Die de­zen­te Hül­le zum Schluss

Der Zürcher Architekt Jakob Steib sollte eine Genossenschaftssiedlung im Basler Vorort Allschwil ersetzen. Späte Änderungswünsche stärkten den Charakter seines Projekts: Nicht überall stellt sich die ­Solararchitektur dermassen entspannt dar.

Data di pubblicazione
21-02-2022

«Gross, aber dezent» wollte es die Bau- und Wohngenossenschaft Graphis haben. Beide Anliegen brachte der Architekt Jakob Steib beim Ersatz ihrer Wohnsiedlung in Allschwil offensichtlich unter einen Hut: Die vor einem Dreivierteljahr bezogenen Mehrfami­lienhäuser wagen den Sprung im Massstab – mit einer äusserst kompakten Form und fünf Etagen, die die Nachbarschaft deutlich überragen. Was der zwei Neubauten wegen weichen musste, davon zeugt das durchgrünte Vorstadtquartier darum herum. Der Heuwinkel entstand in den späten 1950er-Jahren, damit sich die Arbeiter der chemischen Industrie mit ihren Familien in die damals typischen dreigeschossigen Wohnbauten mit Giebeldach und Putz an den Wänden niederlassen konnten.

Auch der Wunsch nach Zurückhaltung scheint erfüllt: Die beiden Grossbauten halten respektvoll Abstand zur Umgebung und beanspruchen nur wenig mehr Boden als die drei Vorgängerbauten. Bäume und Sträucher blieben weitgehend unangetastet. Zwar stechen die dunkelblauen Fassaden hervor; doch am allerwenigsten würde man auf Solararchitektur tippen: Hinter dem eingefärbten Glas stecken Solarmodule, deren silberne Streifen nur aus nächster Nähe erkennbar sind.

Mehr Wohnraum

Der Verdichtung dieser Genossenschaftssiedlung lagen auch quantifizierbare Ziele zugrunde: Die Zahl der Wohnungen wurde von 48 auf 65 erhöht. Und der CO2-Fussabdruck mithilfe der Stromproduktion auf dem Dach und an den Fassaden limitiert. «Wir produzieren über 80 % des Eigenbedarfs, leicht mehr als geplant», bestätigt der stellvertretende Graphis-Geschäftsführer Michael Tschofen. Wobei die Energieautarkie zu Beginn der Standortverdichtung überhaupt keine Rolle spielte. Als die gemeinnützige Bauherrschaft vor acht Jahren begann, die Optionen Erneuerung oder Ersatz zu prüfen, war der Erhalt des Freiraums prioritär. Genau damit punktete der Entwurf des Architekten in der Wettbewerbsrunde: Die Neubauten ordnen sich so an, dass sie einen gemeinsamen Vorplatz fassen und diesen für das ganze Quartier zugänglich und offen halten. Die Gemeindebehörde nahm dies zum Anlass für eine lokale Verkehrsberuhigung.

Hand in Hand gingen die Bauherrschaft und die Behörde auch bei der Energieversorgung vor: Das kommunale Baurecht verlangt einen Mindestanteil von 50 % aus erneuerbaren Quellen. Die ursprünglich vorgesehene Photovoltaikanlage auf dem Dach reichte aber nicht. So kam es zum Änderungsauftrag an die Wettbewerbssieger, die dunklen Schieferplatten an den Fassaden durch Photovoltaik zu ersetzen. «Die anfängliche Skepsis», so Architekt Steib, «zerstreute sich schnell.» «Weil die Wohnsiedlung dadurch nicht zum Kraftwerk werden sollte», ergänzt Solarplaner Matthias Roos. Dem Architekten Steib war sehr daran gelegen, «die Solarmodule nicht plakativ einzusetzen». Die Verantwortlichen werden nun trotz jeweils vier hinterlüfteten PV-Fassaden an jedem Wohnhaus öfters gefragt, wo denn jetzt Strom erzeugt werde. Tatsächlich verbergen sich die Solarzellen hinter den farbig bedruckten, matten Gläsern.

