Schützender Hof
Seit mehr als zehn Jahren plant der Kanton Basel-Stadt die Umnutzung des Güterumschlagplatzes auf dem Wolf-Areal zum gemischten Wohnquartier. Nun wird es konkreter. Die ersten beiden Projektwettbewerbe für zwei Wohnungsneubauten sind entschieden.
Baufelder MF02 und MF03
Güterbahnhof Areal Wolf, Basel
Projektwettbewerbe im selektiven Verfahren
Mit der Verlagerung des Güterumschlags in das Basler Hafengebiet gab die SBB fast zwei Drittel des Wolf-Areals, einem Gelände unweit des Bahnhofs Basel SBB, für neue Nutzungen frei. In Etappen entsteht hier Raum für Gewerbe, Büros und vor allem Wohnungen. Das rund 16 ha grosse Areal liegt zwischen Bahngleisen und der St. Jakobstrasse, die zur Autobahnausfahrt Basel-City führt. Damit ist das Areal gut erschlossen, aber auch durch Bahn- und Strassenlärm beeinträchtigt.
Für die bauliche Entwicklung führte die SBB 2017 einen städtebaulichen Studienauftrag durch. Die ausgewählten Vorschläge der Basler Architekten Christ & Gantenbein und des Zürcher Büros EM2N wurden in ein Konzept zusammengeführt und schufen die Basis des Richtplans. Ein in Ost-West-Richtung ausgedehnter Hof bildet das Herz des Areals. Er schützt vor dem Lärm der Strasse und vor den Belastungen entlang des Schienenfelds. In ihm liegt ein breiter, begrünter Boulevard; er erschliesst die Wohnungen im Westen und führt zur Gewerbenutzung im Osten. Dazwischen stehen die denkmalgeschützten Bauten, die für öffentliche Nutzungen wie Gastronomie, Kultur und Dienstleistungen umgenutzt werden.
In dem sehr dicht bebauten Quartier vergibt die SBB zwei Baufelder im Baurecht an Genossenschaften. Damit kann ein Drittel der rund 600 Wohnungen preisgünstig vermietet werden. Für zwei weitere Bauparzellen wurden parallel zwei Projektwettbewerbe im selektiven Verfahren durchgeführt. Hier sollen je ein zehngeschossiges Wohnhaus und insgesamt rund 300 Wohnungen entstehen.
Zwei Gesichter
Den Projektwettbewerb für das Baufeld MF02, das längs zum Gleisfeld liegt, gewannen ARGE Experience, Paris und M-AP Architekten, Lausanne. Ihr Projekt «Janus» ist eine Antwort auf die zwei Gesichter des Orts. Die horizontale Bandfassade in den oberen Geschossen folgt der linearen Struktur der Gleise. Im zweigeschossigen Sockel tritt eine Abfolge von übergrossen verzogenen Betonrahmen hervor, die aus den vorbeifahrenden Zügen als plastisches Bild wahrgenommen werden. Anders die kleinteilige, gegliederte Hoffassade: Hier liegen die auskragenden Balkone jeweils geschossweise versetzt. Im Sockel nimmt die durchlaufende Balkonschicht mit vorgelagerten Betonpflanztrögen die Linie des Vordachs der denkmalgeschützten Eisenbahnhalle auf. Ein grünliches Sgrafitto auf der hell verputzten Fassade der Wohngeschosse erinnert an Rankgerüste der Gartenarchitektur. Zu den Neubauten hin wächst das Wohnhaus von sieben auf zehn Geschosse an. Diese Abstufung schafft den Übergang von den Neubauten zum Bestand.
Um den Erschliessungsflächen und den Wohnungsgrundrissen in den unteren Geschossen mehr Aufenthaltsqualität zu schenken, variiert die Lage der Treppenhäuser. Im Erdgeschoss verjüngt sich der Raum vom grosszügigen Zugang am Hof bis zur Mitte des Gebäudes. Im Zwischengeschoss endet der Flur an der Fassade, mit Ausblick auf die Gleise. In den Regelgeschossen liegen die Treppen ganz im Innern des Gebäudes. Die Grundrisse sind kompakt und stringent aufgebaut: eine Schlafzimmerschicht zum Hof, Nasszellen im Kern und ein grosszügiger Koch- und Wohnbereich mit eingezogenen Loggien an der Südfassade. In den grösseren Wohnungen vermitteln die zweiflügeligen Türen den Eindruck von Weite und erhöhen die Flexibilität bei der Nutzung. Bei den Erdgeschosswohnungen bemängelt die Jury die fehlende Privatsphäre in den ebenerdigen Schlafräumen und durch die eingezogenen Vorgärten.
