LHO-Par­ti­tur

Die zeitgleiche Revision der Leistungs- und Honorarordnungen SIA 102, 103, 105 und 108 wird als Chance zu einer in diesem Umfang nie erfolgten Harmonisierung genutzt. Hinter dem unscheinbaren Etappenziel verbirgt sich das Potenzial für ein tiefgreifendes Umdenken.

Publikationsdatum
23-02-2023

Seit dem Aufbau der Projektorganisation im Herbst 2020 arbeiten die Kommissionen der Leistungs- und Honorarordnungen (LHO) für Architektur (SIA 102), Bauingenieurwesen (SIA 103), Landschaftsarchitektur (SIA 105) und Gebäudetechnik (SIA 108) intensiv an der Revision der LHO. Intensiv sind die Arbeiten bisher vor allem wegen des zentralen Etappenziels mit dem wenig inspirierenden Titel «Harmonisierung». Harmonisierung ist hier aber nicht zu verwechseln mit Gleichschaltung – oder, um es in den Worten von ZO-Präsident Erich Offermann zu Jahresbeginn vor versammelter LHO-Runde zu schreiben: «Für Musik ist Harmonie grundlegend. Doch stehen im Orchester auf jedem Blatt andere Noten.»

In Zeiten zunehmender Komplexität und Spezialisierung soll die Harmonisierung zu einem einheitlichen Verständnis aller in der Planung Beteiligten und zur besseren Abstimmung innerhalb der Projektteams beitragen. Bereits 1984 wurden die LHO hinsichtlich ihrer Gliederung aufeinander abgestimmt, und seit dem Jahr 2000 gehört die Harmonisierung bei jeder Revision zu den Zielsetzungen (vgl. Kasten S. 20). Neu ist die Konsequenz und Tiefe, in der dies nun geschieht. Um den interdisziplinären Diskurs zu gewährleisten, sind erstmals sechs Arbeitsgruppen mit jeweils mindestens einer Vertretung aus jeder Kommission ins Leben gerufen worden. Gemeinsam arbeiten sie LHO-übergreifend an Querschnittsthemen wie «Auswirkungen der Informationstechnologie» oder «Qualität», um die Erkenntnisse dann in ihren Kommissionen zu diskutieren und die dort gefassten Entscheide wieder in die Arbeitsgruppen zu tragen. Die Hauptarbeit liegt in dieser Etappe damit weniger in fachlichen Fragestellungen als in der Verständigung, Übersetzung, Vermittlung und Bereitschaft zum Verständnis der anderen Berufsstände und zum Kompromiss. Der im Vergleich zu 1984 weiterhin stark gestiegene Grad an Spezialisierungen macht die Verständigung allerdings noch schwieriger und den Bedarf an Harmonisierung noch grösser.

Denken in Funktionen

Zur einheitlichen Klärung der Zuständigkeiten innerhalb eines Pro­jekt­teams hatte die Kommission SIA 103 bereits bei der letzten Totalrevision der LHO im Jahr 2014 einen Philosophiewechsel vollzogen: «Statt ‹Disziplinen› werden die Leistungen ‹Funktionen› zugeordnet», erläutert Stefan Hosang, SIA 103. Die damals eingeführte Dreiteilung in die Funktionen «Gesamtleitung», «Fachplanung» und «Bauleitung» mit jeweils detaillierterem Leistungsbeschrieb dient nun auch den übrigen LHO als Basis für die Harmonisierung des zentralen Art. 4 unter Federführung der Arbeitsgruppe «Rollen und Funktionen». Weshalb die Kommissionen jetzt und nicht bereits 2014 den damals von der SIA 103 eingeschlagenen Weg aufgenommen haben, hat unterschiedliche Gründe.

Gemeinsames Verständnis

Hinter der Aufgabenstellung verbirgt sich viel Arbeit zur Herbeiführung eines gemeinsamen Verständnisses über den Projektablauf, die Aufgabenzuteilung und die Terminologie. Bei der Umsetzung ist die Herausforderung für jede Disziplin eine andere und erhellt zugleich vieles über die jeweiligen Berufsstände.

Für die Kommission der Architektinnen und Architekten geht die Bedeutung der SIA 102 über eine reine Leistungs- und Honorarordnung hinaus, indem sie auch Spiegel ihres Berufsverständnisses ist. Als möglichen Grund nennt David Merz, SIA 102, für die Architektur zentrale Themen wie «Baukultur»: «Technisch lassen sich Projektierungsaufgaben in der Regel leicht beschreiben. Für den architektonischen Wert essenziell ist aber die Beantwortung der Fragen: Was macht die Qualität des Umfelds aus und wie kann der Eingriff darin integriert werden?» Die wesentliche Herausforderung der Harmonisierung sieht Merz entsprechend in der seinem Berufsstand innewohnenden integralen Sichtweise: Leistungen, die bisher «in Personalunion» gedacht und beschrieben wurden, gilt es nun auf die drei Funktionen «Gesamtleitung», «Fachplanung» und «Bauleitung» zu unterteilen.