Gestalterisch eingeordnet

Die nachträgliche Integration gelingt, weil die sich das Solarkleid jeweils der Gebäudearchitektur unterordnet. Der Sockel ist mit hellen Zementplatten versehen, was sich optisch von den Solarmodulen abhebt, aber auch dem Fassadenschutz dient. Zusätzliche Kontraste in Farbe und Tektonik bilden die weiss gefassten Fensterflächen und Balkonfelder; Letztere befinden sich jeweils an den besonnten Süd- und Westfassaden. Dass die zurückhaltende Solargestaltung einige wertvolle Kilowattstunden Strom kosten durfte, damit war auch die gemeinnützige Bauherrschaft einverstanden, bestätigt Bauchef Tschofen.

An einigen Details bekam dennoch die Photovoltaik den Vorzug: Bei den Fensterlisenen wurde um Zentimeter gerungen, um die Beschattung der Solarmodule zu verringern. Und auch das Rundumprinzip wurde nicht infrage gestellt. Vertikale, nach Nord und Ost orientierte Flächen ergänzen die solare Ausbeute, weil sie diffuses Licht gut einfangen können, erklärt Roos, Inhaber der Planungsfirma CIPV.

In Allschwil stehen 2500 m2 Solarfassade zur Verfügung; zusammen mit der knapp 400 m2 grossen Dachanlage genügt das, um das klimafreundliche Heiz- und Warm­wassersystem beider Wohnhäuser anzutreiben. Dessen Motor ist eine Wärmepumpe mit Erdsonde, die auch zur Kühlung der Wohnräume im Sommer einsetzbar ist. Die Zertifizierung mit dem Gebäudelabel Minergie-A ist geglückt. Die lokale Stromlücke von etwa 40 % gleicht der regionale Energieversorger aus, auf jeden Fall mit Ökostrom. Auf die Installation eines Akkus zur ­Verbesserung des Autarkiegrads wurde dagegen verzichtet.

Mehraufwand für PV

Für die rund hundert Heuwinkel-Bewohnerinnen und -Bewohner funktioniert dies kostenneutral: Obwohl sie ausschliesslich eigenen und externen Ökostrom beziehen, bezahlen sie ihren Konsum zum Normaltarif. Den Mehraufwand für die Solararchitektur übernimmt dagegen die Bauherrschaft. Mindestens das Dreifache koste eine Solarfassade, inklusive Material und Montage, im Vergleich zur konventionellen vorgehängten Variante mit Glas, Metall oder Schiefer, bestätigt Roos. Weil die Genossenschaft den Überschussstrom zu einem höheren Preis verkaufen kann, erwartet sie, die PV-Fassaden innerhalb von 30 Jahren amortisieren zu können.
Im Gegenzug waren die ­solaren Bauteile so weit wie möglich zu vereinfachen, mithilfe einer Reduktion der Formate. Auch dies ­begünstigte das Vorgehen, sich wie erwünscht gestalterisch zurückzuhalten.

Am Bau Beteiligte

 

Bauherrschaft
Graphis Bau- und Wohngenossenschaft, Bern
 

Architektur
Jakob Steib Architekten, Zürich
 

Baumanagement
ffbk Architekten, Münchenstein BL
 

Tragkonstruktion
Schmidt + Partner Bauingenieure, Basel
 

PV-Gebäudeintegration
CIPV Zürich
 

Fassadenplanung
GFT Fassaden, St. Gallen
 

Fassadenbau
Planeco, Münchenstein

 

PV-Module
Megasol, Deitingen SO

 

Kennzahlen

 

Nutzung
65 Wohnungen
 

Wettbewerb
2015
 

Realisierung
2019–2021
 

Baukosten (BKP 1,2,4,5)
28.7 Mio. Fr.
 

Energiebezugsfläche
7141 m2
 

Fläche PV-Fassade
2500 m2
 

Leistung Photovoltaik
320 kWp
 

Energiestandard
Minergie-A/P-Eco

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