Nachhaltig ist die Bauweise: Erd- und Zwischengeschoss sind als Betonskelettbau ausgeführt, die Obergeschosse in Holzbauweise.
Binaria
Im Wettbewerb für das Baufeld MF03 längs der stark befahrenen Strasse überzeugten die Basler ARGE Parabase und Confirm mit dem Projekt «Binaria». Auch dieser Entwurf geht auf die unterschiedlichen Wohnsituationen ein: Unterhalb der Bandfenster kragen
Akustikpaneele hervor, um den Strassenlärm zu dämpfen. Ansonsten ist die Nordfassade mit wiederverwendetem Trapezblech verkleidet. Viel leichter und filigraner wirkt die Vollverglasung der Fassade im Hof. An der Brüstung hängende Pflanztröge und hervortretende Balkone erzeugen ein Bild von schwebenden Vorgärten.
Als Verbindung von Hof- und Strassenraum dient ein mehrgeschossiger Durchgang. Sein monumentaler Charakter wird durch eine Stützenreihe in der Mitte der Passage gebrochen. In der Seitenwand setzt das überdimensionale kreisrunde Lüftungsgitter aus schallabsorbierenden Paneelen einen starken Akzent. Die Zugänge zu den sieben Treppenhäusern liegen auf der Strassenseite. In den 2.5- bis 5.5-Zimmer-Wohnungen ähneln sich die Grundrisskonzepte. Küche, Essplatz und Badezimmer liegen an der Strassenseite, die Wohn- und Schlafräume breiten sich von der Mitte bis zur Hofseite aus. In den grösseren Wohnungen verbinden Schiebetüren alle Zimmer zu einer Enfilade, was mehr Licht in die Wohnung bringt und sie grosszügiger erscheinen lässt.
Um die Nachhaltigkeitsziele der SBB zu erfüllen, werden wiederverwendete Bauteile für die tragende Struktur verwendet. So werden etwa Träger aus ehemaligen Schienen verwendet oder natürliche Materialien wie Re-Use-Brettstapelholz eingesetzt. Der vertikale Kern besteht aus recycliertem Beton. Innerhalb der rigiden und effizienten linearen Struktur mit kleinen Spannweiten sind die Wohnungstypen sehr unterschiedlich.
Pilotcharakter
Beide Projekte sind aussergewöhnliche und zukunftsweisende Vorschläge, die markante Stadtbausteine für das Wolf-Areal ergeben. Sie bieten unterschiedliche Wohnungsgrössen und eignen sich für verschiedene Lebenssituationen und Wohnformen. Bei der Entwicklung des Areals misst die SBB dem Thema Lebensqualität und dem System der geschützten Bedürfnisse grosse Bedeutung bei. Als Pilotprojekte werden sie von der Universität Basel und novatlantis wissenschaftlich begleitet.
Auch Vorgaben an die Nachhaltigkeit erfüllen beide Projekte. So werden die Dächer für Photovoltaik und als Wasserspeicher genutzt und sind partiell begehbar, die Fassaden sind teilweise mit Photovoltaik ausgestattet sowie begrünt. Geheizt wird mit erneuerbaren Energien, der sommerliche Wärmeschutz erfolgt durch Beschattung und Verdunstungskühlung. Die Bauteile sollen möglichst verschraubt und nicht verklebt werden. Dies ermöglicht zum einen die Anpassung der Konstruktion sowie die einfachere Demontage für eine potentielle Wiedervewendung der Bauteile.
