«Entscheidend ist, dass die neue Methode zur Anwendung kommt.»
Honorare der Planerinnen und Planer – wie weiter? SIA-Vize-Präsident Marco Waldhauser im Gespräch über die Aufwandermittlung mit der neuen «Value app» – und den Chancen für das nachhaltige Bauen.
Der SIA hat zusammen mit der ETH Zürich ein digitales Instrument zur realitätsnahen Aufwandbestimmung entwickelt: die «Value app». Wo liegen die Unterschiede zum alten Zeitaufwandmodell?
Der Hauptunterschied liegt in der Bemessungsgrösse. Die Bausumme ist nicht mehr der entscheidende Parameter, der Aufwand wird von der spezifischen Aufgabe abgeleitet. Die neuen Parameter sind zum Beispiel die Nutzungsart, die Geschossflächen, die Komplexität, die Art der Aufgabe wie Neubau oder Sanierung, die Leistungsanteile und nicht zuletzt die Organisationsform.
«Das neue Modell eröffnet die Möglichkeit, innovative Lösungen zu belohnen.»
Die Entschädigung von Planungsleistungen auf Grundlage der Baukosten stand schon vor der Intervention der Weko in der Kritik. Sie galt als nicht mehr zeitgemäss, weil sie quantitativ statt qualitativ orientiert war – und somit falsche Anreize setzte. Faktisch strafte sie Innovation und Suffizienz ab. Inwiefern ist das neue Modell eine Chance?
Die Aufwandberechnung aufgrund der Bausumme war praktisch, schnell und einfach, aber für Innovationen tatsächlich nicht förderlich. Warum soll jemand ein schlankes Projekt planen, wenn das Honorar dadurch tiefer ausfällt? In der Gebäudetechnik zum Beispiel ist der Planungsaufwand für eine Lowtech-Lösung oft genauso hoch wie für eine konventionelle. Mit der alten, auf der Bausumme basierenden Methode war dieser Konflikt nicht lösbar.
Das neue Modell eröffnet nun die Möglichkeit, innovative Lösungen zu belohnen: Es berücksichtigt vor allem Faktoren, die keinen direkten Zusammenhang mit der Bausumme haben, sondern den tatsächlichen Planungsaufwand abbilden. Das bietet die Chance, heutige Herausforderungen offener und breiter anzugehen – etwa das zirkuläre Bauen, Lowtech-Ansätze, die Netto-Null- und Energieziele.
«Es ist nicht so, dass in der Zwischenzeit nichts passiert wäre.»
Die Plattform und die «Value app» hatten im August 2025 ihren Go-Live, sieben Jahre nach dem Rückzug der alten Formel. Warum hat es so lange gedauert?
Sieben Jahre sind lang, keine Frage. Aber es ist nicht so, dass in der Zwischenzeit nichts passiert wäre. Nach der Weko-Intervention 2017 entwickelte der SIA eine Alternativlösung zur alten Formel und führte sie bereits 2019 ein. Doch diese neue Methode, die übrigens weiterhin auf der Bausumme basierte, bewährte sich in der Praxis nicht. Die Ergebnisse wichen zu stark von den Erfahrungswerten ab. Der SIA nahm sie Ende 2020 auf Druck der Mitglieder wieder vom Markt.
Daraufhin folge der zweite Anlauf. Die ETH Zürich hatte schon länger an einer Berechnungsmethode für Architekturhonorare gearbeitet, allerdings stand diese nur Studierenden zur Verfügung. Diese Methode entwickelten die ETH und der SIA nun gemeinsam weiter, in Zusammenarbeit mit weiteren Expertinnen und Experten aus der Praxis.
«Wenn es um Geld geht, wollen alle mitreden.»
Obwohl das Grundmodell zügig stand, musste viel Zeit in Abstimmungen, Validierungen und Aufklärung investiert werden: Honorare sind ein sensibles Thema, sehr viele Stakeholder brachten sich ein. Wenn es um Geld geht, wollen alle mitreden, und man könnte endlos diskutieren. Eine Balance zwischen Akzeptanz und Tempo zu finden, war nicht einfach. Und nicht zuletzt strebte der SIA eine Synchronisation mit der aktuell laufenden LHO-Revision an, die bekanntlich auch länger dauert als geplant.
In der Zwischenzeit haben einige Bauherrschaften eigene Honorierungsvorgaben für Planungsleistungen eingeführt. Ein aktuelles Beispiel sind der Kanton und die Stadt Zürich, deren neue Vorgaben im Frühling 2025 zu grosser Verunsicherung und zu organisiertem Protest der Architektenschaft auf lokaler, aber auch nationaler Ebene geführt haben.1 Steht der SIA vor vollendeten Tatsachen?
Wir sind laufend im Austausch mit den relevanten öffentlichen Beschaffungsstellen. Ziel ist es, jeweils gemeinsam partnerschaftliche Lösungen zu finden. Auch hier sind wir zuversichtlich, einen Weg aus der gegenwärtig nicht tragbaren Situation zu finden. Die «Value app» ist dazu ein vielversprechender Ansatz.
«Die revidierten LHO und die «Value app» beruhen auf den gleichen Prinzipien.»
Die «Value app» orientiert sich an den Leistungen, die in der revidierten «Ordnung für Leistungen und Honorare der Architektinnen und Architekten (LHO) SIA 102» festgeschrieben sind. Nun ist sie seit August 2025 auf dem Markt, obwohl die LHO-Revision noch nicht abgeschlossen ist.
