Über­wäl­ti­gen­de Viel­falt

Gebäudeintegrierte Photovoltaik in der Praxis

Neue Photovoltaikmodule in atypischer Optik und mit verbesserten Oberflächenbeschaffenheiten öffnen Wege für bisher selten realisierte ­Anwendungen. Sowohl die gestalterischen Optionen als auch die ­Einsatzmöglichkeiten profitieren von diesen neuen Entwicklungen.

Publikationsdatum
11-06-2015
Revision
02-11-2015

Schwarzblau war gestern. Aber was zählt heute? Es ist nicht leicht, im Bereich der Photovoltaik den Überblick zu behalten. Forschungsinstitute und Hersteller präsentieren laufend Innovationen. Manche Technologien sind von Grund auf neu, andere adaptieren Bestehendes. Die Neuerungen stecken teilweise in der Entwicklungsphase, teilweise sind sie in ersten Testanlagen realisiert, teilweise marktreif. Und in vielen Fällen sind sie bunt oder transparent. 

Die hier versammelten Beispiele können die Vielfalt der angebotenen Technologien und der Einsatzmöglichkeiten nur andeuten. Noch vor wenigen Jahren bestand die Bandbreite der Photovoltaikmodule im Wesentlichen aus kristallinem und amorphem Silizium, die Farbpalette reichte von Dunkelblau über Dunkelgrau bis Dunkelbraun.

Das Angebot und die Einsatzmöglichkeiten heute übersteigen das bei Weitem. Die bewährten Technologien werden mit bedruckten oder beschichteten Glasplatten und farbigen Laminaten zu vielseitig gestalterisch einsetzbaren Bauteilen. Auf anderen Prinzipien aufbauende, bisher noch exotische Technologien erweitern das Spektrum zusätzlich um transparente und biegsame Module. Und das ist erst der Anfang. 
 

Farben im Test – Silo wird Solarkraftwerk

Das umgebaute Kohlesilo am Gundeldingerfeld in Basel wurde im Mai 2015 eingeweiht. In 77 m2 seiner Fassade und seinem 82-m2-Dach sind Module mit neuer, farbiger Glastechnologie installiert, die das Silo zur Realversuchsanlage machen. Es ist geplant, ein Monitoringsystem zu in­stallieren, das die Leistungsdaten jedes ­einzelnen PV-Moduls erfasst. Folgende Fragestellungen werden untersucht: 

Vergleich der Wirkungsgrade der farbigen Paneele mit Standardmodulen  Überprüfung der Ertragsprognose  Überprüfung des Abminderungsfaktors der jeweiligen Farbe  Leistung in Abhängigkeit von der Einstrahlung (je nach Modulfarbe und Orientierung) 

Die Ergebnisse werden in Projektberichten öffentlich dokumentiert. 

Die Photovoltaik selbst besteht aus herkömmlichen Silizium-Wafern. Das Interessante am Modul ist das mit einem Interferenzfilter beschichtete Glas, das in vielen Farben hergestellt werden kann und unter UV-Bestrahlung nicht ausbleicht. Eine kleine Bandbreite an Wellenlängen des sichtbaren Lichts wird durch die Beschichtung reflektiert; so entsteht der farbige Eindruck, allerdings wird dabei auch der Wirkungsgrad des Moduls im Durchschnitt um 5% auf 15.1% abgemindert. Die Energieproduktion von 24 kWp ist also etwas niedriger, als sie bei Modulen mit her­kömmlichen Gläsern wäre. In der Testanlage in Basel wird durch das Monitoring in den kommenden Jahren untersucht, wie hoch die Abminderung des Wirkungsgrads je Farbe tatsächlich ist .

Auftraggeber: Kantensprung, Basel
Architektur/Energieberatung: baubüro in situ, Basel
Photovoltaik: Solvatec, Basel; Swiss Inso, Lausanne


Ziegelrote Zellen

Am PV-Center des CSEM (Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique) wird an PV-Modulen geforscht, die die traditionelle Farbe von Dachziegeln aufgreifen. Mit einer ersten Pilotinstallation in Corcelles NE sind die Entwickler zur konkreten Anwendung ihrer neuen terrakottafarbenen PV-Module übergegangen. 

Ausgangsmaterial dieser Module ist amorphes Silizium (a-Si) auf Dünnschichtbasis, das eine sehr kostengünstige Herstellung erlaubt. Da a-Si produktionsseitig bereits eine bräunliche Optik aufweist, schien diese Technologie ideal für den anvisierten Ziegelton. Um ihn zu erreichen, wurde die Stärke der PV-Zelle variiert und ein farbiger Filter laminiert. Die Zelleffizienz auf dem derzeitigen Stand der Entwicklung beträgt 5%. Installiert wurden 3.30 kWp auf dem 74 m2 grossen Norddach des Einfamilienhauses. Damit ist die Abdeckung von drei Vierteln des jährlichen Strombedarfs gewährleistet. 