Als diametral entgegengesetzt beschreibt Heinz Richter, SIA 108, die Herausforderung der Ge­bäu detechnikingenieurinnen und -ingenieure. In den oftmals in einem Akronym zusammengefassten Berufsgruppen HLKKSE, zuzüglich der jüngsten Disziplin Gebäudeautomation, vereint die SIA 108 sechs inhaltlich sehr unterschiedliche Berufs­felder und -bilder. Im Rahmen der Harmonisierung sollen die in separaten Artikeln beschriebenen Funktionen «Gebäudeautomation» und «Fachkoordination» in den Art. 4 integriert werden, ohne dass sie dabei an Gewicht verlieren. Die Abstimmungsarbeit betrifft hier in erster Linie die Funktionen «Baukontrolle», «Fachbauleitung» und «Fachkoordination». Die Herausforderung liegt darin, gleichzeitig die Unterschiede und die Gleichwertigkeit der innerhalb der SIA 108 vereinten Berufsgruppen zu erhalten und damit letzten Endes den Zusammenhalt der Disziplinen innerhalb der SIA 108 weiterhin zu gewährleisten.

Der für die Landschaftsarchitektinnen und -architekten wesentliche Punkt ist bei allen anderen Disziplinen als Leistung präsent, aber nicht in diesem Ausmass – wie die Revision vor Augen führte. Als einzige der vier LHO unterscheidet die SIA 105 in ihrem Art. 4 zwischen Projektierungsaufgaben mit einem Bauwerk als Ziel und reinen Planungsaufgaben ohne bauliches Ergebnis. Für die Landschaftsarchitektinnen und -architekten steht fest, dass reine Planungsaufgaben teilweise nach anderen Leistungen verlangen und daher nicht über die frühen Phasen eines Bauprojekts beschrieben werden können, wie Kurt Gfeller, SIA 105, erläutert. Neben dem Phasenmodell SIA 112 für Projektierungsaufgaben (Art. 4.2, SIA 105) beruht der vorgelagerte Art. 4.1 deshalb auf dem Phasenmodell SIA 111 für «Planung und Beratung».

Das Projekt im Zentrum

Gewisse Themen werden am Ende nicht in alle LHO Eingang finden und sollen es auch nicht. «Undenkbar, wenn alle zur gleichen Zeit den gleichen Ton spielen würden», um nochmals mit Erich Offermann zu sprechen. Doch hat die Harmonisierung in anderen Feldern bereits einen wirkungsvollen Perspektivenwechsel ausgelöst. Die verschiedenen möglichen Funktionen der «Fach­koordination» sind nun in allen LHO als Leistung enthalten. Denn obgleich der Detaillierungsgrad nicht bei allen Disziplinen zu jeder Phase gleichgeschaltet ist, muss zumindest die räumliche Abstimmung der Planungsentscheide synchron erfolgen. Und, wohl einer der wesentlichen Punkte: Die Funktion «Gesamtleitung» soll je nach Projektart diejenige Fachperson übernehmen, die die zugehörigen Aufgaben am besten erbringen kann. Im Zentrum steht nicht die Disziplin, sondern das Projekt.

Baukultur ist eine Leistung

Mit dem Wegfall der Honorarberechnung nach aufwandbestimmender Bausumme (Art. 7) im Zuge einer Intervention der Wettbewerbskommission (WEKO) sind detaillierte Leistungsbeschriebe als Grundlage für die Honorarverhandlung umso wichtiger geworden. Die Unterteilung nach Funktionen entspricht zudem der heutigen Realität mit zunehmender Spezialisierung. «Unsere Leistungsbeschriebe stammen noch aus einer Zeit, in der die Projektorganisation meist überschaubarer war», erklärt David Merz. Was damals noch mit dem häufigen Zusatz «in der Regel» als Vertragsgrundlage dienen konnte, müsse heute zugewiesen und detailliert beschrieben werden. Und nicht zuletzt: «Baukultur» mag nicht technisch beschreibbar sein, ist aber gleichzeitig eine «Leistung», die Zeit benötigt und zu vergüten ist.

Harmonisierungs­etappen LHO

  • Die Forderung, auf die zunehmende Kom­plexität von Planungs- und Bau­prozessen mit einer berufsunabhängigen Beschreibung der Leistungen zu reagieren, erscheint bereits im Rahmen der Vernehmlassung zur Revision 1984. Die Harmonisierung beschränkt sich auf die Struktur mit der Gliederung in die heutigen sieben Artikel.
  • Mit dem Ziel, die Phasen- und Leistungsmodule über das gesamte Pro­jekt­team hinweg zu vereinheitlichen, wird das Leistungsmodell 95 (LM95) erarbeitet. Da die Module nicht auf diejenige der LHO abgestimmt waren, aber auch aufgrund der Skepsis in einem «liberalisierten Wirtschaftsumfeld mit einer Liberalisierung der Ordnungen zu reagieren», wird das LM95 schliesslich nie zur Publikation freigegeben.
  • Mit der Publikationsfreigabe der Nachfolgerin Leistungsmodell SIA 112 im Jahr 2001 wird hinsichtlich Harmonisierung der Phasen- und Leistungsmodule ein Etappenerfolg erlangt. Sie bildet auch die Basis für die zeitgleiche Publikation der LHO.
  • Seither sind die wesentlichen Ziele jeder LHO-Revision: Aktualisierung an die gegenwärtigen Verhältnisse und Fortschritte bei der Harmonisierung.
  • Die Publikation der neuen LHO 102, 103, 105 und 108 ist für 2025 vorge­sehen.


Quellen: Klaus Fischli, SIA 1837–2012 Schwerpunkte aus 175 Jahren Vereinsgeschichte, Hsg. SIA, 2012; Interview mit Hans Briner, u.a. SIA 112, 22.12.2022.

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