Kopf­stand im Gleich­ge­wicht

Arealentwicklung Islas, St. Moritz

Angeblich sagte Sigmund Freud einmal: «Das Falsche ist oft die Wahrheit, die auf dem Kopf steht.» Auch in der Architektur hilft es manchmal, das Modell zur Probe umzudrehen. Beim Wettbewerb um die Eissporthalle in St. Moritz kam nur ein Planerteam auf die Idee, die offensichtliche Funktionsaufteilung abzutauschen, und landete so auf dem ersten Rang.

Publikationsdatum
30-04-2025

Arealentwicklung Islas, St. Moritz 
Projektwettbewerb im offenen Verfahren

Die Idee, den Eissport in St. Moritz unter ein Dach zu bringen, ist schon lange im Gespräch. Auch wenn die Freiluftspiele des EHC St. Moritz in der Eissportarena Ludains charmant sind und Naturverbundenheit zeigen, ist es sinnvoll, das Areal Islas am südwestlichen Ufer des St. Moritzersees multifunktional zu nutzen. Diese Überlegung ist nur ein Teil des langjährigen Prozesses der Gemeinden in der Region Maloja, einen geeigneten und tragbaren Standort für das Bauvorhaben zu finden.

Ein erster grosser Schritt in diese Richtung wurde bereits Anfang 2019 durch eine breit unterstützte Ini­tiative zum Bau eines Eissportzentrums gemacht, die mehr als drei Viertel der Stimmberechtigten in der Region überzeugte. Trotz anfänglicher Skepsis hinsichtlich des Standorts Islas, der direkt am Eingang zum Ortsteil St. Moritz Bad liegt, konnte ein Machbarkeitsnachweis der Gemeinde St. Moritz die Bedenken zerstreuen. So wurde ein Wettbewerb für eine 400 Personen fassende Eissporthalle, eine kommunale Wertstoffsammelstelle sowie 160 «Park and Ride»-Parkplätze ausgeschrieben – offen, einstufig, anonym.

Das Areal Islas gliedert sich in drei Bereiche: Auf dem östlichen Zipfel steht seit 2016 ein Feuerwehrdepot, das städtebaulich einbezogen, aber nicht umgeplant werden soll. Der westliche, heute als Parkplatz und Heliport genutzte Teil ist als Perimeter für Ideen zur attraktiven Umgebungsgestaltung Teil des Wettbewerbs, und auch die südliche Uferzone ist in diese Überlegungen miteinzubeziehen. Der Bearbeitungsperimeter liegt im Mittelteil, wo künftig drei Nutzungen im Zusammenspiel mit Naturraum und vorhandener Bebauung entwickelt werden sollen.

Ausgewogenheit an der Spitze

Insgesamt reichten dreiundzwanzig Teams ihre Beiträge ein, die von der Jury gemäss den üblichen Bewertungskriterien wie Funktionalität, Städtebau, Gestaltung, Erschliessung und Nachhaltigkeit wie auch Ökonomie beurteilt wurden. Nach drei Rundgängen wurden sechs Projekte rangiert. Das Projekt «Balantscha», rätoromanisch für «Waage», von Penzel Valier erhielt die Empfehlung zur Weiterbearbeitung. 

Schon auf den ersten Blick zeigt sich, dass der Vorschlag gut durchdacht und innovativ ist: Nur drei der einreichenden Büros sahen eine klare Abtrennung der Wertstoffsammelstelle vor und platzieren diese in einem eigenständigen Gebäude. So werden neben der inhaltlichen Diskrepanz zwischen den Nutzungen neue Zufahrtsmöglichkeiten geschaffen, die beiden Gebäuden entgegenkommen und Behinderungen vermeiden.

