Ein Kro­ko­dil schluckt 1500 Men­schen

In Winterthur steht ein riesiges Krokodil: Es ist ein Bauwerk auf dem Areal der «Lokstadt» und trägt seinen Namen in Erinnerung an die bis 2010 hier gebauten Lokomotiven der SBB, darunter auch das legendäre Modell Krokodil. Spuren der einstigen Industrienutzung sind noch vorhanden, aber das Neue präsentiert sich selbstbewusst und mit einer Tragkonstruktion aus Holz.

Data di pubblicazione
07-12-2021

Etwa 90 % der Flächen dienen der Wohnnutzung, im Erdgeschoss sind Gewerbe, Ateliers und publikumsorientierte Nutzungen integriert. Rund 250 Wohnungen von zwei bis vier Zimmern, drei Cluster-Wohnungen und mehrere Wohnateliers liegen in diesem Komplex, dazu zwei Dutzend Räume für das Gewerbe, insgesamt gegen 22'800 m2 Nutzfläche. 9800 m2 sind genossenschaftliche Wohnungen, 5700 m2 sind Eigentumswohnungen. In Form einer Hofrandbebauung von 106 x 65 m mit einem Innenhof von 2000 m2 sind drei Flügel sechsgeschossig und einer achtgeschossig erstellt. Das Areal ist als Fussgängerzone weitgehend frei von motorisiertem Verkehr, die Autoabstellplätze liegen im Untergeschoss.

Das Projekt der Architekten Baumberger & Stegmeier (Zürich) und KilgaPopp Architekten (Winterthur) entspricht nach den Vorgaben von Implenia als Projektentwickler und Totalunternehmen den strengen Nachhaltigkeitskriterien der 2000-Watt-Gesellschaft. Das Bauwerk weitgehend aus Holz zu realisieren lag also nahe.

Viel Holz und kluge Innovation

Die Holzstützen des Skelettbaus bilden einen prägenden Teil der Architektur. Lediglich das Untergeschoss und die Atrien mit Treppen und Aufzügen für die Erschliessung bestehen aus Stahlbeton. Verbaut wurden 5500 m3 CLT-Platten (Cross Laminated Timber), 1500 m3 Brettschichtholz und 700 m3 Rahmenholz. Die Aussenwände sind 320 mm tief. In den unteren Stockwerken bis zur Höhe der ehemaligen Kranbahn der Lokfabrik ist die Fassade mit Faserzementplatten verkleidet, oben mit schuppig wirkenden Elementen aus Titanzink wie ein «Aufsatz» gestaltet. Sie ist hinterlüftet konstruiert und im Innern mit einer Installationsvorsatzschale aus Gipskartonplatten, gespachtelt und deckend gestrichen, verkleidet.

Hofseitig sind die Fensteröffnungen als französische Fenster mit vorgesetzten Brüstungen angelegt, strassenseitig als meist paarweise und vertikal zusammengefasste Kämpferfenster. Die vertikalen Fensterbänder erinnern vage an die vormalige Industriehalle und strukturieren die Fassaden klar. Für die Geschossplatten kamen 220 mm starke CLT-Platten mit einer Splittschüttung von 100 mm zum Einsatz. Sie überspannen bis zu 19 m Weite als Mehrfeldträger.

Implenia Holzbau hat gemeinsam mit Timbatec im Rahmen ihres Innovation Lab bei diesem Bau ein neu entwickeltes Modul aus Brettsperrholz zuerst getestet und dann verwendet. Die Treppenkerne werden aus CLT erstellt und nachträglich mit Beton ausgegossen, die aussen liegende Holzkonstruktion wirkt als verlorene Schalung und bleibt anschliessend als Holzverkleidung stehen – sozusagen ein Betonkern mit Holzmantel.

Dieses innovative Verfahren ist effizient und ressourcenschonend. Stahlwinkel und Schrauben sind sparsamer eingesetzt, alle Anschlusswinkel an die Betonkerne und ihre Verbindungsmittel entfallen. Beim Bau des Krokodils konnten so allein mit diesen Treppenhäusern auf 24 t Stahl, 5000 Schwerlastanker und 10'000 Schrauben sowie auf 375 t Beton verzichtet werden.

BIM als Erfolgsmodell

Die BIM-Methode kam beim Bau des Krokodils in grossem Massstab zur Anwendung. Gemäss Implenia erfolgte der gesamte Prozess, angefangen beim Architekturwettbewerb bis zur Ausführungsplanung, anhand eines dreidimensionalen parametrischen Datenmodells.

Gerade ein Holzbau eignet sich hervorragend für die Vorfertigung von Bauteilen. Für die Produktion werden alle notwendigen Informationen für Holzbauteile direkt aus dem BIM-Modell eingelesen. Zudem helfe dieses dreidimensionale Modell mit, bei allen Beteiligten ein gemeinsames Verständnis des Bauwerks zu schaffen und die Planungen optimal aufeinander abzustimmen, so Implenia. Auch die Projektkosten und Nachhaltigkeitsziele lassen sich auf diese Weise mit weniger Aufwand überprüfen.