Idee, Beratung, Konzept: CSEM, Abteilung Photo­voltaik-Module & Systeme, Neuchâtel
Photovoltaik-Montage: Acos, La Chaux-de-Fonds 
Photovoltaik-­Modulhersteller: Nexpower, üserhuus, Hergiswil 


Zweischeibenverglasung mit Extra 


In Frankfurt am Main im Gebiet Gutleutviertel/Westhafen wurde bis Ende Mai dieses Jahres ein ­Mehr­familienhaus errichtet. Trotz einem für die Energie­produktion ungünstigen Verhältnis von Gebäudeoberfläche zu Nutzfläche und einer städtebaulich bedingten starken Verschattung der Fassade gelang es, ausreichend PV in die Gebäudehülle zu integrieren, um einen Aktiv­haus-Standard zu erreichen. 750 PV-Module auf dem 1500 m2 grossen Pultdach erzeugen einen Grossteil des Stroms. Weiteren Strom produzieren die in der Südseite integrierten 350 Glas-Glas-Fassadenmodule auf rund 900 m2 Fläche. 

Bei in Doppelglastechnik hergestellten Solar­modulen können die rückseitigen Gläser verspiegelt oder keramisch beschichtet werden. Dadurch werden verschiedene Farben möglich. 

Eine hinterlüftete Kaltfassade ist idealer Einsatzort für Solarmodule aus kristallinen Zellen: Der Wirkungsgrad ist bei kühleren Zellen höher. Für die Integration in gläserne Fassaden oder Dachflächen beheizter Räume können Glas-Glas-Solarmodule auch als Iso­lierver­glasung realisiert werden. Vor die wärmegedämmten Baukörperflächen werden Solarmodule als Wetter-, ­Wärme- und Schallschutz vorgehängt und die einzelnen Konstruktionsteile ohne thermische ­Trennung ­auf­gebaut. Zum Warmbereich des Gebäudes besteht keine Verbindung. 

Auftraggeber: Wohnungsbaugesellschaft Frankfurt Holding
Architektur: HHS Planer + Architekten, Kassel 
Solartechnik: Lorenz Energie, Gründau-Lieblos


Perowskit – jetzt auch bleifrei 

Eine Perowskit-Zelle ist eine transparente Solarzelle, die kubische Kristallverbindungen (genannt Perowskit-Struktur) als Licht erntende aktive Schicht nutzt. Es handelt sich beim Material um einen Hybrid aus organischen Methylammoniumverbindungen und anorganischen Bleihalogeniden. Dieses ist einfach und kostengünstig herstellbar, was seinen Einsatz in der Dünnschicht-Photovoltaik attraktiv macht. Perowskit-Materialien können viel Licht absorbieren und erlauben den Ladungsträgern eine hohe Beweglichkeit. Ausserdem können die Elektronen im Material lange Strecken zurücklegen, ohne zu rekombinieren. Allerdings stellt die Verwendung der giftigen Bleiverbindung in den Zellen ein Problem dar. Zinn hat eine ähnliche Elektronenstruktur wie Blei. Deshalb kann man auch Zinnhalogenid einsetzen und dabei ein strukturell sehr ähnliches Material erhalten. Als negativer Nebeneffekt des Bleihalogenid-Austauschs sinkt aber die Effizienz der Zellen auf ein Drittel. Hoffnung besteht trotzdem: Die Wirkungsgrade der herkömm­lichen Perowskit-Zellen sind seit 2009 von unter 4% auf 20% gestiegen. Sollte die Weiterentwicklung der ­bleifreien Zellen – derzeitiger Wirkungsgrad 6% – genauso schnell voranschreiten, dann wird in wenigen Jahren eine hoch­effiziente und bleifreie Perowskit-Zelle zur Verfügung stehen. 


Weisse PV wartet auf ihren Einsatz

Genau genommen besteht die Innovation bei den weis­sen Modulen nicht in einer neuen PV-Technologie, ­sondern es handelt sich um ein Add-on. Während der Fertigung wird eine Streufilterfolie zwischen die ­kristallinen Siliziumzellen und das Glas ins Modul integriert. Die ganze Bandbreite des Sonnenlichts kann in Elektrizität umgewandelt werden. Der selek­tive Streuungsfilter reflektiert sichtbares Licht und lässt die ­Infrarotstrahlung passieren. Das Verfahren besteht aus einer Vielzahl von Schichten, die sichtbares Licht reflektieren, während die Infrarotstrahlung zu den Solarzellen geleitet wird. Die Reflektion des weissen Lichtanteils wird durch Mikrostrukturen auf der Folie erreicht. Dies führt zu einer weissen, homogenen Oberfläche. Andere Farben werden durch eine Anpassung der Kombination der Filter erreicht. Alle Arten von kristallinen Solarzellen reagieren im IR-Bereich des Sonnenlichtspektrums. Ein wichtiger Anteil des Stroms kommt aus diesem Bereich (IR 700–1200 nm). Der Modul­wirkungsgrad beträgt über 10%. 