Die zweite sinnvolle Idee war die Umkehrung von Halle und Parkierung. Hierfür wird die Eisfläche in das Gelände eingegraben und der Zuschauerbereich zusammen mit dem Eingang auf einer Ebene gehalten. Die Eisfläche direkt auf dem Fundament unterzubringen, erleichtert es zudem, problematische Verformungen zu minimieren. Über dem Hallenkomplex sind zwei Parkplatzebenen, die neben der geforderten Zahl an Stellplätzen auf der attraktiven Flussseite Räume wie Büros, Kraftraum und Off-Ice-Bereiche anbieten. So entsteht ein selbstverständliches System, das platzsparend und volumetrisch unkompliziert alle Funktionen im Gebäude sortiert.

Jurybericht und Pläne zum Wettbewerb finden Sie auf competitions.espazium.ch

Das Tragwerk dahinter erscheint einfach, verbirgt aber ein komplexes System aus Fachwerkträgern, die partiell aufgelöst die Holz-Beton-Verbunddecken tragen und so die Halle überspannen. Die oberen Fachwerkträger ragen weit genug über die Deckenplatte hinaus, um den Dachgarten aus PV-Elementen und den in St. Moritz obligatorischen Heliport zu verbergen. Stirnseitig bieten sie zudem einen eleganten Abschluss des Gebäudes. Tal- und strassenseitig werden die sichtbaren vertikalen Lamellen des Tragwerks im Dachbereich von einer horizontalen Holzstruktur in den Geschossen darunter abgelöst, die als multifunktionaler Schutz vor Sonneneinstrahlung, Einsehbarkeit und Lawinen dient.

Die aussteifenden Kerne sind, so sieht es zumindest in der Visualisierung aus, mit Naturstein verkleidet. Sie tragen optisch den Oberbau, lassen die Aussenbereiche scheinbar auf Erdgeschossebene unter dem Gebäude weiterlaufen und laden das Publikum so zum Betreten ein. Der Bau erscheint als so leicht, dass er beinahe den Charakter einer temporären Konstruktion erhält und sich unaufdringlich, aber sichtbar in die Landschaft einfügt.

Der zweite Bau, die Wertstoffsammelstelle, ist von der Eissporthalle abgedreht und aus städtebaulicher Sicht eher dem Feuer­wehrdepot zuzuordnen, was der Eissporthalle mehr Eigenständigkeit verleiht. Die flusszugewandte Seite der Sammelstelle ist geschlossen und verbirgt so ihre Funktion vor Passantinnen und Passanten. Das simple und damit perfekt geeignete Holztragwerk bringt alle Funktionen unter und lässt Spielraum für später allfällig notwendige Anpassungen.

Neben aller Funktionalität setzt das Team um Penzel Valier hier ein elegant erscheinendes Volumen, das geschickt zwischen Eissporthalle und Feuerwehrdepot vermittelt.  Auch die Jury schien sich schwerzutun, Kritikpunkte zu finden, die eine tiefgreifende Änderung des Projekts erfordert hätten. Alle angeführten Problemstellen können bei einer Vertiefung der Wett­bewerbsidee behoben und das Projekt zur Ausführungsreife gebracht werden.

Zu massiv zum Fliegen

Der zweitplatzierte «Wanderfalke» des Teams um Berrel Kräutler Architekten ist zwar nur wenig höher und trennt die Wertstoffsammelstelle ebenfalls als eigenständigen Baukörper ab, wirkt aber durch das weit auskragende Dach und den massiven Betonsockel deutlich voluminöser.

Die Jury lobt den Entwurf zu Recht, denn es sind fast alle Anforderungen erfüllt. Was ihn auf den zweiten Platz drängt, ist letztendlich der mangelhafte gestalterische Bezug zur Umgebung. Besonders im Vergleich zum Siegerprojekt wirkt das Volumen der Eissporthalle zu massiv und trotz des hohen Holzanteils wie ein Fremdkörper. Daran ändert leider auch das romantische Reiher-/Wanderfalkenpaar in der Visualisierung nichts.

