«Als be­grüs­sens­wer­te Ne­ben­er­schei­nung wird un­ter­neh­me­ri­sches Den­ken ge­för­dert»

Der Rückzug der Honorarkalkulationshilfen stellt die Branche vor Herausforderungen. Daniela Ziswiler, Leiterin Ordnungen des SIA, verweist indessen auch auf die Chance, neue Kompetenzen zu entwickeln.

Publikationsdatum
28-03-2019

TEC21: Frau Ziswiler, was macht die LHO beim SIA zum Jahresthema?
Daniela Ziswiler
: Nachdem die Weko im Herbst 2017 dem SIA mitgeteilt hat, sie habe Vorabklärungen zur Kartellrechtskonfor­mität der LHO eingeleitet, hat der SIA reagiert. Im Zentrum der Kritik stand die Honorarberechnung nach den Baukosten. Unser Ziel war, die restlichen 95 % der LHO zu schützen. Im November 2018 haben wir die Bestimmungen zur Honorarberechnung zeitweilig von den LHO gelöst und als separate Kalkulationshilfen publiziert. Diese sind als Übergangslösung bis Ende 2019 von der Weko genehmigt.

Weshalb sollen diese Kalkulationshilfen nun wieder zurückgezogen werden?
Gemäss zahlreichen Rückmeldungen aus der Branche erwiesen sich die Kalkulations­hilfen mit den Quantilen als zu mathematisch und unverständlich. Diese Umstände führten zu Schwierigkeiten in der Anwendung. Da aufgrund der Weko-Vorgaben die Kalkulationshilfen ohnehin nur bis Ende 2019 Bestand haben dürfen, hat sich der SIA zu einem vorzeitigen Rückzug entschlossen. Parallel werden die Ordnungen SIA 102, 103, 105 und 108 mit den kartellrechtlich konformen Artikeln 1 bis 6 aber wieder publiziert.

Wie nimmt sich der SIA grundsätzlich dem designierten Jahresthema an?
Wir sind uns natürlich dessen bewusst, dass in der kurzen Zeit bis Anfang 2020 keine umfassende neue Lösung entstehen kann. Deshalb hat der SIA-Vorstand eine Expertengruppe eingesetzt, die die Federführung bei der Festlegung des weiteren Vorgehens hat. Die Gruppe setzt sich zusammen aus Vertretern des SIA-Vorstands und der Geschäftsstelle, einem Statis­tiker von der ZHAW, Vertretern der Planungsbranche sowie dem Präsidenten und Mitgliedern der Zentralkommission für Ordnungen (SIA 102, 103, 105 und 108). Damit ist sichergestellt, dass eine Vielfalt an Disziplinen in dieser Gruppe vertreten ist.

Womit beschäftigt sich diese Expertengruppe aktuell?
Es laufen verschiedene Projekte, die konzeptionell in die Überarbeitung der LHO einfliessen werden. Zum einen gehen wir der Frage nach, welche Projektkennwerte überhaupt Einfluss auf das Honorar haben. Das bekannte Honorarberechnungsmodell ist ja ein stark vereinfachtes Tool,das die Baukosten als alleinige Bezugsgrösse aufweist. Nun untersuchen wir, welche weiteren quantitativen und qualitativen Einflussfaktoren massgebend sind. Zum anderen beschäftigen wir uns mit der gängigen Praxis im Ausland. Wir haben uns in neun weiteren Ländern informiert, wie dort die Honorare ermittelt und vereinbart werden. Dabei haben wir festgestellt, dass gewisse Länder (z. B. Deutschland, Österreich, Italien) ebenfalls baukostenbezogene Kalkulationshilfen anwenden, viele hingegen keine konkreten ­Kalkulationshilfen kennen oder zurückge­zogen haben (z. B. Spanien, Frankreich, Finnland, Norwegen) – die Honorare also ver­handeln – und einzelne (z. B. Norwegen, Finnland) auf Benchmarks zurückgreifen.