Graetzel in Lausanne

Die sogenannte Graetzelzelle ist auch als Farbstoff­solarzelle (Dye Sensitized Solar Cell DSSC) bekannt. Sie wurde 1992 von dem Chemiker Michael Grätzel patentiert. Ihr bekanntester Einsatzort in der Schweiz ist das Swisstech Convention Center in Lausanne. Dort sind Graetzelzellen in fünf Schattierungen von Grün bis Orange auf einer Fläche von 300 m2 als transluzente Sonnenblenden im Einsatz. 

Die Graetzelzelle ist in mehreren Schichten ­zwischen zwei Glasplatten aufgebaut. Auf die planare Arbeitselektrode (Anode) ist eine nanoporöse Schicht Titandioxid aufgebracht, an die der lichtempfindliche Farbstoff, zum Beispiel Chlorophyll, adsorbiert ist. Als nächste Schichten folgen der Redoxelektrolyt und der Katalysator. Die Gegenelektrode (Kathode) bildet den Abschluss der Graetzelzelle. Das Funktionsprinzip ähnelt dem der Photosynthese. Licht regt den Farbstoff an, wenn er die Photonen absorbiert. Die Elek­tronen in den Farbstoffmolekülen werden dabei photooxidiert und an die Titandioxidschicht abgegeben, wo sie wieder oxidieren. Gleichzeitig findet im Elektro­lyten eine Reduktion statt, sodass vom Elektrolyten zum Farbstoff Elektronen nachfliessen. Dadurch ist ein geschlossener Kreislauf von Anode zu Kathode möglich. Graetzelzellen funktionieren auch bei diffusem Licht. Der Wirkungsgrad kommerziell erhältlicher Module beträgt ca. 3%. 

Am Swisstech Convention Center wurden die Module nicht auf ihre Performance, sondern auf ihr Design optimiert, zum Beispiel um die Proportionen der Modulbänder auf die der Fenster abzustimmen. Daher ist der Wirkungsgrad in diesem Fall noch niedriger. 

Auftraggeber: Public-Private-Partnership bestehend aus EPFL, zwei Immobilienfonds der Crédit Suisse sowie dem Total­unternehmer HRS Real Estate 
Architektur/Energieberatung: Richter · Dahl Rocha & Associés architects, Lausanne
Photovoltaik: Solaronix, Aubonne


Organische Photovoltaik spendet Schatten 

Zentrales Gestaltungselement des Deutschen Pavillons auf der Expo Milano sind die fünf «Solar Trees» getauften Verschattungselemente. Sie sind das erste grosse internationale Architekturprojekt, in dem transluzente organische Photovoltaik (OPV) zum Einsatz kommt. Die Architekten hatten hier die Möglichkeit – anders als bei anderen Technologien üblich –, die PV-Module selbst in Grösse und Form zu gestalten und sie so noch besser in ihr architektonisches Konzept einzubinden.

Die per Stoffdruck auf ein Trägermaterial aufgebrachten Kohlenstoffverbindungen der OPV sind beidseitig mit Schutzfolien laminiert und mit Clips in ein filigranes Stahlnetz gehängt. Der tagsüber produzierte Gleichstrom wird direkt in einem Batteriespeichersystem am Fuss der «Solar Trees» gesammelt und versorgt einen leistungsstarken LED-Leuchtenring mit Strom, der sie nachts von unten anstrahlt. 

Pro Quadratmeter kann semitransparente organische Photovoltaik etwa 40 bis 60 W produzieren. Bei geringerer Transparenz ist die Leistung höher. Im unteren Bereich der «Solar Trees» haben die sechseckigen ­Module eine Diagonale von ca. 23 cm, die grössten ­Module oben eine von 95 cm. Jedes Modul besteht aus sechs Dreiecken, den einzelnen Zellen. Diese sind auf die – etwas grössere – transparente Textilfolie auf­gedruckt, darüber ist eine Schutzfolie laminiert. Um Windspitzen und anderen Lasten zu widerstehen, sind die einzelnen Modulfolien mit Federn verbunden. 

