Adieu Non­cha­lance

Kiosk Stadthausanlage; Projektwettbewerb im offenen Verfahren

Der städtische Wettbewerb für einen Kiosk in der Zürcher Stadthausanlage ist entschieden. In einem offenen Verfahren wurde der Entwurf für einen Ersatzneubau vom ortsansässigen Architektenkollektiv Schmid Ziörjen mit dem ersten Platz ausgezeichnet.

Publikationsdatum
03-11-2022

Flughäfen, Bahnhöfe, Krankenhäuser – viele Bauaufgaben sind heute derart komplex, dass die Leichtigkeit des Entwurfs für einen Kiosk wie ein Zuckerbrot aufleuchtet. Vom offenen  Wettbewerb für einen Kiosk in der Zürcher Stadthausanlage haben sich 140 Planende angesprochen gefühlt und Ideen geliefert. Doch was auf den ersten Blick wie eine Fingerübung aussah, war mit einem umfangreichen Raumprogramm verknüpft: In dem Neubau sollen neben einem kleinen Gastronomiebetrieb auch eine Marktaufsicht, ein Posten für die Polizei, eine öffentliche ­Toilette sowie ein Traforaum Platz finden. Der Wettbewerbsperimeter liegt an prominenter Stelle zwischen Stadt und See. Die Anlage, in deren Mitte der wunderschöne Musikpavillon von Robert Maillard (Baujahr 1908) steht, muss als Markt und Veranstaltungsort nutzbar bleiben. Das macht die Aufgabe zwar reizvoller, aber auch nicht leichter. Eine freie Sicht auf den See und die Bergwelt adelt die gewachsene Form des Gevierts, das im Inventar der schützenswerten Gärten der Stadt Zürich verzeichnet ist. Ort und Historie mögen einen weiteren Grund darstellen, warum der Bauaufgabe die Nonchalance abhandengekommen ist – mit seinen 240 Seiten liegt der Jurybericht wie ein Architekturjahrbuch in der Hand.

Da es sich um einen offenen Wettbewerb handelt, findet man unter den beteiligten Büros viele unbekannte Namen. Das erstrangierte Kollektiv um die beiden Architekten Rafael Schmid und Mark Ziörjen hat sich in der jüngeren Vergangenheit aber bereits mit Wettbewerbsgewinnen bei Schulhäusern und Kindergärten etabliert.

Sein Entwurf für den Kiosk ist an gleicher Stelle angesiedelt, auf dem auch dessen Vorgänger steht. Längs der Ostseite des Platzes schlagen die Architekten einen kompakten rechtwinkligen Baukörper mit einem schützenden Dachüberstand vor. Ein vertikales Stützenraster, das sich zum Dach hin in die Horizontale biegt, signalisiert schon von fern die zugrunde liegende Holzkonstruktion. Anstelle einer umlaufenden Ablage unterhalb der Serviceöffnungen, die den objekthaften Charakter des Kiosks betont hätte, befinden sich nur einzelne Bretter. Ist der Kiosk geschlossen, lassen sich Holzgitterelemente aus der Vertikalen vor die Fenster schieben. Die orthogonale Struktur ist in beiden Dimensionen kräftig ausgeprägt, dadurch fehlt dem Baukörper eine eindeutige Ausrichtung.

Abgesehen von der eher verschlossenen Seite zur Strasse hin – ein Aspekt, den auch die Jury kritisiert – erfüllt der Kiosk alle Wettbewerbsanforderungen. Die Nutzungen haben die Architekturschaffenden entlang der Fassaden­struktur entwickelt, die Raumaufteilungen orien­tieren sich am Stützenraster. Trafostation und Lager verschwinden im Untergrund. Insgesamt wirkt der Bau sehr unaufgeregt und logisch. Der in den Plänen prominente Schriftzug «Kiosk» an der Fassade verdeutlicht den Eindruck: Ein sich selbst erklärender Hingucker ist der Entwurf nicht. Dass die Wahl zur Realisierung auf ihn fiel, mag neben der Unterbringung der vielen Ansprüche auch der grossen Beteiligung und einer ebenso bunt gemischten Jury geschuldet sein.