In einer ersten Etappe werden die Wohnungsgebäude im westlichen Teil des Areals erstellt. Der Baustart für die Wettbewerbsprojekte ist für 2028 geplant. Um die neue Identität des Areals möglichst früh zu prägen und Interessierte und Bewohnende des angrenzenden Quartiers in die Entwicklung einzubeziehen, öffnet die SBB das Areal für Zwischen- und langfristige Nutzungen. Die historische 2000 m² grosse Bahnhalle im Zentrum des Areals soll beispielsweise für den Sport zur Verfügung stehen. Dieser Mittelteil gilt als Bindeglied zwischen Wohnen und dem Gewerbe im östlichen Teil. Der Güterumschlag bleibt bestehen. Hinzu kommt ein City-Logistik-Hub, der eine umweltschonende Güterfeinverteilung in der Stadt Basel und der Umgebung ermöglicht. Hier sind Realisierungen in einer zweiten Etappe ab 2031 vorgesehen.na Marchal schreibt als Kritikerin für die Fachpresse und betreut Architekturbüros in der PR- und
Medienarbeit.
Rangierte Projekte MF02
1. Rang / 1. Preis: «Janus»
Experience, Paris + M–AP, Lausanne; Ingphi, Lausanne; az ingénieurs, Lausanne; Peutz & Associés, Lyon/Paris (FR); Cardam, Vevey2. Rang / 2. Preis: «Van Nelle»
Lütjens Padmanabhan Architekten, Zürich und WT Partner, Zürich; SJB Kempter Fitze, Frauenfeld; Mettler + Partner, Zürich; Andy Wickart Haustechnik, Finstersee; Zostera Brandschutzplanung, Zürich; Durable Planung und Beratung, Zürich; Basler & Hofmann, Esslingen3. Rang / 3. Preis: «Albert Perks»
E2A Piet Eckert und Wim Eckert Architekten, Zürich; Amstein + Walthert, Zürich; Raumanzug, Zürich; icccon, Zürich; Ingenieurbüro Andreas Suter, Thalwil; Confirm, Basel; Dr. Lüchinger + Meyer Bauingenieure, Zürich
Rangierte Projekte MF03
1. Rang / 1. Preis: «Binaria»
ARGE Parabase, Basel und Confirm (Nachwuchs), Basel; WMM Ingenieure,
Münchenstein; Proengineering, Basel; HeiVi, Basel; Schmutz + Partner, Basel; Aegerter & Dr. O. Bosshardt, Basel; BAKUS Bauphysik und Akustik, Basel2. Rang / 2. Preis: «Small Pleasures of Life»
op-arch, Zürich und BETA office for architecture and the city, Amsterdam (NL); Büro Thomas Boyle + Partner, Zürich; Schäfer Partner, Lenzburg; Böni Gebäudetechnik, Oberentfelden; SiQS Brandschutz, Schaffhausen; BAKUS Bauphysik und Akustik, Basel; Lemon Consult, Zürich3. Rang / 3. Preis: «Luv und Lee»
BeL, Köln (D) + Clauss Kahl Merz Atelier, Basel; ZPF Structure, Basel; Pro Engineering, Basel; Waldhauser + Hermann, Münchenstein; Schmutz + Partner, Basel; BIQS Brandschutzingenieure, Zürich; BAKUS Bauphysik und Akustik, Basel; re-x, Zürich; Konstrukt AG, Zürich
Fachjury
Emanuel Christ, Architekt, Basel, (Vorsitz); Lilitt Bollinger, Architektin, Nuglar; Sarah Barth, Architektin, Basel; Jeannette Kuo, Architektin, Zürich; Lars Ruge, Landschaftsarchitekt, Zürich
Sachjury
Niklaus Wüthrich, SBB Immobilien, Teamleiter Anlageobjekte Mitte; Barbara Zeleny, SBB Immobilien, Teamleiterin Anlageobjekte Entwicklung Urban; Beat Aeberhard, Kantonsbaumeister, BVD des Kantons Basel-Stadt; Jürg Degen, BVD des Kantons Basel-Stadt (Ersatz)
Auftraggeberin
SBB AG, Immobilien Development Anlageobjekte Mitte, Olten
Verfahrensbegleitung
waldner partner, Basel
Weitere Informationen, Pläne und Bilder zum Baufeld MF02 und zum Baufeld MF03 auf competitions.espazium.ch.
Einen umfassenden Beitrag zur Transformation des Güterbahnhofareals Wolf in Basel finden Sie auf espazium.ch.