Was lässt sich bereits zu den qualitativen und quantitativen Einflussfaktoren sagen?
Wir haben festgestellt, dass einerseits quantitative Grössen wie Kosten- oder Flächenkennwerte, andererseits aber auch qualitative Grös­sen wie die Pro­jektorganisation, das politische Umfeld oder der Zeitfaktor massgebend für den Planungsaufwand sind. Diese Grössen wurden im bekannten Modell bislang kaum oder gar nicht be­rücksichtigt, spielen aber eine bedeutende Rolle.

Wie sieht der weitere Fahrplan zur Überarbeitung der LHO aus?
Die Informationen aus den laufenden Arbeiten fliessen bei der Expertengruppe zusammen. Bis Ende 2019 findet eine Synthese der Ergebnisse statt. Ende 2019 wird die Expertengruppe bezüglich des weiteren Vorgehens in­­­­­formieren. Wir sind uns ­bewusst, dass, wenn wir eine neue Hilfe­stellung zu den Honorarkosten entwickeln, für zwei bis drei Jahre ein Vakuum entstehen wird. Die Honorarberechnung ist jedoch nur ein Teil der LHO. Parallel dazu werden auch die Leistungsbeschriebe überprüft. Um sicherzustellen, dass das SIA-Normenwerk dem aktuellen Stand entspricht, werden die Normen und Ordnungen periodisch (mindestens alle fünf Jahre) durch die verantwortlichen Kommissionen überprüft. Die Ordnungen SIA 102, 103, 105 und 108 sowie die beiden Modelle SIA 111 und 112 wurden 2014 publiziert. Aktuell setzen sich die verantwortlichen Kommissionen mit dem möglichen Revisionsbedarf auseinander.

Das heisst also, es wird für längere Zeit keine Kalkulationshilfe zur Verfügung stehen?
Ja. Es wird eine gewisse Zeit geben, in der der SIA seinen Mitgliedern keine Hilfestellung zur Honorarberechnung im Sinn von Kalkulationshilfen bieten kann. Dabei ist aber auch wichtig zu sagen, dass die Artikel 1 bis 6 der ab 1. Mai 2019 publizierten Ordnungen dennoch Gültigkeit haben werden.

Wurde eine Schulung der Mit­glieder und Beibehaltung der Übergangslösung bis Ende 2019 in Betracht gezogen?
Bevor wir uns zum Rückzug der Kalkulationshilfen entschieden haben, haben wir geprüft, ob aufgrund der gemeldeten Anwendungsschwierigkeiten eine Schulung unserer Mitglieder angezeigt wäre. Wie wir aus Erfahrung wissen, dauert die Wahrnehmungsfrist – also die Zeitspanne zwischen Publikation einer neuen Norm oder Ordnung und deren Wahrnehmung in der Branche – mehrere Jahre. Für die besagten Kalkulationshilfen hat uns die Weko aber lediglich eine vergleichsweise kurze Übergangsfrist zugestanden. ­Wir sind daher zum Schluss gekommen, dass eine Schulung zum Verständnis der Quantile nicht verhältnismässig ist. Und wir werden zeitnah ein Video veröffentlichen, das die Geschichte zur aktuellen Lage erläutert.

Welche Veränderungen gegenüber den aktuellen LHO sind aufgrund der Überarbeitungen zu erwarten?
Wie bereits angesprochen, scheint das bekannte Honorarberechnungsmodell zu stark auf die Baukosten reduziert. Dies ist nicht zuletzt dem Umstand geschuldet, dass sich in der Vergangenheit die die Beschaffung der Modellgrundlagen sehr aufwendig gestaltete. Ein solch vereinfachtes Modell kann zwar in frühen Projektphasen gewisse Vorteile mit sich bringen, vermag aber die jewei­ligen Projekteigenheiten nur unzureichend abzubilden. So gab es schon länger Kritik, dass verschiedene Umstände, wie zum Beispiel Innovationsleistungen, die Optimierung der Gebäudeunterhaltskosten oder die Art des Auftraggebers, nicht berücksichtigt werden können. Die Weko wäre grundsätzlich einer Formel gegenüber nicht abgeneigt. Entscheidend sind aber eine robuste Datengrundlage und die Repräsentativität. Beides hat der SIA in den vergangenen 14 Jahren nicht erreicht. Deshalb werden aktuell innerhalb der Expertengruppe Alternativen diskutiert.