Burkard Meyer Architekten schlagen in ihrem von der Jury geschätzten Ansatz vor, den Ort mit einem Landmark zu eröffnen. Gemäss der Beurteilung würde die Grösse des Baus durch die Rundungen der Längsseiten optisch vermindert und erinnere so an die «charakteristischen, wertigen Prachtbauten im Engadin». Eine starke, elegante und poetische Erscheinung soll dem Bau auch nicht abgesprochen werden. Doch durch seine geradezu sakrale Mächtigkeit geht ihm das sportlich Einladende verloren.

Auch die weiteren rangierten, allesamt monolithisch formulierten Entwürfe sehen starke Gebäudeformen vor, die mehr oder weniger Bezug auf die Umgebung nehmen und mehr oder weniger sinnvoll den Ort besetzen. Angesichts der prominenten Lage im Engadin und des prestigeträchtigen Bauvorhabens ist es verführerisch, ein expressives Landmark zu entwerfen, das zum Anziehungspunkt für Touristen wird – oder als Markenzeichen des Architekturbüros fungiert.

In diese Falle tappten mit dem Ausdruck ihres Gebäudes einige der Wettbewerbsteilnehmenden. Das Engadin ist bekannt für seine atemberaubende Natur und seine Bebauung verlangt nach einer sensiblen Herangehensweise. Penzel Valier haben dies erkannt und zeigen einen Weg auf, der St. Moritz nach Jahren endlich zur gewünschten Eissporthalle verhelfen könnte. Es bleibt zu hoffen, dass der Entwurf nicht durch Einsprachen verzögert wird und das Projekt bald realisiert werden kann.

Engere Auswahl

 

1. Rang / 1. Preis: «Balantscha»
Penzel Valier, Zürich, mit Maurus Schifferli Landschaftsarchitekt, Bern; IBV Hüsler, Zürich; Anex Ingenieure, Zürich
 

2. Rang / 2. Preis: «Wanderfalke» 
Berrel Kräutler Architekten, Zürich mit Bryum, Basel; Dr. Lüchinger +  Meyer Bauingenieure, Zürich; Gruenberg + Partner, Zürich; Anex Ingenieure, Zürich; Kuster + Partner, Zürich; AFC, Zürich
 

3. Rang / 3. Preis: «Navis»
Burkard Meyer Architekten, Baden, mit ASP Landschaftsarchi­tekten, Zürich; Synaxis, Zürich; Beag Engineering, Winterthur; Enerpeak, Winterthur; Kopitsis Bauphysik, Wohlen; Zostera, Zürich
 

4. Rang / 4. Preis: «Wayne’s Office»
Horisberger Wagen Architekten, Zürich, mit Stehrenberger Architektur, Zürich; MMT Bauleitung und Architekten, Zürich; Uniola Landschafts­architektur Stadtplanung, Zürich; dsp Ingenieure + Partner, Uster; Anex Ingenieure, Zürich; Edico Engineering, Kaiseraugst; Bakus Bauphysik & Akustik, Zürich; Rsc Bau-Consult, Celerina
 

5. Rang / 5. Preis: «Föhnfisch»
Lluis Enrique, Zürich; ZPF Consulting, Zürich
 

6. Rang / 6. Preis: «Gö»
SAM Architekten, Zürich; Fanzun, Zürich; Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure, Zürich; Scherler, Chur; Bösch Sanitäringenieure, Dietikon; Meierhans + Partner, Schwerzenbach; arc experts, Zürich

 

Auftraggeberin

Gemeinde St. Moritz

 

Verfahrensbegleitung

Planpartner, Zürich

 

Fachjury

Ursula Stücheli, Architektin, Zürich (Vorsitz); Beat Loosli, Architekt, Rapperswil; Matthias Biedermann, Landschaftsarchitekt, Frauenfeld; Gianfranco Bronzini, Bauingenieur, Chur

 

Sachjury

Christian Jott Jenny, Gemeinde­präsident; Reto Matossi, Gemeinde­vorstand; Gian Marco Tomaschett, Gemeindevorstand

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