«Ni­cht Nor­men, Men­schen sor­gen für Qua­li­tät»

SIA-Ordnungstag

Erstmals rief der SIA zu einem Ordnungstag. Gesprochen wurde über Vergaberegeln, Wettbewerbsverfahren und Bauherrenkompetenzen. Die Auslegeordnung zeigt: Die nachhaltige Entwicklung der gebauten Umwelt ist auf mehr Qualitätswettbewerb und einen freien Umgang mit Vorgaben angewiesen.

Data di pubblicazione
23-09-2021

Auch Architekten und Ingenieure müssen sich bisweilen mit trockener juristischer Materie befassen. Dies tun sie aber im eigenen Interesse, weil Leistungen, Honorare und Wettbewerbe für die gesamte Planungsbranche überlebenswichtig sind.

Die Rechte und Pflichten der verschiedenen Fachleute und Spezialisten sind mindestens in einem halben Dutzend Ordnungen niedergeschrieben und Teil des SIA-Normenwerks. Manche Bestimmungen wirken bisweilen überholt; einige Reglemente sind interpretationsbedürftig. Doch den ersten Ordnungstag organisierte der SIA nicht, um eine Totalrevision der Branchenregeln vorzubereiten, sondern um das gemeinsame Verständnis zu verbessern.

SIA-Vorstandsmitglied Anna Suter begrüsste das per Videokanal zugeschaltete Publikum mit der Sinnhaftigkeit von Ordnungen: Solche seien in diesen bewegten Zeiten Balsam für die Seele. «Wobei auch handfeste Anliegen damit verknüpft sind» – Ordnungen garantieren mehr Qualität und Innovation bei der Vergabe von Bau- und Infrastrukturprojekten.

Die öffentliche Hand scheint dafür beide Ohren offen zu halten. Auf der einen Seite formulierte der Bundesrat in diesem Sommer die Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung neu. Auf der anderen Seite sind öffentliche Bauherrschaften und Auftraggeber seit diesem Jahr verpflichtet, die Nachhaltigkeit bei Ausschreibungen angemessen zu berücksichtigen. Jacques Ducrest, Delegierter des Bundesrats für die Agenda 2030, und Marc Steiner, Fachkoordinator für das öffentliche Beschaffungswesen am Bundesverwaltungsgericht, erklärten diese Vorhaben aus Sicht des Bundes.

Beiden Initiativen gemeinsam ist: Das nachhaltige Bauen muss stärker als bisher gefördert werden. «Für die Agenda 2030 hat die Schweiz den Ressourcenkonsum zu senken», bestätigt der Bundesratsdelegierte Ducrest (vgl. «Agenda 2030» am Ende des Beitrags). «Die neuen Regeln im staatlichen Beschaffungswesen sind zudem ein Türöffner für die grüne Wirtschaft», ergänzt Bundesverwaltungsrichter Steiner. «Der bisherige Preiskampf und die neoliberale Logik haben ausgedient; der Staat und die Privatwirtschaft haben sich stärker an nachhaltigen Geschäftskriterien zu orientieren», hofft der Jurist auf mehr Qualitätswettbewerb. Allerdings dominieren erst Worte statt Taten. «Bis die Resultate in der gebauten Umwelt sichtbar sind, werden Jahre vergehen», wurde im Verlauf des Ordnungstags auch von anderen Rednern präzisiert.

Ein vielstimmiger Nachhaltigkeitskanon

Welche Qualitäten ein nachhaltig entwickelter Lebensraum beinhalten wird, darüber wurde am SIA-Ordnungstag zwar nicht gestritten. Aber einen Konsens gibt es eigentlich nicht. Vielmehr brachten die referierenden und mitdiskutierenden Fachleute viele eigene Wünsche und Ideen dazu ein.

Claudia Schwalfenberg, SIA-Verantwortliche für Baukultur, versteht ihr Themendossier als vierten Pfeiler der Nachhaltigkeit. Kerstin Müller vom Baubüro in situ erinnerte daran, dass die «klimaneutrale Schweiz in 28 Jahren und 2 ½ Monaten zu erreichen sei» – und für die Biodiversität und die Kreislaufwirtschaft ebenso viel getan werden müsse. Heinz Ehrbar, ETH-Dozent für Infrastrukturprojekte, bezeichnet die «Ausbildung als wichtigen Baustein für die Nachhaltigkeit». Pierre Broye, Direktor des Bundesamts für Bauten und Logistik, will die Lebenszykluskosten der Bauwerke besser berücksichtigt sehen. Derweil nannte Alain Oulevey, Geoingenieur und SIA-Vorstandsmitglied, die Bauabfälle als Problem, das zu beseitigen sei. Und Lamia Messari-Becker, Professorin für Gebäudetechnologie und Bauphysik an der Universität Siegen, brachte eine soziale Perspektive in diese Auslegeordnung ein. «Die industrialisierten Länder müssen mehr Verantwortung tragen und das unkluge Verschwenden von Ressourcen auf ein global nachhaltiges und gerechtes Niveau senken.» Zugleich warnte sie vor einer Verzettelung der Bau- und Planungsbranche. «Wir müssen dieselbe Richtung einschlagen und die gleichen Ziele anstreben.»