Ein wohnlicher Riesenblock

Dieses grossvolumige Gebäude könnte abschreckend wirken. Tut es aber nicht – und das hat seinen Grund in der geschickt angelegten Architektur. Das Erdgeschoss weist eine Raumhöhe von 4 m auf, die Eingangszonen wirken hell, und der grosse, begrünte Innenhof wirkt wie ein riesiges Atrium und lässt trotz der dichten Bebauung ein Gefühl der Enge gar nicht erst aufkommen.

Drei Bauträger, Gesewo für selbstverwaltetes Wohnen, Gaiwo für Alters- und Invalidenwohnungen und die Anlagestiftung Adimora, zeigen innerhalb des gegebenen Tragwerksrasters unterschiedliche Formen der Erschliessung und auch der Grundrisse. Gemeinsam sind ihnen ein Sinn für die praktische Nutzung und die überaus grosszügige natürliche Belichtung. Die Küchen sind durchwegs mit dem Hauptwohnraum verbunden oder darin integriert, allerdings auf eine unaufdringliche Weise ohne die unsäglich den Raum besetzenden Kochinseln. Schmalbrüstige Balkone gibt es nicht, es handelt sich bei den Aussenräumen durchwegs um Loggien von 6 bis 11 m2 Fläche.

Ein Fahrplan mit Ambitionen

Dieses erste fertiggestellte Gebäude der Lokstadt setzt Massstäbe. Nur wenige Gehminuten vom Bahnhof und von der Kernstadt Winterthur entfernt soll später der gesamte neue Stadtteil Lokstadt den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft entsprechen. Ein zertifiziertes 2000-Watt-Areal ist es bereits heute. Neben dem Haus Krokodil soll bis 2025 ein Hochhaus mit 30 Geschossen entstehen. Weitere Neubauten, aber auch neu genutzte, im Areal stehende historische Industriehallen werden das Angebot an Wohnungen, Hotellerie, Coworking, Fitness, Veranstaltungsorten, Geschäften und Praxen in der Lokstadt vervollständigen. Mit Bäumen bepflanzte Plätze und Gehwege werden den Aussenraum prägen, die Spuren der Vergangenheit als Industriestandort bleiben als Erinnerungsstücke an den Fassaden der bestehenden Bauten erhalten. Die Lokstadt wird so zu einem urban geprägten Stadtteil mit unverwechselbarem Charakter.

Bis 2025 soll alles fertig gebaut und in Betrieb genommen sein. Ein ambitionierter Fahrplan, doch die bisher gemachten Erfahrungen mit dem Krokodil für Vermietung und Verkauf lassen den Schluss zu, dass in Winterthur das Richtige unternommen wird.

Am Bau Beteiligte

 

Architektur
Baumberger & Stegmeier, Zürich;
Kilga Popp Architekten, Winterthur

 

Bauherrschaft
Implenia Immobilien; Pensimo Management; Stiftung Adimora; gaiwo Genossenschaft für Alters- und Invalidenwohnungen; Gesewo Genossenschaft für selbstverwaltetes Wohnen

 

Totalunternehmung, Holzbauunternehmung
Implenia Schweiz, Zürich


Tragkonstruktion Holz
Timbatec Holzbauingenieure Schweiz, Zürich

 

Tragkonstruktion
Dr. J. Grob & Partner, Winterthur

 

Bauphysik
Pirmin Jung Schweiz, Rain

 

Gebäudetechnik
Implenia Schweiz, Gisikon

 

Elektroplanung
Hefti – Hess – Martignioni, Zürich

 

BIM-Support
Kaulquappe, Zürich

 

Digitale Planung
Designtoproduction, Zürich

 

Landschaftsarchitektur
Hager Partner, Zürich

 

Facts & Figures
 

Gebäudevolumen
130'000 m3

 

Geschossfläche
41'400 m2

 

Nachhaltigkeitsstandard
Minergie P

 

Baukosten
ca. 100 Mio. Fr.

 

Chronologie Arealplanung

 

2009 Wettbewerb Städtebau

 

2010 Richtprojekt Städtebauliches Leitbild (Gigon Guyer Architekten, Vogt Landschaftsarchitekten)

 

2016 Rechtskraft Gestaltungsplan Werk 1

 

2017 Werk 1 wird «Lokstadt»

 

Chronologie Planung Haus «Krokodil»

 

Dezember 2015 Studienauftrag nach SIA 143 (mit Beteiligung Stadt Winterthur Januar– Juni 2016)

 

September 2016 Abschluss Projektentwicklungsvertrag

 

Dezember 2016 Beurkundung Landverkaufsvertrag

 

Mai 2017 Eigentumsübertragung Grundstück, Baueingabe

 

ab Juli 2017 Bereinigung Grundstück (Abbruch/Altlasten)

 

Dezember 2017 Rechtskraft Baubewilligung

 

Mitte 2018–Ende 2020 Bauzeit

 

 

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