Das ursprüngliche Ziel war, beides gleichzeitig auf den Markt zu bringen: Die revidierten LHO und die «Value app» beruhen auf den gleichen Prinzipien. Aber einerseits braucht die Freigabe der revidierten LHO noch etwas Zeit und anderseits wollten wir die «Value app» so rasch wie möglich zur Verfügung stellen, um Erfahrungen am Markt zu sammeln. Das macht Sinn: Das Tool ist auch auf den Leistungskatalog der noch geltenden LHO abgestimmt, man kann es also ab sofort anwenden.
Und wann ist die LHO-Revision abgeschlossen?
Die Freigabe der revidierten LHO erfolgt durch die Delegiertenversammlung (DV) des SIA. Traktandiert wird dies voraussichtlich an einer Sonder-DV im Herbst 2026. Die Rückmeldungen aus der Vernehmlassung waren so umfangreich, dass ihre Einarbeitung bis zur regulären DV im Frühling 2026 nicht möglich ist.
Die «Value app» betrifft vorerst nur Architekturleistungen. Folgt eine Anwendung für andere Disziplinen?
Ja, und zwar nach dem gleichen Prinzip: Nicht mehr die Bausumme, sondern verschiedene Parameter je Disziplin werden die massgebende Grösse sein. Geplant ist, dass bis Ende 2025 eine Lösung für die verschiedenen Ingenieur- und Umweltberufe sowie für die Landschaftsarchitektur vorliegt. Auch hier ist die ETH im Lead mit Unterstützung durch den SIA sowie externen Expertinnen und Experten. Im Frühling 2026 soll die Erweiterung der «Value app» für die Disziplinen Ingenieurbau, Landschaftsarchitektur und Gebäudetechnik – analog der LHO SIA 103, 105 und 108 – online gehen. Und auch hier gilt: Der Markt wird entscheiden, wie es in Zukunft weitergeht.
«Das ist die Verhandlungsgrösse gegenüber Bauherrschaften.»
Was unternimmt der SIA, damit die «Value app» sich als massgebendes Tool auf dem Markt durchsetzt?
Damit, dass der SIA die Plattform Aufwandermittlung aufschaltet und die «Value app» zur Verfügung stellt, ist es nicht getan. Entscheidend ist, dass die neue Methode zur Anwendung kommt. Im Unterschied zu früher liefert sie keine exakte Eins-Null-Lösung; insbesondere bei der Einschätzung der Komplexität einer Aufgabe bietet sie Spielraum. Das ist die Verhandlungsgrösse der Planerinnen und Planer gegenüber Bauherrschaften. Wir müssen lernen, damit umzugehen. Für die Nutzerinnen und Nutzer der «Value app» wird es ab Oktober kostenlose Webinare geben, die helfen, die Anwendung besser zu verstehen und die Möglichkeit bieten, Fragen zu stellen.
Je schneller und umfassender wir Erfahrungen sammeln, desto besser. Sicher ist, dass wir in Zukunft die Frage nach dem Planungsaufwand für ein Projekt viel früher, intensiver und präziser als bisher reflektieren müssen. Darum nochmals: Damit sich die Plattform und die «Value app» durchsetzen, müssen wir alle aktiv werden und konsequent damit arbeiten.
Anmerkung
1 Vgl. auch: https://www.espazium.ch/de/aktuelles/debatte-planungshonorare-zuerich. Festgehalten sind die neuen Honorierungsvorgaben von Kanton und Stadt Zürich im revidierten «Merkblatt zu Planungsaufträgen» des AHB vom Januar 2025 und der Wegleitung «Planerhonorare und Vertragsmodelle» des HBA vom 1. Januar 2025.
Für Beunruhigung sorgte vor allem die Berechnung des Schlusshonorars: Die aufwandbestimmenden Baukosten im Zeitpunkt der Bauabrechnung werden mit dem Zürcher Wohnbauindex ZIW auf 2018 zurückindexiert, was zu deutlich tieferen Honoraren führt.
Der SIA hat gemeinsam mit dem Amt für Hochbauten der Stadt Zürich und dem Hochbauamt des Kantons Zürich einen wichtigen Schritt in Richtung einer zukunftsfähigen Honorierungspraxis getan. Nach intensiven Gesprächen Ende August 2025 wurde ein in weiten Teilen gegenseitiges Verständnis für eine nachhaltig tragbare Aufwandsermittlung erzielt. Weitere Informationen in der Stellungnahme des SIA: https://www.sia.ch/de/cms/node/47260
Im Zeitraffer: Was 2018–2025 geschah
2018 erzwang die Weko den Rückzug des bis dahin geltenden, mit den Baukosten gekoppelten SIA-Zeitaufwandsmodells aus den Leistungs- und Honorarordnungen SIA 102, 103, 105 und 108.
Zwar orientierte sich die Branche noch einige Jahre lang weiterhin an der etablierten Honorierungspraxis, doch dann erodierte dieser Konsens zusehends. Heute gibt es faktisch keine verlässliche Grundlage mehr, Honorare sind letztlich Verhandlungssache. Dies stellt sowohl für Planungsbüros – insbesondere jüngere – als auch für Bauherrschaften eine grosse Herausforderung dar.
Seit 2018 arbeitet der SIA daran, wettbewerbsrechtlich Weko-konforme Praktiken zur Honorarermittlung und -vergütung neu zu definieren. Im August 2025 erfolgte die gestaffelte Markteinführung der Plattform Aufwandermittlung mit der «Value app» für Architekturleistungen nach SIA 102. Die Einführung startete mit ca. 1000 Nutzerinnen und Nutzern, die bereits die Beta-Version getestet hatten. Im Lauf des Herbsts 2025 wird die «Value app» Schritt für Schritt allen interessierten Architektinnen und Architekten zugänglich gemacht.
Vorgeschichte und aktuelle Infos im E-Dossier LHO.