Ein Grossteil der 140 Entwürfe lässt sich in zwei Gruppen fassen: zum einen in rechteckige Baukörper mit mehr oder weniger ambitionierten Dachausformungen; im besten Fall haftet den Entwürfen etwas Neopostmodernes an, das an den ­Bücherpavillon von James Sterling (1991) in den Giardini Ve­nedigs erinnert, zum Beispiel beim Entwurf des zweitplatzierten Teams «Glo­riette» von Stadler Zlokapa aus Basel. Die andere Gruppe bilden ephemer erscheinende Follies, die an über­dimensionale Schirme und Jahrmarktzelte erinnern, wie es das fünft­platzierte Büro Appels ­Architekten aus Zürich mit «Bürli» vorschlägt.

Das drittplatzierte Projekt «Würstli» von LOA | Lars Otte Architektur aus Köln ist hervorzuheben. Mit einer Länge von 32 m ist dieser Kiosk fast dreimal so lang wie der Gewinnerentwurf; damit verkörpert er eine deutliche Setzung und verleiht dem Platz Halt. Die schmalen Kopfseiten gestaltete das Team rund mit Sitzbänken. Aber auch hier ist die Verschlossenheit der dicht an der Strasse gesetzten Ostfassade eine verschenkte Chance.

Eigenwillig ist die Idee von kjr architekten, Luzern, die inzwischen als Studio Birk firmieren. Sie stellen sich einen aufgeschütteten Hügel vor, der von einem parabelförmigen Gebäude gehalten wird. Auf seiner Oberseite lässt sich die Aussicht geniessen. Der Eingriff in die Topografie ist offenbar ein No-Go für das Marktgeschehen, das sich darum herum ausbreiten können muss.

Zwei weitere Entwürfe, die innovativ und interessant waren, gelangten nicht über die Zulassungsrunde hinaus, da sie die vorgegebenen Parameter missachteten. Das betrifft zum einen die Idee von Onur Özman aus Zürich, der den Platz mit einer sanften Fussgängerbrücke überspannt. In den Fusspunkten siedelt er die geforderten Räume an, die auf diese Weise wettergeschützt liegen. Und zum anderen den Beitrag «Pretty Boy Floyd» von MMXVI aus Biel: Sie verlagern die Funktionen in zwei Glaskuben an den kurzen Seiten unter die Arkaden der Nationalbank, die den Platz an der Nordseite als durchlässiger Riegel begrenzt. Der geschützte Raum zwischen den Glaskuben eignet sich als gastronomische Aussenfläche. Die freundliche Übernahme dieser trutzigen Architektur hätte Potenzial, den Respekt heischenden Bau zu beleben und mit einer italienischen Grosszügigkeit in das städtische Treiben einzubeziehen. Die Stadtanlage selbst bliebe frei von Neubauten.

Dieser Artikel ist erschienen in TEC21 36/2022 «Nähe schaffen».

-> Weitere Pläne und Bilder auf competitions.espazium.ch.

Auszeichnungen

1. Rang / 1. Preis: «Il Solito»
Schmid Ziörjen Architektenkollektiv, Zürich; Bakus Bauphysik + Akustik, Zürich
2. Rang / 2. Preis: «Gloriette»
Stadler Zlokapa, Basel; Krattiger Engineering, Happerswil; Profiplan, Kloten
3. Rang / 3. Preis: «Würstli»
LOA | Lars Otte Architektur, Köln
4. Rang / 4. Preis: «Rondelle de concombre»
ARGE Lyra/Herzog Architekten, Zürich
5. Rang / 5. Preis: «Bürli»
Appels Architekten, Zürich; Building Applications Ingenieure Kasche Lussky Dr. Krühne Partnerschaftsgesellschaft, Berlin; planbar, Zürich; Onirism Studio, Mailand

FachJury

Jeremy Hoskyn, Vorsitz, Amt für Hochbauten, Zürich; Claudia Neun, Amt für Städtebau, Zürich; Vittorio Magnago Lampugnani, Architekt, Zürich/Mailand; Guido Hager, Landschaftsarchitekt, Zürich; Caroline Fiechter, Architektin, Zürich; Sigi Stucky, Architekt, Zürich

SachJury

Ingo Golz, Grün Stadt Zürich; Claus Reuschenbach, Liegenschaften Stadt Zürich; Tobias Häne, Liegenschaften Stadt Zürich; Monika Luck, Vereinigung Zürcher Flohmarkt; Kaspar Wenger, Baugarten Zürich

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