseren Zielwert nicht erreichen, schauen wir alle Optionen nochmal an: Können wir die Fassade begrünen, einen Baum mehr pflanzen, das Dach intensiv statt extensiv begrünen? Plötzlich liegt der Fokus darauf, wie man das Ziel erreicht, statt auf der Frage, ob man etwas machen soll.

Wie argumentieren Sie bei Interessenkonflikten zwischen Biodiversität und anderen Nutzungen?

Manchmal bedeutet mehr Biodiversität tatsächlich einen Einschnitt in andere Flächennutzungen, aber man darf nicht vergessen, dass Grün und Biodiversität auch für die Menschen, die dort wohnen, von Vorteil ist. Vogelgezwitscher macht glücklich, eine naturnahe Umgebung ist erholsam und auch das Mikroklima in einer begrünten Wohnumgebung ist nach­weislich komfortabler. Wir schaffen mit mehr Biodiversität also in allen ­Dimensionen der Nachhaltigkeit einen Mehrwert.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 16/2023 «Geplante Vielfalt».

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