Wie könnten solche Alternativen aussehen?
Eine mögliche Alternative besteht im Aufbau einer Referenzdatenbank. Die zuvor erwähnte Benchmarking-Praxis aus dem Ausland geht in diese Richtung.

Wie darf man sich eine solche Referenzdatenbank vorstellen?
In einer Referenzdatenbank können gebaute Projekte mit zugehörigen Projektkennwerten und Klassifizierungsmerkmalen erfasst und aufbereitet werden. So wird eine Basis geschaffen, die es erlaubt, das eigene Projekt – beispielsweise zwecks Aufwandschätzung – mit ähnlichen Pro­jekten zu vergleichen, zu interpretieren und eine eigene Schätzung zu verifizieren. Die Art der In­formationen, die eine solche Datenbank liefern soll, ist indes noch offen.

Wie werden die hierfür erforder­lichen Daten generiert?
In einem ersten Schritt ist es wichtig, die zuvor angesprochenen, honorarrelevanten Projektkennwerte zu identifizieren, um diese in einem zweiten Schritt aus einem möglichst umfassenden Datensatz an Projekten mittels Kategorisierung zu ermitteln. Aus Sicht des SIA gilt es hierbei, möglichst viele Mitglieder und strategische Partner wie beispielsweise KBOB und CRB zur Sammlung und zum Teilen von Referenzdaten zu aktivieren.

Welche Rolle spielt dabei die Digitalisierung?
Einerseits werden sich Planungsprozesse aufgrund der Digitalisierung verändern. ­An­dererseits erhoffen wir uns aber auch gerade in Hinblick auf eine solche Referenzdatenbank, dass künftig der Transfer von Kenn­werten aus den Projekten in die Datenbank erleichtert wird.

Wie werden die Auswirkungen der Digitalisierung auf den ­Planungsprozess künftig in den LHO berücksichtigt?
Die LHO haben sich traditionell dem Einzelleistungsnehmermodell verpflichtet. Mit der Digitalisierung werden sich auch Projektorganisationsmodelle verändern. Auch wenn das Ergebnis zurzeit noch offen ist, laufen Überlegungen zur leistungsbezogenen Abstimmung der einzelnen LHO untereinander. Das heisst, dass die einzelnen LHO miteinander abgeglichen und mit Blick auf einen Gesamtplanungsaspekt auf Lücken oder Redundanzen überprüft werden. So sollen die Leistungsbeschriebe der einzelnen Disziplinen integral zusammen­geführt werden. Die Chance dabei ist, mit einem modularen und offen bespielbaren Leistungskatalog auf unterschiedliche Projektorga­ni­sationsmodelle eingehen und so auch den Veränderungen der Digitalisierung auf organisatorischer Ebene begegnen zu können.

Wie wird sich die Übergangsfrist bis zur Publikation von überarbeiteten LHO gestalten?
Zunächst wird der SIA-Vorstand der Delegiertenver­samm­lung am 12. April 2019 beantragen,  die Artikel 1 bis 6 der SIA 102, 103, 105 und 108 wieder ordentlich zu publizieren. Das bedeutet, dass die Mitglieder ab dem 1. Mai 2019 wieder auf eine bewährte und wettbewerbsrechtlich konforme LHO zurückgreifen können. Es läuft also darauf hinaus, dass der SIA als gesamtschweizerischer Verband einzig keine Vorgaben bezüglich eines Stundenaufwandmodells mehr machen wird. Für die Revision der gesamten LHO werden die Kommissionen noch weitere Zeit benötigen.