«Wettbewerbe als Werkzeuge für die Umsetzung»

Was der Qualitätswettbewerb bewirken soll, war nicht das einzige Thema an der Tagung. Auch über die Wege, die dafür zu beschreiten sind, wurde gesprochen. Die Wettbewerbsordnungen seien «Werkzeuge für die Umsetzung der nachhaltigen Entwicklung», fügte Anna Suter an. Aber es falle auf, dass der Löwenanteil der Ausschreibungsprojekte nicht nach lösungs-, sondern nach leistungsorientierten Kriterien vergeben werde. Das öffentliche Beschaffungswesen bevorzuge die Auswahl von kompetenten Partnern derjenigen von innovativen Ideen, konstatierte Monika Jauch-Stolz, Architektin und Präsidentin der SIA-Wettbewerbskommission. Umso wichtiger ist für SIA-Geschäftsführer Christoph Starck, dass eine konzeptionelle Zusatzleistung, die für die Nachhaltigkeitsplanung zu erbringen ist, gemäss Ordnungswerk angemessen organisiert und honoriert werden muss.

In einigen Voten wurde allerdings deutlich, dass die Reglemente trotz vieler Vorteile auch auf Grenzen stossen. SIA-Präsident Peter Dransfeld selbst machte sich für einen Abbau von Bürokratie stark. Es brauche keine weiteren Ordnungen; vielmehr dürften normierte Regeln missachtet werden, wenn sie der Nachhaltigkeit widersprechen. Dieser Skepsis schloss sich Stefan Kurath, Co-Leiter am Institut Urban Landscape der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften, an. «Die Qualität beim Bauen lässt sich nicht an Reglemente und Ordnungen delegieren; es braucht Fachleute, die sich dafür engagieren.»

Das Video mit einzelnen Vorträgen und zusätzlichen Statements der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am SIA-Ordnungstag ist hier abrufbar.

Agenda 2030 als Kompass für Bauherrschaften


Diesen Sommer hat der Bundesrat die Strategie Nachhaltige Entwicklung 2030 sowie einen Umsetzungsfahrplan für die nächsten zwei Jahre festgesetzt. Strategie und Aktionsplan hat ein Komitee erarbeitet, in dem 13 Bundesämter vertreten sind. Ein Schwerpunkt liegt im Ernährungsbereich und in der Landwirtschaft. Auch der Bausektor fasst Aufgaben: Zum einen sind nachhaltige Quartiere zu stärken, und zum anderen sind die Qualitätskriterien für ein nachhaltiges Immobilienmanagement zu aktualisieren. Unter anderem sollen Lebenszykluskosten stärker berücksichtigt werden und Bilanzierungsmethoden europaweit harmonisiert werden. Für Jacques Ducrest, Delegierter des Bundesrats für die Agenda 2030, sind aber nicht nur öffentliche Bauherrschaften angesprochen, sondern auch die private Immobilienwirtschaft. «Alle müssen darüber reden, wie wir künftig bauen wollen.» Nach dem Nein des Souveräns zum CO2-Gesetz sei eine neue Balance zwischen den Nachhaltigkeitsdimensionen zu suchen. «Der Auftrag ist klar: Wir müssen unseren Konsum von natürlichen Ressourcen reduzieren», so Ducrest.


Das grösste Defizit der Schweiz auf der Agenda 2030 ist jedoch: «Wir sind ein Land mit hoher Kaufkraft», weshalb wir Waren und Güter mit hohem «ökologischen Impact» importieren.


Im Rahmen der Klimakonvention hat sich die Schweiz verpflichtet, die Treibhausgasemissionen in den nächsten neun Jahren im Vergleich zu 1990 zu halbieren. Auch die Agenda 2030 ist eine globale Initiative, aber nicht verpflichtend. Das UN-Abkommen mit den 17 Nachhaltigkeitszielen «ist ein Kompass für die Mitgliedstaaten», erklärt Ducrest. Es gebe den internationalen Konsens wieder: «Kein Profit zulasten der Umwelt und der Gesellschaft.»

 

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