Ita­li­en und die Welt

14. Architekturbiennale Venedig

«Monditalia» im Arsenale von Venedig ist eine Gesamtschau aus 41 Forschungsprojekten zu verschiedenen Orten Italiens. Ergänzt wird der Parcours dieses Jahr durch Tanzaufführungen und Filmsequenzen.

Publikationsdatum
10-06-2014
Revision
01-09-2015

Der Eingang in die Ausstellung «Monditalia» führt durch den Portikus einer Arkade aus tausenden von LED-Lampen in die Corderie. In dem über 300 Meter langen Gebäude trifft man aber nicht auf eine flirrende Kunstwelt. Vielmehr bilden die 41 Forschungsprojekte ein buntes, ernsthaftes und mitunter auch bedenklich anmutendes Puzzle Italiens. Sie zeigen – so Rem Koolhaas – ohne Vorurteile und Selbstgefälligkeit die Komplexität der Realität auf. Eine Realität, in der Probleme nicht nur Beachtung finden, sondern sogar als Regenerationsquelle dienen sollen. 

Zwischen Chaos und Potenzial

Angesichts der Grösse der Ausstellung und der kurzen Besuchszeit muss herausgepickt werden, was interessant erscheint. Die Projekte sind Orten gewidmet, von Süd nach Nord gegliedert und durch ihre geografischen Koordinaten gekennzeichnet. Als Gesamtschau ergeben sie ein umfassendes Bild des Landes. Es geht im weitesten Sinn um gesellschaftliche und wirtschaftliche Zusammenhänge, Architektur ist in vielen Beiträgen sekundär. Gemäss dem Programm steht Italien stellvertretend für all jene Länder, die zwischen chaotischen Zuständen und der Umsetzung ihres vollen Potenzials schwanken. Etwas ambitiös klingt das schon.

Der Beitrag Nr. 10 von Ila Beka und Louise Lemoine ist La Maddalena mit den Koordinaten 41° 12' 53'' N / 09° 24' 21'' E gewidmet. Der G8-Gipfel 2009 sollte planungsgemäss auf der Insel vor Sardinien stattfinden. Doch am 23. April 2009 gab Silvio Berlusconi bekannt, dass das Treffen nach L’Aquila verlegt würde. Er wollte damit die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die vom Erdbeben am 6. April 2009 zerstörte Region lenken und den Bewohnern ein Zeichen der Hoffnung geben. In einem Film erzählt der Architekt der Geisterstadt La Maddalena anlässlich eines Spaziergangs vom Bau und seiner persönlichen Beziehung zum Ort. Die fertige, aber nie in Betrieb genommene Anlage zerfällt. Bau und Planung verschlangen 300 Millionen Euro. In einem parallel dazu laufenden Film wird ein Mann gezeigt, der seit Jahrzehnten in der Nachbarschaft lebt und aus angespültem Strandgut Objekte baut.

Das thematische Zentrum der Installation «The Business of People» von Ramak Fazel befindet sich rund vier Grad nördlicher um Turin. Unabhängig voneinander werden auf Tafeln Geschichten erzählt. Wirtschaftzweige wie der Traubenhandel oder Firmen wie der Pistolenhersteller Beretta oder der Autokarosseriefabrikant Bertone sind nach scheinbar willkürlichen Kriterien dokumentiert. Durch Bilder, Zeichnungen und kleine Alltagsgegenstände entsteht pixelhaft ein umfassenderes Bild. Gruppiert sind die Tafeln um Zeitschwellen am Boden – hintereinander liegende Holzbalken mit eingeschnitzten Tagesetappen wie Morning Café, Break oder Lunch. Das hinterste Wort ist so klein, dass man ganz nah hingehen muss, um «out» zu erkennen.

Der Beitrag «italian limes» von Folder befasst sich mit den Grenzen Italiens – ein System, das nicht so statisch ist, wie es auf Anhieb erscheinen mag. Dargestellt wird der Grenzverlauf im Gletschergebiet zwischen Italien und Österreich. Durch die globale Erwärmung verändert die Eisschmelze den Grenzverlauf. Ein Gerät zeichnet synchron zur Ausstellungsdauer die Veränderung millimetergenau auf.

Die Beiträge sind spannend und vielseitig. Ihre Besichtigung benötigt aber Zeit, sodass ein Tag für die Corderie nicht ausreicht. Neu haben auch Tanz und Film hier ihren Platz. Die Ausstellungskojen werden durch Tanzbühnen unterbrochen. Sicher ein guter Entscheid ­­– in dem langen dunklen Gebäude sind die lebendigen Beiträge neben den Exponaten eine willkommene Abwechslung. Es ist angenehm, sich hin und wieder hinzusetzen und entspannt den Darbietungen zuzuschauen. Die 82 Filmsequenzen sind durch Vorhänge von den übrigen Exponaten abgetrennt und wirken isoliert. Eine wirkliche Einheit will in der «Monditalia» nicht aufkommen. Wohl auch schwierig angesichts der Grösse des Gebäudes und der Komplexität der Realität. 

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