Wie wird sich die Planungs­branche nach dem Rückzug der Kalkula­tionshilfen bis zur Publikation einer neuen, lang­fristigen Lösung verhalten?
Folge des Rückzugs wird sein, dass sich unsere Mitglieder vermehrt auf ihre eigenen Erfahrungswerte besinnen werden. Als begrüssenswerte Nebenerscheinung wird dadurch das unternehmerische Denken ge­fördert. Letztendlich passt das auch gut zur Idee eines Referenzdatenmodells, das den Planenden eigentlich bloss zusätzliche, statistische Ergänzungsinforma­tionen zur Aufwandab­schätz­ung liefert und so deren Verifizierung ermöglicht.

Wie verhält es sich mit der Anwendung des bisherigen Honorarberechnungsmodells?
Aus Sicht der Weko stellt es sich so dar, dass den Auftrag­gebern keine Vorgaben gemacht werden können und diese sich nach wie vor auf das Honorar­berechnungsmodell der LHO aus dem Jahr 2014 berufen und dies sogar vertraglich vereinbaren dürfen. Es wird aber nicht mehr möglich sein, dass Auftragnehmende unter Berufung auf die LHO dieses Modell einfordern.

Mit welchen Herausforderungen ist aus Ihrer Sicht dieser Schritt der Büros in die Eigenverantwortung verbunden?
Für Büros, die ohnehin laufend Nachkalkulationen zu ihren Projekten durchführen und sich dadurch bewusst sind, wie viel Aufwand und interne Kosten ein gegebenes Projekt mit sich bringt, sollten keine grösseren Herausforderungen zu erwarten sein. In diesem Fall spielt es gar keine Rolle, ob eine Formel zur Verfügung steht oder nicht. Der Rückzug der Formel kann auch eine Chance zur Vereinfachung bei der Aufwandschätzung werden. Wichtig ist, dass ein Büro sich den aufwandtreibenden Faktoren in einem Projekt bewusst ist.
Die Planer müssen lernen, eigenverantwortlich zu verhandeln und für ihren Leistungsaufwand zu argumentieren. Ein Büro zu führen bedeutet unternehmerische Verantwortung zu übernehmen. Dazu gehört auch, den Honoraransatz aus den Lohn- und Gemeinkosten berechnen zu können. Diese Freiheit von Vorgaben ist, wie bereits angesprochen, als Chance zur Entwicklung eines unternehmerischen Denkens zu werten.

Ist vom SIA irgendeine Unterstützung bei der Entwicklung dieses unternehmerischen Denkens zu erwarten?
Ziel des SIA ist, die Mitglieder zu eigenverantwortlichem Handeln anzuregen – die meisten Mitglieder bringen ja auch die dafür erforderliche Erfahrung mit. Der SIA bietet aber eine Form-Reihe zum Thema Entwicklung von unternehmerischen Kompetenzen an. Vorstellbar ist auch, dass sich die Branche selbst hilft, indem beispielsweise erfahrene Büros ihr Wissen auf vergleichsweise unerfahrene Mitglieder übertragen.

SIA-Form Honorarkompass


Nach dem angekündigten Rückzug der zeitweiligen Kalkulationshilfen auf Anfang Mai 2019 müssen Planerinnen und Bauherren in der Lage sein, Honorare eigenständig zu kalkulieren und zu verhandeln.


Der SIA bietet hierfür in Form einer Kursreihe Schulungen zur ­Entwicklung von unternehmerischen Kompetenzen an. In einer ersten Durchführung steht die eigenverantwortliche Ermittlung des bürospezifischen Ansatzes von Architekten im Vordergrund. Inhalt des Kurses sind die projekt- und jahresbezogene Kalkulation von Stundenaufwänden und daraus die Bestimmung von entsprechenden Stundensätzen.

Zielgruppe für diesen Pilotkurs sind Inhaberinnen mittelgrosser Architekturbüros und Projektleiter mit Budgetverantwortung. Je nach Resonanz wird die Reihe auch für weitere Fachrichtungen sowie für Bauherrschaften und deren Vertreter angeboten.


Weitere Infos:

Honorarermittlung für Architekten
Kennzahlenermittlung Administration


Weitere Beiträge zum Thema LHO im E-Dossier auf espazium.ch/lho

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