Unzeitgemässe Entwicklungen
Erneuerung Schulanlage Fröschmatt, Pratteln; selektiver Projektwettbewerb
Im Wettbewerb um die Erneuerung der Schulanlage Fröschmatt in Pratteln BL waren nachhaltige Lösungen gefordert, eine innovative räumliche Umsetzung hin zu Lernlandschaften und ein Gebäude im menschlichen Massstab. Herausgekommen ist der Abbruch aller Bestandsbauten und ein 120 Meter langer Riegel.
Pratteln ist eine Kleinstadt südöstlich von Basel und von dort aus in wenigen S-Bahn-Minuten erreichbar. Der Ort hat viel Potenzial und einige Gegensätze: einen alten Dorfkern neben Gewerbe- und Industriegebieten, romantische Naherholungsgebiete und das Rheinufer neben Autobahnanschluss und Bahnhof. In den nächsten Jahren wird sich mit der Entwicklung einiger Areale das Gesicht Prattelns grundlegend verändern; in Planung sind die Zentrale Pratteln und das Bredella-Areal nördlich des Bahnhofs sowie das HIAG-Areal und ein neues Gemeindezentrum südlich des Bahnhofs.
Flickwerk aus Bestandsbauten
Das Gelände der Sekundarschulanlage Fröschmatt liegt in unmittelbarer Nähe der zukünftigen Entwicklungen. Um dem erwarteten Bevölkerungszuwachs und den ungenügenden Kapazitäten des bisherigen Schulstandorts Rechnung zu tragen, lancierte das Hochbauamt des Kantons Basel-Landschaft im August 2021 einen Wettbewerb im offenen, anonymen Verfahren. Die Anlage der Sekundarschule Fröschmatt, ein Sammelsurium verschiedenster Bauten aus den 1950er- und 1970er-Jahren, bedarf sowohl in baulicher als auch in betrieblicher Hinsicht einer Erneuerung. Hinzu kommt ein Wandel im Bildungswesen, vom klassischen Frontalunterricht hin zum autonomen Lernen in Lernlandschaften, der ebenfalls bauliche Veränderungen erfordert. Das Wettbewerbsprogramm gibt die Schaffung von 36 Klassen und den Bau zweier neuer Turnhallen vor und stellt höchste Anforderungen an Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit. Was den Erhalt des Bestands betrifft, so sind die Formulierungen vage und befürworten tendenziell den Abriss.
Ein Riese im Vorgarten
Von nur neun Wettbewerbsbeiträgen reüssierte ein Projekt, das einen rund 120 m langen und 23 m tiefen, sechsgeschossigen Riegel in Holz-Hybrid-Bauweise und den Abriss aller Bestandsbauten vorsieht. Ergänzt wird dieser durch zwei teils in die Erde versenkte Doppelturnhallen. Wie es zum Entscheid für dieses Projekt kam, ist nach Lektüre der Aufgabe nicht ganz verständlich. Dort wird betont, dass der Kanton als öffentlicher Bauträger eine besondere Verantwortung bezüglich der Nachhaltigkeit trägt. Wie ist unter dieser Prämisse der massive Abriss zu rechtfertigen, und welches Signal wird damit für die kommenden Arealentwicklungen gesetzt? Weiter heisst es im Jurybericht: «Die Volumetrie und Positionierung des Nord-Süd-ausgerichteten lang gestreckten Schulhausneubaus leiten die Verfassenden des Beitrags ‹Lungo› nachvollziehbar aus den umgebenden städtebaulichen Merkmalen ab.» Wie sich der sechsgeschossige Baukörper in die umgebende und weiterhin bestehende zwei- bis dreigeschossige Bebauung einfügen soll, ist nicht erkennbar. Zumal im Jurybericht der Wunsch nach dem menschlichen Massstab geäussert wird: «Es gilt die Balance zu finden zwischen der geforderten Grösse der Gesamtanlage und einer gebauten Umwelt mit menschengerechtem Massstab.»
Inwiefern entspricht ein Gebäude von der Länge eines Fussballfelds dem menschlichen Massstab? Die Jugendlichen werden Mühe haben, sich mit dieser «Lernmaschine» zu identifizieren. Zudem schmälert die allzu effiziente Organisation der Grundrisse das Angebot an vielfältigen Räumen wie Nischen, Vorsprüngen, Durchblicken zwischen den Geschossen sowie kleineren Rückzugs- oder Begegnungsorten. Die horizontale Gliederung der Fassade betont die monotone Länge des Gebäudes. Bedingt durch seine Grösse wird es viel Haustechnik für Belüftung und Verschattung benötigen und ist daher im Betrieb und in der Erstellung wahrscheinlich das teuerste Projekt.
Vom Freiraum her entwickelt
Alternativen hätte es gegeben. Im zweitplatzierten Projekt wurde konzeptionell anders herangegangen. Aus der Geschichte des Orts heraus entstand die Idee der «Fröschmatt», um die herum sich die Schulgebäude gruppieren. Mit Blick auf die zukünftigen Prattler Arealentwicklungen, mit denen die Dichte im Zentrum zunehmen wird, wird ein Freiraum angeboten, der sowohl von den Schülerinnen und Schülern als auch von der übrigen Bevölkerung genutzt werden kann. Vom Bestand sollte so viel wie möglich erhalten bleiben. Nach einigen Grundrissstudien wurden zwei Gebäude aus den 1970er-Jahren erhalten und mit einem dreigeschossigen Neubau und einer in den Boden versenkten Turnhalle ergänzt.