Die Module sind in Serie geschaltet, der Strom wird am Rand abgeführt. Die dazu verwendeten Kabel sind filigran in Silbergrau ausgeführt und auf den ­ersten Blick nicht vom Stahlnetz der Konstruktion zu unterscheiden. Da die Berührungsspannung den Grenzwert von 120 V (Gleichstrom) nicht überschreitet, unterliegen die «Solar Trees» keinen Brandschutzvorschriften. Sie sind zudem wartungsfrei.

Auftraggeber: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi),
Messe Frankfurt
Architektur: Schmidhuber, München 
Photovoltaik: Belectric OPV, ­Nürnberg


Gedruckt wie eine Zeitung 

Vor 10 Jahren konnten kristalline Solarzellen amorphe noch leicht übertrumpfen. Sie waren deutlich billiger und ihr Wirkungsgrad um ein vielfaches höher. Seit 2013 kann sich die Dünnschichttechnologie im Wirkungsgrad mit der kristallinen messen. Nun wird auch an neuen Produktionsmethoden gearbeitet, um auch preislich mithalten zu können.

Den Effizienzrekord für flexible CIGS (Kupfer-Indium-Gallium-(Di-)Selenid)-Polymerfolien hält derzeit die Empa in Dübendorf mit einem Wirkungsgrad von 20.4 %. Im Technologizentrum der Empa ist seit einigen Jahren das Unternehmen Flisom beheimatet. Dieses arbeitet kontinuierlich am PV-Herstellungsprozess, um die nächste Generation von CIGS Solarproduktionstechnologien zu etablieren. Die Rolle-zu-Rolle-Fertigungstechnologien für kostengünstige, leistungsstarke CIGS-Dünnschicht-Solarmodule auf flexiblen Plastikfolien nutzt das gleiche Prinzip wie der Zeitungsdruck.

Die flexible Solarfolie wird auf selbst entwickelten Beschichtungsmaschinen hergestellt und mittels Laserstrukturierung direkt auf der Folie zu einem Submodul verschaltet. Im Herstellungsprozess wird dazu eine 1 Meter breite Polymerfolie in einem Rolle-zu-Rolle Verfahren mit dem Absorber beschichtet und verschaltet. Diese flexible Solarfolie kann nun auf verschiedenen Rückseitenmaterialien wie Stahl, Glass oder Aluminium sowie einer transparenten Schutzfolie auf der Vorderseite verkapselt werden. Für gebäudeintegrierte Anwendung wird die Solarfolie z.B. direkt auf der Metal-Solardachziegeln verkapselt. Mit der Technologie können Metallfassaden oder Metalldächer in Solaranlagen umgewandelt werden. Sie bietet das Potential von kostengünstiger Solarenergie im gebäudeintegrierten Bereich.

Die dazu neu eingerichtete Produktionsanlage wurde am 11. Juni eingeweiht.


Amorph: Stärker als kristallin

Eine extrem effiziente Dünnschichtsolarzelle für die nächste Generation kostengünstiger Solarmodule ist das Ziel eines neuen europäischen Forschungsprojekts mit dem Namen «Sharc25», das sich aus fünf Forschungsinstituten (darunter die Empa), vier Universitäten und zwei Unternehmen zusammensetzt. Angepeilt werden Wirkungsgrade bis 25% für im Koverdampfungsverfahren hergestellte Dünnschichtsolarzellen aus Kupfer-Indium-Gallium-Diselenid (CIGS) – das sind gut 3 Prozentpunkte mehr als bisher.

Der Wirkungsgrad von Dünnschichtsolarzellen auf der Basis von Chalkopyriten hat sich in den letzten Jahren stark verbessert. CIGS-Solarzellen auf Folie liegen mit 20.4% beinahe gleichauf mit multikristallinen Solarzellen. CIGS auf Glas erreichte 2013 erstmals einen Vorsprung, den es 2014 um 1.3 Prozentpunkte auf 21.7% ausbaute. Die beiden Weltrekordwerte wurden von zwei Sharc25-Projektpartnern erreicht: Die Empa hält den Bestwert auf dem Trägermaterial Folie, das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) den auf Glas.

Jetzt soll die Effizienz noch weiter steigen. Um diesem Ziel näher zu kommen, verfolgen die elf Partner drei Strategien:

Ein verbessertes Absorbermaterial, die Nutzbarmachung von neuen Konzepten für effizientere Ober- und Grenzflächen sowie ein optimiertes Lichtmanagement

sollen die Wirkungsgradgrenze weiter nach oben schieben. Der angestrebte Wirkungsgrad von 25%  würde die Konkurrenzfähigkeit der amorphen Solarzellen gegenüber den auf dem Markt dominanten kristallinen weiter erhöhen und könnte der europäischen Dünnschicht-PV-Industrie entscheidende Impulse verleihen.

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