Die Gliederungsprinzipien des Bestands werden auf die Holzkonstruktion des 32 m tiefen und 84 m langen Gebäudes übertragen und mit vorgelagerten Balkonen aus Stahl ergänzt. So erhält die Fassade eine feingliedrige Struktur und bildet mit den Bestandsgebäuden visuell eine Einheit.
Verharren im Übergangszustand
In der Schweizer Bildungslandschaft vollzieht sich zurzeit ein tiefgreifender Wandel vom traditionellen Frontalunterricht im Klassenverbund zu Lernlandschaften, wo sich mehrere Klassen ein «Atelier» teilen und kleine Gruppen parallel verschiedene Aufgaben bearbeiten. Eine Ausprägung dieser modernen Lernraumtypen ist der hier geforderte Cluster. Dabei werden drei bis sechs Klassenräume zu einer Einheit zusammengeschlossen; die Flurzone wird als offene gemeinsame Mitte ausgeweitet und pädagogisch nutzbar. Innerhalb des Clusters sind Differenzierungsräume, Sanitärbereich, Lehrerstützpunkt mit Kopierstation und Lager für Unterrichtsmaterial, Eingangszone sowie ein eigener Aussenbereich angeordnet. Alle Projekte organisieren das Raumprogramm auf schlüssige Weise, aber die räumliche Varianz ist gering. Dies mag an den Vorgaben des Wettbewerbsprogramms liegen, die zu einem Drittel konventionelle Unterrichtsräume fordern. Ausserdem musste nachgewiesen werden, dass sich alle Lernlandschaften zugleich auch für den traditionellen Unterricht im Klassenverbund eignen. Eine solch unentschiedene Vorgabe erschwert die Suche nach innovativen räumlichen Lösungen und zementiert den Übergangszustand.
Der Prozess ist wichtig
Für viele der teilnehmenden Architektinnen und Architekten ist der Wandel der pädagogioschen Konzepte neu, und sie wissen wenig darüber, wie diese Lernräume in der Praxis genutzt werden. Um wirklich innovative räumliche Konzepte für den pädagogischen Wandel zu finden, bräuchte es ein anderes Wettbewerbsverfahren, das einen Dialog zwischen Lehrpersonen, Architekturschaffenden und Schülerinnen und Schülern ermöglicht. Vielleicht wäre ein zweistufiges Verfahren aus Ideenwettbewerb und Studienauftrag, wie beim Wettbewerb Primarschulhaus Walkeweg in Basel, passender gewesen. Zudem bräuchte es seitens der Auftraggebenden den Mut, überkommene Vorstellungen hinter sich zu lassen und nicht die parallele Ausarbeitung zweier unterschiedlicher pädagogischer Konzepte zu fordern. Eine offenere Formulierung, was die Lernlandschaft der Zukunft räumlich bedeuten kann, wäre zusätzlich hilfreich gewesen, um eine Vielzahl an Lösungen zu erhalten.
Das CO2-Budget der Schweiz ist seit März dieses Jahres aufgebraucht, die Mülldeponien füllen sich schneller, als neue Standorte gefunden werden, und die Biodiversität nimmt in rasantem Tempo ab. Da ist es erstaunlich, dass noch immer nicht bedacht wird, wie viel graue Energie in Gebäuden steckt und dass Ersatzneubauten häufig einem Um- oder Anbau vorgezogen werden.
Ebenso wichtig ist der Einbezug baukultureller und sozialer Aspekte, da ein nachhaltiger Wandel in der Gesellschaft für die Menschen stattfindet und von ihnen auch akzeptiert und unterstützt werden muss.
Jurybericht und Pläne auf competitions.espazium.ch
Preisträger
1. Rang / 1. Preis: «Lungo»
Burckhardt + Partner, Basel; Atelier Loidl, Berlin; wh-p Ingenieure, Basel; Waldhauser + Hermann, Münchenstein; Gartenmann Engineering, Basel
2. Rang / 2. Preis: «Pratellum»
Stadler Zlokapa, Basel; Berchtold.Lenzin Basel; Schnetzer Puskas Ingenieure, Basel
3. Rang / 3. Preis: «Freitag»
Demian Peper, Zürich; Andreas Geser Landschaftsarchitekten, Zürich; B3 Kolb, Winterthur; G & T Ingenieure, Winterthur
4. Rang / 4. Preis: «Aurelia»
Degelo Architekten, Basel; Bischoff Landschaftsarchitektur, Baden; wh-p Ingenieure, Basel
Weitere Teilnehmende
Dürig, Zürich; Dr. Deuring + Oehninger, Winterthur; Kuhn Landschaftsarchitekten, Zürich
Meili & Peter Architekten, Zürich; Nänny + Partner, St. Gallen; Andreas Geser Landschaftsarchitekten, Zürich
FachJury
Marco Frigerio, Kantonsarchitekt, Kanton Basel-Landschaft (Vorsitz); Gundula Zach, Architektin, Zürich; Lorenzo Giuliani, Architekt, Zürich; Margrith Künzel, Landschaftsarchitektin, Binningen; Tim Oldenburg, Architekt, Hochbauamt Basel-Landschaft; Jonas Wirth, Architekt, Hochbauamt Basel-Landschaft (Ersatz)
SachJury
Petra Schmidt, Stv. Generalsekretärin Bildungs-, Kultur- und Sportdirektion (BKSD); Konrad Saameli, Schulleiter Sekundarschule Pratteln; Roger Schneider, Gemeinderat Bildung, Kultur und Sport, Pratteln